Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

ENTDECKEN


Anica und Sonja wohnen in einer
modern eingerichteten 140-Quadratmeter-
Eigentumswohnung in der Karlsruher
Innenstadt. Die beiden sind seit zehn
Jahren ein Paar, seit vier Jahren Eltern
von Emma. Das Interview findet per
Skype statt. Während Anica spricht, geht
Sonja ins Kinderzimmer, aus dem
Emma »Mama« gerufen hat. Während
Sonja erzählt, arbeitet Anica am
Computer und schaut Fußball.


Wer hat Emma heute ins Bett gebracht?
Anica: Das war Sonja. Sie bringt Emma
immer ins Bett, wenn sie zu Hause ist.
Sonja: Ich.


Wie kam es zu dieser Aufgabenteilung?
Anica: Für uns beide war klar, dass ich
Emma gebären und zu Hause bleiben
werde. Ich hatte also von Anfang an mehr
Zeit mit ihr. Das Zubettbringen ist Son-
jas Aufgabe. Es ist ihr Ritual.
Sonja: Ich habe mir schon überlegt: Wie
wird das für mich mit Kind? Und ist es
wirklich mein Kind, wenn es nicht meine
Gene hat? Werde ich mich irgendwann
fehl am Platz fühlen? Ich habe dann ge-
sagt: Das Ins-Bett-Bringen gehört nur
mir und dem Kind. Das hatten wir schon
vor der Geburt besprochen.


Wie ist Ihr Alltag aufgeteilt?
Anica: Ich habe eine 30-Prozent-Stelle als
Grundschullehrerin und bin freie Musi-
kerin, Sonja arbeitet Vollzeit an einem
Gymnasium. Ich kaufe ein, koche, weil
ich es gern mache. Sonja macht den Ab-
wasch. Und sie putzt die Fenster, das habe
ich noch nie gemacht.
Sonja: Anica macht das meiste. Sie bringt
Emma in den Kindergarten, nur montags
hole ich sie ab und verbringe den Nach-
mittag mit ihr. Wir bemühen uns, zum
Abendessen zu dritt am Tisch zu sitzen.
Das ist unsere heilige Zeit.


Wer ist ordentlicher?
Anica: Definitiv Sonja. Sie ist aber tole-
ranter gegenüber Unordnung geworden.
Sonja: Ich. Ich habe es aber lieben gelernt,
dass überall Socken rumliegen. Dann
weiß ich, dass Anica da ist, das ist ein gu-
tes Gefühl.


Wer von Ihnen hat zuerst vom Kinder-
wunsch gesprochen?
Anica: Ich konnte mir nur schwer vorstel-
len, mich ernsthaft auf jemanden einzulas-


sen, der Nein zu Kindern sagt. Wir hatten
uns auf einer Dating-Website für lesbische
Frauen kennengelernt und waren drei, vier
Wochen zusammen, da sprach ich das
Thema an. Sonja war 32, ich 22. Wir wa-
ren in unterschiedlichen Lebensstadien.
Sonja wollte aber. Wir haben uns nach drei
Jahren Beziehung verpartnert, wieder drei
Jahre später sind wir es angegangen.
Sonja: Anica. Recht früh. Ein Heteropaar
hätte nicht so früh darüber gesprochen.
Für Anica war es lebenswichtig zu wissen,
wie ich zum Kinderkriegen stehe. Ich hatte
keinen Gedanken mehr daran verschwen-
det, ehrlich gesagt. Als 32-jährige lesbische
Singlefrau ist man nicht unbedingt mit der
Kinderplanung beschäftigt. Anica war
noch jung, sie ging mit einer herrlichen
Naivität heran: »Ja klar will ich Kinder,
und dass wir zwei Frauen sind, ist doch ei-
gentlich kein Thema.« Ich fand das schön.

