Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

WIR ZEIGEN KUNST.


Tauchen Sie ein, in die faszinierende Welt der Kunst. Von den alten Meistern bis zur


Gegenwart – erleben Sie mit der WELTKUNST jeden Monat die spektakuläre Fülle


künstlerischen Schaffens. Für Kunstkenner und alle, die es werden wollen.


Testen Sie eine Ausgabe gratis:


 www.weltkunst.de/dz34  +49-40/55 55 78 68 Bestellnr.: 1879823


JETZT


GRATIS


TESTEN!


107266_ANZ_10726600018904_23680042_X4_ONP26 1 05.08.19 10:58

ANZEIGE



  1. August 2019 DIE ZEIT No 34


ich würde sagen, dass ich auf diese Weise versuche,
die Dinge sichtbar zu machen.« sie zeigt auf eine
Kaffeetasse. »Wenn man eine tasse vor sich stehen
hat, dann weiß man, wie sie aussieht, weil man sie so
oft gesehen hat. Aber wenn man sich auf einmal
sagt: ›Das ist ein Baum‹, dann sieht man plötzlich
alles ganz genau.« und das Berliner Hallenbad aus
den Dreißigerjahren entwickelt plötzlich eine be-
drohliche schönheit, indem schanelec die absurd
hohe Fensterfront vor ihren winzig wirkenden Figu-
ren ins Bild setzt.
Zunächst befremdlich klingt auch die sprache des
Films. schanelecs Figuren sprechen jenseits jeder Psy-
chologie. Jenseits von allem, was man als schauspiele-

rei bezeichnen kann. In einem Handlungsstrang des
Films probt Philips schulklasse Hamlet. Die Kinder
sprechen shakespeares texte neutral, unbeteiligt, so als
würde die sprache durch sie hindurchfließen. »Diese
texte kann ja ein 13-Jähriger nicht spielen«, sagt scha-
nelec. »und es ist eben so, dass diese Kinder nicht etwas
mit dem text gemacht haben, sondern der text mit
ihnen. und dann wird es interessant, weil man die
sprache eben plötzlich hört.«
Immer wieder zeigt Astrid Zweifel an der spra-
che als Mittel der Verständigung. so als hätte die
Erfahrung des Verlusts alle Verabredungen zunichte-
gemacht, die zum gemeinsamen gebrauch der
Worte gehören. Das hat auch komische seiten: Bei
einem Besuch in der schule bezeichnet Astrid die
anwesenden Lehrer nicht als Lehrkörper, sondern
als Heizkörper. »In meinem Film ist die Kommuni-
kation ja ohnehin permanent gestört«, sagt scha-
nelec. Vielleicht sollte man erwähnen, dass sie
schauspielerin war, unter anderem an der Berliner
schaubühne, bevor sie an der Berliner Filmhoch-
schule dffb Regie studierte.
In Ich war zuhause, aber... gibt es Parallelen zu
Angela schanelecs eigener Biografie. Auch sie unter-
richtet Film – an der Hamburger Kunsthochschule.
Auch sie lebte mit einem theaterregisseur zusammen,
Jürgen gosch, dem Vater ihrer Kinder. Er starb im
Jahr 2009.

