Süddeutsche Zeitung - 20.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
Berlin– Zum ersten Mal hat die Bundesre-
gierung humanitären Forderungen nach-
gegeben, Familienmitglieder von Terroris-
ten der Miliz „Islamischer Staat“ (IS) aus sy-
rischer Haft zurück nach Deutschland zu
holen. Vier kleine Kinder sind deshalb am
Montagmittag an einem Grenzübergang
zwischen Syrien und dem Irak in Empfang
genommen worden, eine Delegation deut-
scher Konsularbeamter stand bereit. Bis-
her lebten die Kinder im Internierungsla-
ger Al-Haul in Nordsyrien.
Es handelt sich um drei Waisenkinder,
deren deutsche Eltern sich dem IS in Syri-
en angeschlossen hatten, und ein schwer
krankes, im Kriegsgebiet geborenes Mäd-
chen, zehn Monate alt, mit einem Wasser-
kopf. Erst vor wenigen Tagen hatte die Mut-
ter des Mädchens sich direkt an Bundesau-
ßenminister Heiko Maas (SPD) gewandt,
sie „erwarte“ Hilfe, sagte sie in einer Audio-
botschaft, dieSüddeutscher Zeitung,NDR
und WDR vorliegt. Nachdem das Mädchen
notdürftig operiert wurde, hat es eine Sep-
sis erlitten. „Sie lächelt nicht mehr, sie
guckt mich nicht mehr bewusst an“, sagte
die Mutter. Die Kinder sollen nun zunächst
in die nordirakische Stadt Erbil gebracht
und dann, sobald medizinisch möglich,
nach Deutschland ausgeflogen werden.
„Wir werden uns dafür einsetzen, dass
auch weitere Kinder Syrien verlassen kön-
nen“, sagte Maas am Montag in Berlin.
Die Entscheidung war erst nach monate-
langen Diskussionen getroffen worden, in-
nerhalb der Bundesregierung ging es hin

und her über die Frage, wie man mit dem
Problem der deutschen IS-Kämpfer und ih-
rer Familien umgehen soll. Trotz erhebli-
chen Drucks der USA und der Kurden will
Berlin keinesfalls alle zurückholen. In Wa-
shington wächst die Wut darüber, gerade
erst drohte US-Präsident Donald Trump er-
neut, man würde die europäischen Kämp-
fer womöglich freilassen. Nathan Sales, im
US-Außenministerium zuständig für die
Bekämpfung des Terrorismus, höhnt: „Ko-

sovo und Kasachstan sind besser darin, ih-
re Leute vor Gericht zu stellen, als reiche
Demokratien des Westens.“
An ihrer abwehrenden Haltung will die
Bundesregierung festhalten – jedenfalls
gegenüber Erwachsenen. Juristisch gelte
natürlich für alle Deutschen das Recht auf
Rückkehr. Aber eine Verpflichtung, sie ak-
tiv zurückzuholen, gebe es nicht. In den in-
zwischen zahlreichen Gerichtsprozessen –
auch im aktuellen Fall der Kinder hatte der
Hannoveraner Rechtsanwalt Dirk Schoeni-
an vor dem Verwaltungsgericht Berlin ge-
klagt – argumentiert die Regierung: Man
befinde sich „in Übereinstimmung“ mit
den meisten EU-Staaten. Es würde „ge-
wichtige außenpolitische Belange“ beein-
trächtigen, IS-Kämpfer zurückzuholen,
auch weil sie „dann auch Gefahren für die
Nachbarländer darstellen“ könnten.
Die Kinder sind eine Ausnahme. Sie
sind selbst Opfer. Auch aus den Sicherheits-
behörden kamen Warnungen, je länger die
deutschen Kinder sich in den Internie-
rungslagern befänden, umso größer sei
die Gefahr ihrer Radikalisierung. Es sei bes-
ser, sie jetzt zu holen. So argumentieren
auch die Kurden. „Das wird die nächste Ge-
neration von Terroristen, die uns allen ge-
fährlich werden“, sagt ein hochrangiger
kurdischer Offizieller. Frankreich, Schwe-
den, Belgien und eine Reihe anderer Staa-
ten haben deshalb bereits vor Monaten da-
mit begonnen, Kinder herauszuholen.
Meist sind es Waisen.
georg mascolo, ronen steinke

München– DieCrew des spanischen Ret-
tungsschiffsOpen Armshat am Montag
ein weiteres Angebot der eigenen Regie-
rung abgelehnt. Madrid hatte angeboten,
dass das Schiff mit 107 Migranten an Bord
an der Baleareninsel Menorca anlegen
könnte. Eine mehrtägige Überfahrt könne
den teils traumatisierten 107 Flüchtlingen
nach zweieinhalb Wochen an Bord nicht
mehr zugemutet werden, sagte „Open-
Arms“-Initiator Oscar Camps. „Wir sind
überfordert, die 107 Leute zu betreuen, die
wir noch an Bord haben“, twitterte er.
Bereits am Sonntag hatte Open Arms
das Angebot von Regierungschef Pedro