Wie haben Sie sich für einen Samen-
spender entschieden?
Anica: Wir haben überlegt: Welcher
Mann in unserem Umfeld ist weit genug
weg, dass er nicht in unseren Alltag ein-
greifen kann, aber trotzdem nah genug,
dass Emma einen Bezug zu ihm aufbauen
kann? Emmas Vater ist mit einem Mann
verheiratet, wohnt in Südfrankreich, er
sieht gut aus, ist witzig, spricht viele Spra-
chen. Wir kannten ihn über ein Schul-
projekt. Wir haben ihm ganz altmodisch
einen Brief geschrieben: »Wir suchen
einen Samenspender für unser Kind.« Er
hat es mit seinem Partner besprochen,
mit seiner Mutter. Dann sagte er zu.
Sonja: Wir wollten keinen Dritten in un-
serer Beziehung. Und wenn man schon
die Wahl hat, kann man überlegen: Wer
sieht gut aus und hat Bock? Sich einen
blonden Hünen als Vater auszusuchen
wäre komisch gewesen – dann hätte das
Kind noch weniger von mir gehabt.

Wie lief die Befruchtung ab?
Anica: Monatelang habe ich morgens mei-
ne Temperatur gemessen, damit ich wuss-
te, wann mein Eisprung ist. Wir sind drei-
mal samstags mit dem Zug nach Süd-
frankreich gefahren, sonntags zurück.
Man braucht nicht mehr als einen sterilen
Becher und eine Spritze aus der Apotheke.
Wir haben uns ein schäbiges Hotelzimmer
in der Nähe der Wohnung des Vaters ge-
bucht. Am seltsamsten war es wohl für ihn
und seinen Partner, die die »Ware« abge-
geben haben, und für Sonja, die mit dem

GETRENNT BEFRAGT (8) Plastikbecher unter der Jacke über die
Straße zum Hotel gelaufen ist. Dort habe
ich gewartet ...
Sonja: Es war superunangenehm. Roman-
tik ist anders. Heute können wir drüber
lachen. Schon kurios, dass so was klappt.

Welche Rolle spielt Emmas Vater in
Ihrem Leben?
Anica: Wir haben vor Emmas Geburt eine
Vereinbarung aufgesetzt, die festgelegt hat,
dass Sonja Emma adoptiert, dass der Vater
keine Rechte oder Pflichten hat, aber dass
wir uns alle einig sind, dass die beiden sich
sehen, damit Emma weiß, wer er ist. Heu-
te treffen wir uns ein-, zweimal im Jahr,
wir haben eine Familien-WhatsApp-
Gruppe für Fotos und Geburtstagsvideos.
Emma bastelt mit Hingabe zu Weihnach-
ten für ihren Papa und seinen Partner. Wir
reden viel über die beiden. Aber sie werden
nicht konsultiert bei Entscheidungen. Die
Männer sagen auch: Ihr seid die Eltern.
Sonja: Er spielt eine größere Rolle, als ich
je gedacht hätte. Emma sagt, sie habe
zwei Mamas und zwei Papas. Inzwischen
kann ich mir nicht vorstellen, dass der
Kontakt jemals abbricht. Er gibt sich gro-
ße Mühe, ihre Nähe zu finden, sie aber
auch nicht zu groß werden zu lassen.

Was ist die größte Herausforderung, als
lesbisches Paar ein Kind zu bekommen?
Anica: Das ständige Outing. Und gleich-
zeitig dem Kind das Gefühl zu geben,
unsere Familienkonstellation sei ganz
normal.
Sonja: Erst hast du die ganze Zeit die
rechtlichen Fragen im Hinterkopf: Notar,
Testament, Adoption. Eineinhalb Jahre
nach der Geburt war ich rein rechtlich
immer noch kein Elternteil. Dann musst
du ständig erklären, wo dieses Kind her-
kommt, das mich Mama nennt und Anica
Mami. Heteropaare werden eher selten
gefragt, wie das bei ihnen lief.