Machen solche Bezüge den Film persönlicher?
»Das glaube ich nicht«, sagt schanelec. »Ich glaube
nur, dass das Persönliche hier offensichtlicher ist.
und dass ich keinen grund gesehen habe, irgend-
was zu verbergen. Ich bin auch gefragt worden, ob
mich das besonders mitgenommen hat. Nein!
Oder wenn, dann so wie bei den anderen Filmen
auch. Wenn man dreht, dann will man doch immer
etwas herausfinden.«
Einmal sieht man Astrid mit einem Regisseur
den Ku’damm entlanglaufen. sie spricht über seinen
Film, von dem sie nur einen Ausschnitt gesehen hat:
Offenbar zeigte er tänzer und schauspieler, die ge-
meinsam mit todkranken Menschen auftreten.
ganz langsam steigert sich Astrid in ihre Ablehnung
gegen diesen Film hinein, in dem das Falsche (tän-
zer, die mit ihren Körpern etwas behaupten) auf das
Wahre treffe (Kranke, die nur noch Körper sind),
ohne dass aus dieser Begegnung etwas resultierte.
Die schauspielerin Maren Eggert spricht diesen
Quasi-Monolog so, als wäre sie vom gesagten selbst
überrascht. sie spricht ihn zwischen genervtheit,
Zweifel und zunehmender Verärgerung über die
Verwechselung von Kunst mit einem sozialprojekt.
Ihre Figur gerät in Rage, entschuldigt sich bei dem
erstaunten Regisseur, den sie eigentlich nicht ver-
letzen will – und kann dann doch nicht anders, als
dessen Film vor seinen erstaunten Augen in die
tonne zu treten.
Angela schanelec mag skeptisch sein gegenüber
Rückschlüssen auf sich selbst. und doch kann man
davon ausgehen, dass in der szene auch etwas von
ihrer eigenen künstlerischen Haltung steckt: ein
Misstrauen gegenüber der Behauptung von Authen-
tizität. Der glaube an das Kino als Verwandlung
von Wirklichkeit. Auch das Wissen darum, dass
diese Verwandlung nicht geschieht, indem man die
Kamera auf etwas »draufhält«. Die Herausforderung
besteht darin, sie zu benutzen, um etwas zu sehen,
was man ohne sie nicht sieht.
Angela schanelecs Filme liefen in Cannes (Plätze
in Städten und Marseille) und auf unzähligen Festi-
vals, wurden im Rahmen einer großen schau zur
Regiebewegung der Berliner schule im New Yorker
Museum of Modern Art gefeiert. Im vergangenen
Jahr gab es eine Retrospektive in Japan, und dem-
nächst wird es eine in Wien geben.
Hierzulande hingegen erstaunt, welche Aggres-
sionen dieses Kino bei manchen Filmkritikern und
auch immer wieder in der deutschen Filmbranche
auslöst. Angela schanelec wurde noch nie für den
Deutschen Filmpreis nominiert. Immer wieder hat
sie schwierigkeiten, ihre Filme zu finanzieren, und
es ist schon absurd, dass der gewinnerin des
silbernen Bären gerade die Förderung ihres nächs-
ten Drehbuchs abgesagt wurde. Verweigerung,
sperrigkeit, Verkopftheit – die Vorwürfe sind im-
mer dieselben. Darin liegt letztlich ein großes
Missverständnis. Denn in Wahrheit hat diese Re-
gisseurin nur den Mut, konsequent ihrer Intuition
nachzugehen.
Auch Ich war zuhause, aber... folgt eher einer In-
tuition als einer geschichte. Man könnte auch sagen:
Der Film ist ein intuitiver umgang mit dem thema
des Verlustes. Indem er den Nachhall eines Verschwin-
dens registriert, erzählt er vom Leben. Er gibt trost,
auch durch seine schönheit. Etwa wenn die Figuren
mehrmals im Wald an einem Bach zu sehen sind.
Vielleicht ist es der Ort, an dem sich der Junge wäh-
rend seiner Abwesenheit aufgehalten hat. Vielleicht
ist es ein sehnsuchtsort. Vielleicht existiert die szene
wirklich nur in der Fantasie der Figuren. so wie der
Moment, in dem Astrid nachts an einem grab liegt
und von einem kleinen Vogel besucht wird. »Der
trost kann ja auch einfach in der Zeugenschaft be-
stehen«, sagt schanelec. »und Zeugenschaft bedeutet:
Diese Menschen sind nicht alleine.«
und zwar auch, weil diese Regisseurin uns die
Möglichkeit gibt, sie und die Welt einfach zu sehen.

