Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1
Illustration: DZ; Abb.: YouTube (4)

Per Rechtsklick


YouTube ist für viele Jugendliche die wichtigste


Informationsquelle. Neue Rechte und junge Identitäre


nutzen das für ihre Propaganda VON TANYA FALENCZYK


Rezos radikale


rechte Brüder


Sie arbeiten für einen Rechtsruck und
benutzen YouTube als Werkzeug: Der
Kanal »Laut Gedacht« bringt wöchent­
lich ein Video. Niklas Lotz alias
Neverforgetniki feierte einen Erfolg
mit »Die ZERSTÖRUNG von
Fridays for Future«. Martin Sellner ist
das Gesicht der Identitären. Bei
IdiotenWatch schmäht eine Stimme
aus dem Off Politikerinnen. Laut Gedacht: 45.000 Abonnenten Neverforgetniki: 66.000 Abonnenten Martin Sellner: 107.000 Abonnenten IdiotenWatch: 38.000 Abonnenten

2023 fester Bestandteil aller Lehrpläne sein. Der
Medienführerschein in Bayern soll Schülern beibrin­
gen, sich im »Informationsdschungel Internet« zu
orien tie ren. Fragt man Schüler danach, sagen sie: »Da
erklären uns Leute das Internet, die viel weniger
Ahnung haben als wir.«
Julia Ebner ist der Meinung, dass das Problem der
Manipulation zu sehr als »Problem der neuen Tech­
nik« gesehen wird. Dabei mangele es nicht am Ver­
ständnis für das Internet, vor allem nicht bei Jugend­
lichen, sondern an Aufklärung über den neuen so­
zialen Raum, der online entstanden ist. »Den müssen
wir besser verstehen, dort müssen Lehrer ausgebildet
werden«, sagt Ebner. Momentan gehört dieser Raum
noch häufig den Rechten.
YouTube scheint zumindest das Problem erkannt
zu haben. Das Unternehmen setzt auf mehrere
Maßnahmen, um etwas gegen Des infor ma tion zu
tun. Bei Kanälen, die wie RT von autoritären Re­
gierungen finanziert werden, findet sich immer
öfter ein Hinweis unter den Videos, ähnlich den
Warnungen auf Zigarettenpackungen: »RT is funded
in whole or in part by the Russian government«, da­
neben ein Link zu der Wikipedia­Seite des Senders.
Außerdem soll die Suche nach bekannten Verschwö­
rungstheorien wie der angeblich gefälschten Mond­
landung nun zu mehr Videos führen, die diese
Theorien widerlegen. Und seit Anfang Juni sollen
Kanäle, die extremistische Inhalte verbreiten, kein
Geld mehr für Werbung bekommen, oder sie wer­
den sogar gelöscht.
Viele kritisieren, dass es der Plattform noch
nicht gelungen sei, gefährliche Inhalte zu identifi­
zieren, ohne die Meinungsfreiheit zu bedrohen.
You Tuber berichten von scheinbar wahllosen Be­
strafungen. Nicht wenige finden, dass eine Firma
wie You Tube nicht allein bestimmen sollte, welche
Inhalte demokratiegefährdend sind.
Formate wie Laut Gedacht verstehen es bisher,
rassistische, teils menschenverachtende Inhalte zu
verbreiten, ohne sich strafbar zu machen. Das
könnte sich durch die neuen Richtlinien von You­
Tube ändern. Grundsätzlich sei es gut, dass You­
Tube aktiv wird, sagt Julia Ebner, aber längerfristig
müsse sich etwas am Geschäftsmodell der Platt­
form und somit am Algorithmus ändern. »Lösch­
mechanismen sind nur kurzfristig effektiv.«
Am vergangenen Freitag löschte You Tube das
neueste Video von Laut Gedacht, es war noch
nicht einmal zwölf Stunden online. Klickt man
auf den Link, heißt es: »Dieses Video wurde ent­
fernt, weil es gegen die You Tube­ Richt linien zu
Hassreden (›Hate­ Speech‹) verstößt.« Das Video
hatte den Titel »Frankfurt – Ein Zugunglück?«.
Wie die neue Strenge von You Tube wirkt, lässt sich
noch nicht sagen. Auf der Face book­ Seite von
Laut Gedacht kommentiert ein Fan: Ȁrgerlich,
das Video muss sehr gut gewesen sein.«

A http://www.zeit.de/audio

Richtig Deutsch lernen:


Wie gut ist die


Sprachförderung in


Kitas und Schulen?


