Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

ENTDECKEN


Manuel Nieberle porträtiert
hier im Wechsel mit anderen
Fotografen Menschen, die ihm
im Alltag begegnen.
Protokoll: Christina Hertel


»Oma, warst du eine Prinzessin?«,
fragt mich meine Enkelin ab und
zu, weil ich ihr erzählte, dass ich
in einem Schloss in Brandenburg
aufwuchs. Tatsächlich war ich ein
armes Mädchen. Mit sechs floh
ich mit meiner Familie aus
Oberschlesien. Nur das Jesuskind
aus unserer Krippe packte ich
unter den Arm. In dem Schloss,
in dem wir Heimatvertriebene
einquartiert wurden, lebten
meine Mutter, mein Bruder und
ich in einem Zimmer. Kurz vor
dem Mauerbau, als die halbe
Stadt schon im Westen war, ließ
ich erneut alles zurück. Einer
meiner Kunden, ein Polizist,
stellte mir eine Reiseerlaubnis
aus. Weil keiner merken sollte,
dass wir nie zurückkommen
wollten, kaufte mein Mann kurz
vor der Abreise eine Wohnung,
und ich nähte die Gardinen
dafür. Anfangs in Bayern hatten
wir nichts, aber das haben wir gar
nicht gemerkt – weil wir immer
arbeiteten und uns auch mal ei-
nen Wein gönnten. Bis heute
schneide ich Haare – nur Män-
nern. Es ist der schönste Beruf
der Welt.


Evi Cal, 80, Friseurin aus
Unterhaching


WER


S I N D


SIE


?


Wie viel Kokain wurde gerade in Hamburg auf einem Containerschiff sichergestellt?


4,5 Tonnen. Das entspricht etwa 3,5-mal dem Gewicht eines ausgewachsenen Nashorns.
Quelle: sz.de; wwf.de

DER UNNÜTZE VERGLEICH

Urlaubserzählungen


Sie hatten Ferien und haben ganz viel erlebt? Schön für Sie! Aber warum
quälen Sie den Rest von uns mit den immer gleichen Geschichten?

E


s ist wunderbar, wenn die Kollegen
endlich aus dem Urlaub zurück-
kommen und man auf den Fluren
nicht mehr rumläuft wie der Robo-
ter aus dem Film Wall-E. Wall-E räumt auf
einer schon lange von Menschen verlassenen
Erde seit 700 Jahren allein auf. Ich fühle
seinen Schmerz. Ich war im Büro zwischen-
zeitlich so einsam, dass ich den Drucker be-
grüßt habe. Manchmal dachte ich, der Dru-
cker grüßt zurück.
Es gibt nur eine Sache, die mich an den
Rückkehrern wirklich stört, und das sind
ihre Urlaubsgeschichten.
Es liegt sicher an mir. Ich frage ja auch
nach. Ich frage aber nur halb freiwillig. Ur-
laubsrückkehrer haben dieses Gesicht. Es ist
braun, und es sagt, ohne Worte: »Frag
mich.« Man hat keine Wahl, es sei denn,
man ist ein komplett rücksichtsloser Barbar.
Das will ich nicht sein.
Urlaubsrückkehrer haben viel erlebt, und
es muss raus. Das geht in der Regel so: »Also,
wir haben in diesem Urlaub wirklich einen
tollen Landstrich entdeckt, wir waren in die-
sem wunderschönen Ort, gleich 90 Minuten
südlich von Neapel, da gab es diesen klitze-
kleinen Strand mit diesem netten Kiosk, und
du glaubst es nicht: Der Besitzer spricht flie-
ßend Deutsch. Wir haben uns direkt ange-
freundet! Die Kinder lieben ihn! Von da aus
haben wir so Tagestouren gemacht, zum Bei-
spiel zu diesem herrlichen Bergdorf, da kann
man den besten Käse der Welt kaufen, bes-
seren Käse habe ich wirklich nie ..., selbst die
Kinder haben ihn probiert ...«
Nur ein einziger Tag Regen.
Strand.
Bergdorf.
Wandern.
Essen.
Selbst die Kinder.
Und wieder von vorn.
Ich glaube, als Platon damals im antiken
Griechenland sein berühmtes Höhlen-

gleichnis geschrieben hat, war auch gerade
Ende der Urlaubszeit. Er musste sich viel
über Bergdörfer, Strand und Käse anhören,
vielleicht war er ein bisschen gereizt, weil er
selbst lange keinen Urlaub gehabt hatte.
Dann schrieb er los.
In dem Gleichnis geht es um Menschen,
die in einer Höhle gefesselt sind, und zwar
so, dass sie nicht nach draußen sehen kön-
nen, sondern die Wirklichkeit durch Schat-
ten an der Wand erahnen müssen. Platon
wollte mit seinem Gleichnis vermitteln, dass
der Mensch, wenn er sich nicht von den
Fesseln befreien kann, nie die wirkliche
Welt wahrnimmt, sondern immer nur die
Schatten. Solche Menschen werden irgend-
wann irre und reden mit Druckern.
Ich würde die Welt gern von den Fesseln
der Urlaubserzählung befreien, auch von
meiner. Ich bin ja nicht besser als die ande-
ren, ich erzähle auch von meinen Erlebnis-
sen. Und lasse oft die schlechten Erlebnisse
weg. Nirgendwo wird so viel unterschlagen
wie bei Urlaubserzählungen. Sie sind die
Kuschel rock- CDs unter den Small-Talk-The-
men: Nur die größten und langweiligsten
Hits schaffen es rein, und alle klingen gleich.
Ich plädiere deshalb für mehr Ehrlichkeit.
Das würde die Geschichten auch spannender
machen. Erzählen Sie davon, dass Ihnen auf
der Serpentinenstraße schlecht wurde. Dass
die Frutti di Mare verdorben waren und Sie
danach einen Tag flachlagen. Dass Ihre Frau/
Ihr Mann/Ihre Kinder Ihnen zeitweise auf
die Nerven gingen. Erzählen Sie aber auch
das nicht allzu ausführlich.
Sie fragen natürlich vollkommen zu
Recht: Was soll ich denn machen, wenn
mein Urlaub einfach absolut wundervoll
war? Die Dörfer! Der Käse! Der Strand! Nur
ein Tag Regen! Dann kann man doch
schlecht lügen, oder? Natürlich nicht, liebe
Leser. Aber wenn schweigen nicht geht, kön-
nen Sie sich, finden Platon und ich, zumin-
dest kurz fassen.

BRITTA STUFF ENTDECKT

Hier entdecken jede Woche im Wechsel: Francesco Giammarco,
Illustration: Oriana Fenwick für DIE ZEITAlard von Kittlitz, Nina Pauer und Britta Stuff

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Foto: Manuel Nieberle für DIE ZEIT


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