http://www.zeit.de/audio

V


or gut zwanzig Jahren lief auf dem
Festival von Cannes ein Film na-
mens Plätze in Städten. Er zeigt,
genau das, was sein titel sagt. Etwa
das weitläufige Berlin, die Brachen,
das grün. Dann das dicht bebaute
Paris, graue steine, gläserne Bus-
haltestellen. Eine stadt, in der auch die u-Bahn
anders klingt.
In dem Film folgt die Regisseurin Angela scha-
nelec einer schülerin, Mimmi, die kurz vor dem
Abitur steht. Wir sehen, wie sie mit einem jungen
Mann spricht, der in sie verliebt ist. Wie sie Fahrrad
fährt, sich mit ihrer Mutter streitet, mit einer
Freundin tanzt. Einmal steht Mimmi in der Küche
und isst ein Brot. Durchs Fenster fällt das Berliner
Winterlicht, aus dem Kassettenrekorder erklingt
der song Guilty by Association von Vic Chesnutt,
und Mimmi kaut und sinnt vor sich hin. Man
könnte auch sagen: Die Kamera lässt einer Figur die
Zeit, eins zu sein mit dem, was sie tut.
Bevor ich diesen Film von Angela schanelec sah,
hatte ich auf der Leinwand noch nie einen Menschen
so physisch in einem Raum wahrgenommen. Oder
so deutlich gespürt, wie das Leben in ein Bild ein-
ziehen kann. Die Begegnung mit schanelecs Kino
war auch die Begegnung mit einer anderen, freien
Art des Erzählens. Mit einem Blick, der immer mit-
erzählt, dass ein Bild eine Wahl ist. Oder auch eine
Entscheidung für die schönheit eines Ausschnitts,
einer Bewegung: In ihrem 2001 entstandenen Film
Mein langsames Leben gibt es eine eindrückliche
Fahrt (Kamera: Reinhold Vorschneider) an Bäumen
entlang, während man im Hintergrund die Figuren
sieht. Eine Frau erzählt einem Mann, dass ihr Freund
eine Affäre hat. Die Kamera lässt die Figuren am
Bildrand zurück und gleitet weiter. Plötzlich erfüllt
ein Baumstamm in ganzer Breite die Leinwand und
mit ihm das Rauschen der Blätter.
Wahrscheinlich könnte man einen Film von An-
gela schanelec schon am Licht erkennen. Es ist
transparent und klar und scheint den Figuren ir-
gendwie beizustehen.
Das Glück meiner Schwester, Marseille, Orly, Der
traumhafte Weg – Angela schanelecs Filme handeln
von Menschen in städten und ihren sich wandeln-
den Lebens- und Liebesgefühlen. Zwei schwestern
lieben denselben Mann. Eine junge Fotografin
reist nach Marseille, ohne zu wissen, was sie dort
sucht. Zwei Paare gehen auseinander, und ihre
Wege werden von der Kamera weitererzählt. Was
diese Filme verbindet, ist eine fast philosophische
Einsicht in die absolute Zufälligkeit und undurch-
schaubarkeit des Lebens. und der Versuch, die
Mittel des Kinos – Licht, ton, sprache, Räume,
Körper – auf sinnliche Weise selbst erzählen zu
lassen, statt sie als bloße Illustration einer ge-
schichte zu benutzen.
An einem Julitag sitzt Angela schanelec im gar-
ten des Berliner Café Einstein. unter den Füßen
der Kellnerinnen knirscht der Kies, und man fragt
sich, ob man das so wahrnimmt, weil man es auch
in einem schanelec-Film deutlich hören würde.
Wir haben uns verabredet, um über ihren neuen
Film zu sprechen, Ich war zuhause, aber..., mit
dem sie auf der vergangenen Berlinale den silber-
nen Bären für die Regie gewann. gespräche mit
schanelec sind besonders, weil sie ihre Filme nicht
interpretieren oder auf ihre eigenen Befindlichkei-
ten zurückführen will oder kann. »Ich bin völlig
unfähig, aus meinen Filmen schlüsse für mein Le-
ben zu ziehen«, sagt sie, »und vielleicht ist das auch
mein Problem.«
Auf der Pressekonferenz während der Berlinale
wurde Angela schanelec von Journalisten auf den
Prolog ihres Films angesprochen, in dem ein Hund
und ein Hase über eine Wiese rennen. Der Hund
frisst den Hasen und schläft dann zu Füßen eines
Esels ein. Man hätte zu diesem Prolog viele Inter-
pretationen auffahren können, von einem berühm-
ten Eselsfilm des französischen Regisseurs Robert