CHANCEN Seite 61


E


in Video auf You Tube, 152.000
Views. In die Kamera schauen
zwei Männer, einer trägt Norwe­
gerpulli und zurückgegelte Haare,
der andere eine runde Brille und
Vollbart, sie sehen aus wie hippe
Studenten Mitte 20. Doch da ist
noch etwas anderes. Im Hintergrund hängen an
einem Fensterladen Socken in Schwarz­Rot­Gold,
daneben ein Schild: »Sachsen muss stabil bleiben«,
in altdeutscher Schrift. »Ist Klima­Greta ein Fake?«,
fragt der Videotitel.
»Dem Klima nutzt der Kohleausstieg gar
nichts, aber Deutschland wird damit wirtschaft­
lich geschadet«, sagt der Mann im Norwegerpulli.
Schnitt, nächstes Thema: Es geht um deutsche
Frauen, die angeblich Männer ohne Bleiberecht
heiraten. »Geschichten von alten vertrockneten
Jungfern, die ihren Traumprinzen aus fernen Län­
dern gefunden haben. Und wenn sie nicht gestor­
ben sind, dann leben sie noch heute.« Darüber
wird die Schlagzeile einer Leipziger Lokalzeitung
eingeblendet: »Asylbewerber ersticht seine Frau«.
Jung, hip, rechts: Das ist der You Tube­ Kanal
»Laut Gedacht«. Er bezeichnet sich als Satire, die
das aktuelle Geschehen kommentiert. Fast
42.000 Menschen haben ihn abonniert. 133 Fol­
gen gibt es mittlerweile, jede Woche kommt ein
neues zehnminütiges Video dazu. Es existieren
noch viele ähnliche deutsche You Tube­ Kanä le, sie
heißen Martin Sellner, Neverforgetniki oder
Idioten Watch und haben zwischen 30.000 und
100.000 Abonnenten. Sie alle richten sich vor al­
lem an junge Leute.
YouTube ist für alle zugänglich und erfüllt so
eines der großen Versprechen des Internets. Die
New York Times nennt die Plattform »eines der
mächtigsten Instrumente des 21. Jahrhunderts«.
Seit dem »Zerstörungsvideo« des You Tubers Rezo
ist auch der deutschen Öffentlichkeit bewusst,
dass ihr Einfluss enorm unterschätzt wurde.
Eine Studie des Rats für Kulturelle Bildung, ei­
nes von Stiftungen gegründeten Be ra ter gre miums,
im Juni 2019 ergab, dass You Tube für 86 Prozent
aller Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren ein
digitales Leitmedium ist. Wenn sie nach Informa­
tionen suchen, ist You Tube nach Suchmaschinen
wie Google die wichtigste Quelle. Im Gegensatz
dazu nutzen nur 22 Prozent der Jugendlichen die
Nachrichtenportale von Zeitungen.
YouTuber bilden unsere Jugend. Aber wissen
wir, wer sie sind und wie sie arbeiten?
Die beiden Männer, die Witze über Greta und
Schein ehen machen, sind nicht nur You Tuber.
Philip Thaler, 25, und Alex Malenki, 27, gehören
zusammen mit ungefähr 15 anderen zur Kern­
gruppe der Aktivisten der deutschen Identitären
Bewegung, kurz IB, damit sind sie Teil der soge­
nannten Neuen Rechten. Der Verfassungsschutz
stufte die IB im Juli dieses Jahres als rechtsextre­