Was ist das Beste daran, als lesbisches
Paar ein Kind zu bekommen?
Anica: Es ist toll, diese festgefahrenen
Rollen aufzubrechen – auch für das Kind.
Wir können beide mit Emma kuscheln
und Quatsch machen, ich spiele mit ihr
Fußball und Gitarre, gleichzeitig koche
ich mit ihr. Bei uns sitzt diejenige am
Steuer, die gerade Lust hat zu fahren.
Sonja: Wir müssen keine Klischees leben.
Wir können uns jeden Tag neu überlegen,
wie wir diese Rollen ausfüllen möchten.

Wer von Ihnen zahlt mehr im Alltag?
Anica: Sonja. Weil sie mehr verdient. Die
Abzahlung der Wohnung geht von ihrem
Konto ab. Einkäufe zahle ich. Ich habe
eine Bankkarte für ihr Konto, aber ich
verdiene genug, um das selbst zu zahlen.
Sonja: Anica geht öfter einkaufen, also
wahrscheinlich eher sie. Bei größeren Sa-
chen wie Urlaub ist klar, dass das über
mein Konto läuft.

Worüber streiten Sie?
Anica: Wir streiten nicht. Ich würde strei-
ten, wenn ich nicht wüsste, dass es Sonja
so mitnimmt. Aber eigentlich bin ich
ganz froh. Es ist wichtiger, dass man mit-
einander spricht.
Sonja: Wir streiten nicht. Ich glaube, Ani-
ca würde gern öfter. Sie ist die tempera-
mentvollere von uns beiden. Ich bilde
mir aber ein, es tut ihr auch gut, dass ich
das ausgleichende Element bin.

Wie lief der Heiratsantrag ab?
Anica: Ich habe irgendwann die Treppe
runtergerufen: »Du heiratest mich eh
nicht.« Als ich dann ins Bad kam, hing am
Spiegel ein Post-it, darauf stand: Willst du
mich heiraten? Daneben ein zweiter: Das
ist mein Ernst! Ich habe Ja drauf geschrie-
ben und ihn an ihren Schreibtisch geklebt.
Sonja: Ich dachte damals: Warum die
Mühe mit dieser eingetragenen Lebens-
partnerschaft, wenn sich nichts wirklich
ändert, nicht mal die Steuerklasse? Anica
war eher romantisch veranlagt und hat ge-
bohrt. Es war eine spontane Entscheidung
von mir. Ich habe einen Post-it mit dem
Heiratsantrag an den Spiegel gehängt,
dann dachte ich: Die denkt jetzt sicher, ich
mache mich über sie lustig. Deshalb der
zweite Zettel mit: Das ist mein Ernst.

Wie hat sich Ihre Beziehung verändert,
seit Sie Eltern sind?
Anica: Wir haben weniger Zeit füreinan-
der. Abends sind wir oft froh, einfach auf
der Couch zu chillen.
Sonja: Abends ertappen wir uns dabei,
dass wir vergessen haben, einander zu
fragen: Wie war dein Tag heute? Da sind
wir nicht anders als andere Paare.

Aufgezeichnet von Sarah Levy

Unsere Gesprächspartner waren bereit,
offen und ehrlich über ihre Beziehung zu
sprechen – allerdings nur, wenn wir ihre
Nachnamen nicht nennen

Sonja, 42, und Anica, 32 (unten), sind seit sechs Jahren
verpartnert. Sie haben eine Tochter

Sie sagt


Sie sagt


Wie gleichberechtigt ist ihre Beziehung?


Hier erzählen Paare, wie sie versuchen, das


Leben gemeinsam auf die Reihe zu kriegen


Foto: Anne-Sophie Stolz für DIE ZEIT

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52 15. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 34


© ermess/Shutterstock, Sailing Classics, Kai19/Shutterstock, Aleksandra Zaitseva/Shutterstock, Dirk Ott/iStockphoto | Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg. Veranstaltet durch: Die Landpartie Radeln & Reisen GmbH, Am Schulgraben 6, 26135 Oldenburg; Sailing Classics GmbH,
Kirchheimer Straße 60, 70619 Stuttgart; Windrose Finest Travel GmbH, Wallstraße 9-13, 10179 Berlin

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