Bresson – Zum Beispiel Balthasar – bis zu den Bre-
mer stadtmusikanten. Aber schanelec sagte nur:
»Ich wollte das einfach sehen. und ich wollte, dass
die anderen das auch sehen.«
Auch in ihrem Kino geht es nicht ums schlüsse-
ziehen. Es registriert stimmungen, Atmosphären,
Zustände. Etwa den einer etwa vierzigjährigen Frau
in Berlin: Astrid (gespielt von Maren Eggert), zwei
Kinder. Ihr dreizehnjähriger sohn Philip ist ver-
schwunden, nach mehreren tagen taucht er mit ver-
schmutzter Kleidung wieder auf. Ein Prozess kommt
in gang. Das Leben der Mutter gerät nach und nach
aus den Fugen. Aus Verlustangst? Als Nachhall eines
anderen Verlustes? Beiläufig bekommt man mit, dass

der Vater der Kinder, ein theaterregisseur, vor eini-
ger Zeit gestorben ist. Dass Astrid an einer Hoch-
schule der Darstellenden Künste unterrichtet und
einen Freund hat. In manchen szenen verströmt die
Mutter eine unerschütterliche Ruhe. Dann wieder
scheint sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs
zu stehen. Wir sehen eine Frau im Ausnahme-, eine
Familie im Übergangszustand.
Da ist es wieder, dieses Kino der lichten Klarheit
(Kamera: Ivan Marković). Im schwimmbad stehen
die zarten Blautöne der umkleidekabine Mutter
und tochter bei, in einem Moment des Innehaltens
und vielleicht der trauer. Bei einer Kamerafahrt
durch Berlin-Mitte wirken die abendlichen Laden-
fassaden so, als wären sie von Phantomen bewohnt.
Eine Einstellung zeigt eine beiläufige Komposition
aus Baustellenabsperrungen und grundwasserent-
sorgungsrohren. Man sieht die ganz normale Nor-
malität der stadt. Aber anders.
Weshalb wirken die Menschen und Dinge in
schanelecs Kino zugleich vertraut und fremd? Was
interessiert sie an diesem fast ethnologischen Blick
auf das Leben? schanelec bestellt Käsekuchen (»Der
beste der stadt«) und sagt: »Man kann die Dinge so
anordnen, dass man sie sofort abgleicht mit den
eigenen Bildern und Erfahrungen. Dann sieht man
darüber hinweg. Oder man inszeniert die Räume,
Menschen, gesichter so, dass sie fremd wirken. und

Wenn das Licht uns beisteht


36 FEUILLETON


Traumbild? Sehnsuchtsort? Astrid (Maren Eggert) kommt in Schanelecs Film zur Ruhe

Mit den Bildern


der Regisseurin


Angela schanelec


lässt sich das Kino


neu entdecken. Auch


in ihrem Film »Ich


war zuhause, aber...«
VON KATJA NICODEMUS

Angela


Schanelec


wurde 1962 in Aalen
geboren und ist eine der
bedeutendsten deutschen
Regisseurinnen. Zu ihren
Filmen gehören »Plätze
in städten«, »Mein
langsames Leben«, »Der
traumhafte Weg«. Ihr
neuer Film »Ich war zu-
hause, aber...« (silberner
Bär der Berlinale) läuft
ab 15. August im Kino.

Fotos: Nachmittagfilm; Wolfgang Stahr für DIE ZEIT (unten,[M])
Free download pdf