mistisch ein, er schätzt die Mitgliederzahl auf 600.
Die meisten von ihnen sind unter 30, auch ihre
Inhalte richten sich an jüngere Menschen. Ihre
Ideologie verbreiten sie unterschwelliger als andere
rechtsextreme Gruppen, so sprechen sie zum Bei­
spiel statt von »Rassen« eher von »Völkern«. Zuerst
trat die Gruppe nur online auf, bald gab es auch
offline Aktionen: Sie stürmten Hörsäle, verteilten
Flugblätter vor Schulen. Doch auch dies war fürs
Internet gemacht. Dort bekommen die Videos der
Aktionen mehrere Hunderttausend Zuschauer.
Wie viele Jugendliche unter den 42.000 Abon­
nenten von Laut Gedacht sind, ist nicht klar. Die
Statistik des Kanals sagt: Die meisten Zuschauer
sind Männer zwischen 20 und 35. Aber die wenigs­
ten geben auf You Tube ihr echtes Alter an, weil
viele Videos für Minderjährige gesperrt sind. »Der
jüngste Zuschauer, von dem ich weiß, ist elf«, erzählt
Thaler in einem Café in Leipzig. »Viele sind unter
18«, sagt auch Malenki. Die beiden wehren sich
dagegen, dass ihr Format »betont jugendlich« sei.
»Wir machen einfach, was uns gefällt, und wir sind
eben jung und hip«, sagt Thaler. Beide versuchen
im Gespräch immer wieder zu relativieren, was nach
bewusster Strategie klingen könnte. Die Botschaft:
Wir sind harmlose Frei zeit­ You Tuber.
Malenki sagt, er habe mit Laut Gedacht ange­
fangen, weil er »eine Lücke in den Me dien« er­
kannt habe. Thaler sagt: »Wenn Leute sich nur
über Main stream­ Medien informieren, geraten al­
ternative Sichtweisen in den Hintergrund. Die
Leute sollen sich alles anhören und sich ihre eigene
Meinung bilden.« Die IB beansprucht für sich
selbst gern das Bild der Freidenker, also der Einzi­
gen, die sich trauten, zu sagen, was wirklich ist.
Bei jungen Leuten wie Vilhelm, Fredrik und
Lorenzo kommt das gut an. Sie sitzen an einem
Tag im Mai auf einer Wirtshausterrasse in Icking
bei München, um mit der ZEIT darüber zu spre­
chen, wie sie sich politisch informieren. Sie sind
alle 18 Jahre alt, haben gerade ihr Abitur gemacht.
An ihrer Schule gab es im vergangenen Jahr eine
Diskussion über Journalismus und Fake­ News,
dort haben die drei besonders kritisch über die
klassischen Nachrichtenseiten gesprochen. Wie
viele ihrer Mitschüler erzählten sie, dass sie Nach­
richten zuerst auf You Tube mitbekommen. Im
Schnitt sind sie eineinhalb Stunden pro Tag auf
You Tube, schätzen sie, Vilhelm drei. Mit der Re­
porterin schauen sie sich zum ersten Mal eines der
Videos von Laut Gedacht an.
Keiner der drei erkennt darin rechte Inhalte.
»Der mit dem Bart ist schon witzig«, sagt Vilhelm.
»Das ist ’ne angenehme Mischung, man bekommt
Informationen, es ist aber auch Unterhaltung da­
bei«, sagt Lorenzo. Was die Identitäre Bewegung
ist, wissen sie nicht.
Auch die drei Abiturienten sehen You Tube als
eine Art Korrektiv, eine »Alternative zu Medien­
konzernen oder der Tagesschau«. Auf den Titelsei­

ten von Zeitungen sehe er immer dieselben Na­
men, sagt Fredrik. Formate wie Russia Today
(RT), ein russischer Sender, der auch erfolgreiche
deutschsprachige You Tube­ Kanä le führt, gäben
ihm einen anderen Einblick. Die drei Jugendlichen
haben das Gefühl, sie könnten sich unabhängiger
ein eigenes Bild von einer politischen Situation
machen, wenn sie sich die unterschiedlichsten La­
ger anhören. »Ich schaue mehrere You Tuber, die
sich total widersprechen«, sagt Vilhelm. »Ich finde
das wichtig, um mir eine eigene Meinung über das
Thema zu bilden«, sagt Fredrik.
Julia Ebner ist Extremismusforscherin am Lon­
doner In sti tute for Strategic Dia logue, sie untersucht
dort seit Jahren sowohl rechtsextreme Gruppen wie
die Identitäre Bewegung als auch islamische Radika­
lisierung im Netz. Ihre Erkenntnisse veröffentlichte
sie 2017 in dem Buch Wut: Was Islamisten und Rechts-
extreme mit uns machen. Die Identitären hätten schon

sehr früh gewusst, wie sie die sozialen Medien richtig
nutzen, sagt Ebner. »Ihnen geht es vor allem um die
junge Generation, sie wollen eine Gegenbewegung
großziehen, die dann politisch etwas bewirken kann.«
Die Plattform You Tube, auf der sich Jugend­
liche mehrheitlich informieren, belohnt steile The­
sen, Drama, Konflikt. Denn das hält Nutzer lange
auf der Seite, und je höher die Klickzahlen, desto
höher die Werbeeinnahmen. Ein Empfehlungs­
Algorithmus rechts neben dem Video zeigt weitere
Links an. Diesen Links zu folgen macht 70 Prozent
der Zeit aus, die User auf der Seite verbringen, teilt
You Tube mit. Auch Vilhelm, Fredrik und Lorenzo
lassen sich größtenteils vom Algorithmus leiten.
Stu dien haben gezeigt, dass man so bei immer ex­
tremeren Inhalten landet.
»Die YouTube­Videos der Identitären funktionie­
ren sehr gut mit dem Algorithmus, sie lösen Empö­
rung aus, das hält User möglichst lange«, sagt Ebner.

Wer Videos zum Thema Mi gra tion sucht, landet sehr
wahrscheinlich bei den Neuen Rechten.
Wie gewinnt YouTube das Vertrauen der jun­
gen User? Für Vilhelm, Fredrik und Lorenzo spielt
vor allem Sympathie eine große Rolle. »Vertrauen
kommt nach mehreren Videos«, sagt Vilhelm,
»wie eine Freundschaft, die sich aufbaut.« Außer­
dem stellten Quellen, die in einem dazugehörigen
Infokasten verlinkt sind, Vertrauen her. Das macht
auch Laut Gedacht. Vilhelm sagt, er folge solchen
Links oft gar nicht, ihn überzeuge schon, dass er
Fakten nachprüfen könnte, wenn er wollte.
Wem man da gerade sein Vertrauen schenkt, ist
oft schwer zu erkennen. Laut Gedacht etwa legt
viel Wert darauf, als unabhängiger You Tube­ Kanal
wahrgenommen zu werden. Dass sie ein Format
der Identitären seien, dagegen wehren sie sich:
»Das ist faktisch falsch«, sagt Thaler. »Es ist kein
Geheimnis, dass wir auch Aktivisten sind«, sagt
Malenki, »das hat aber mit dem Format nichts zu
tun.« Zu sagen, Laut Gedacht sei von den Identitä­
ren, klinge nach Agenda. »Unsere Agenda ist
Spaß.« Doch dass hier nicht nur zwei kleine You­
Tuber ein bisschen Spaß haben wollen, ist deutlich
erkennbar. Denn nicht nur die Inhalte sind nah an
dem Aktionismus der Identitären: Am Ende jedes
Videos steht ein Dank an alle Unterstützer, darun­
ter das Logo von »Ein Prozent«, einem Crowdfun­
ding­Portal für rechte Kampagnen, mitgegründet
von Götz Kubitschek, einem der wichtigsten Stra­
tegen der Neuen Rechten. Wie genau diese Unter­
stützung aussieht, für die gedankt wird, wollen
Malenki und Thaler nicht sagen. »Ein Prozent
hilft vor allem mit Know­how, Technik, Quellen­
verlinkung. Solche Sachen«, sagt Malenki. Ob Ein
Prozent sie auch bezahlt, sagt er nicht.
Die Videos sind professionell produziert, obwohl
keine Werbung geschaltet ist, sie also kein Geld
bringen. Dass es ein Team gebe, das bei der Produk­
tion helfe, erzählen Malenki und Thaler. Aber wie
genau dieses Team aussieht, ob andere Identitäre
beteiligt sind, verraten sie nicht, »Betriebsgeheimnis«,
Mitarbeiter gebe es »über zwei und unter 20«.
Julia Ebner nennt das die Trojanische­Pferd­
Strategie, auf die Identitäre oft zurückgriffen, um
als weniger extrem gesehen zu werden. So erreich­
ten sie auch Menschen über ihr traditionelles
Publikum hinaus. Ebner hat beobachtet, wie
Accounts in Foren wie Discord zuerst nur über
Hobbys posten, Unpolitisches, um Vertrauen zu
gewinnen, dann nach und nach Videos wie die
von Laut Gedacht teilen, um schließlich rechte
Ansichten immer offener zu verbreiten.
Jugendliche verlieren sich auf der Suche nach
einer eigenen Meinung in einem rechten In for ma­
tions netz werk. Außerhalb des Internets bringen El­
tern und Lehrer ihnen bei, dass Komasaufen gefähr­
lich ist und Kondome wichtig sind. Doch im Netz
haben die Erwachsenen wenig Kompetenzen. Digi­
tale Bildung soll laut Bundesbildungsministerium bis

Beobachtete Extremisten


Im Juli stufte der Verfassungsschutz die Identitäre
Bewegung (IB) als rechtsextremistisch ein. Ihre
Positionen seien nicht mit dem Grundgesetz
vereinbar. Die IB entstand in Frankreich und hat
sich in viele europäische Länder verbreitet, seit
2014 ist sie in Deutschland als Verein
eingetragen. Dort hat sie nach Angaben des
Verfassungsschutzes derzeit etwa 600 Mitglieder.
Die Anhänger sind der Überzeugung, dass
Menschen unterschiedlicher Ethnien nicht
gemeinsam in einer Gesellschaft leben sollten.


  1. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 34 BILDUNG WISSENSCHAFT BERUF


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