Sánchez abgelehnt, in Algeciras zu landen.
Es sei unmöglich, mit dem Schiff die rund
einwöchige Fahrt dorthin anzutreten. Die
hygienischen Bedingungen nach Wochen
mit anfangs rund 150 Geretteten und dazu
19 Helfern seien nicht mehr verantwort-
bar, vor allem aber seien die Migranten psy-
chisch an ihre Grenzen gekommen. Die
Strecke nach Menorca wäre fast um die
Hälfte kürzer als nach Algeciras gewesen.
DieOpen Armslag zuletzt weniger als ei-
nen Kilometer vor der sizilianischen Insel
Lampedusa, wo ihr der italienische Innen-
minister Matteo Salvini das Anlegen unter-
sagt. Lediglich zwei Dutzend Minderjähri-

ge und einige Kranke durften auf die Insel.
Open Arms beklagte, dass man den Men-
schen bei schlechten Wetterbedingungen
nochmals eine dreitägige Fahrt zumuten
wolle, obwohl das Schiff so nahe an Lampe-
dusa stehe. Doch Lega-Innenminister Sal-
vini wiederholte am Montag, er werde die
Open Armsnicht in Italien anlegen lassen.
Der italienische Transportminister Da-
nilo Toninelli hat hingegen angeboten, die
ihm unterstehende italienische Küstenwa-
che könne dieOpen Armsmit Schiffen be-
gleiten. Sein Vorschlag könnte mit der
zerbrechenden Koalition in Italien zu tun
haben: Toninelli gehört der Cinque-Stelle-

Partei an, die derzeit auf Konfrontations-
kurs mit Salvinis Lega liegt.
Die EU-Kommission appellierte an die
Mitgliedsländer, nun möglichst schnell ei-
ne Lösung zu finden. Das gelte auch für die
fast 360 Menschen, die auf einem anderen
privaten Rettungsschiff ohne Landeerlaub-
nis momentan aufs Meer verbannt sind.
DieOcean Viking, die für Ärzte ohne Gren-
zen und SOS Mediterranée im Einsatz ist,
kreuzt seit mehr als einer Woche mit den
geretteten Migranten zwischen Sizilien
und Malta herum. Fast ein Drittel der Men-
schen sind Ärzten ohne Grenzen zufolge
minderjährig. andrea bachstein

München– Inder nordsyrischen Rebellen-


enklave Idlib wächst die Gefahr eines Zu-
sammenstoßes zwischen der Armee von


Machthaber Baschar al-Assad und türki-


schen Soldaten. Am Montag berichteten


türkische wie regimetreue syrische Medi-


en, dass Kampfflugzeuge zweimal einen


türkischen Konvoi in der Nähe der Stadt


Khan Scheichun angegriffen haben. Nach


Angaben des türkischen Verteidigungsmi-


nisteriums kamen dabei drei Zivilisten


ums Leben, zwölf wurden verletzt. Der Zwi-


schenfall dürfte zudem die Beziehungen


zwischen Moskau und Ankara belasten.


Die syrische Armee hatte Ende April ei-

ne Offensive auf die Region Idlib gestartet,


das letzte größere Gebiet unter Kontrolle


von Aufständischen. Während der Vorstoß


trotz massiver Unterstützung der russi-


schen Luftwaffe zunächst kaum vom Fleck


kam, gelang es den syrischen Verbänden in


der vergangenen Woche, einen Keil in das


hauptsächlich von islamistischen Milizen


kontrollierte Gebiet zu treiben. Die Stadt


Khan Scheichun und ihr südliches Umland


droht nun eingekesselt zu werden.


Khan Scheichun wäre die erste größere

Stadt, die syrische Einheiten in der Region


einnehmen könnten. Der Ort hat im April


2017 traurige Berühmtheit erlangt, als min-


destens 86 Menschen bei einem Giftgasan-


griff starben, mutmaßlich nach Kontakt


mit dem Nervenkampfstoff Sarin. Eine Un-


tersuchungskommission der UN kam spä-


ter zu dem Schluss, dass die syrische Regie-


rung für den Angriff verantwortlich sei.


In dem nun von einer Einkesselung be-
drohten Gebiet liegt ein Stützpunkt der tür-
kischen Armee. Um eine humanitäre Kata-
strophe und neue Flüchtlingsbewegungen
unter den mehr als drei Millionen Einwoh-
nern Idlibs zu verhindern, hatten sich Russ-
land und die Türkei im Sommer 2017 in As-
tana auf die Errichtung von Beobachterpos-
ten entlang der Front verständigt. Die in Id-
lib mächtige, al-Qaida-nahe Miliz Hayat
Tahrir al-Sham duldete damals die Entsen-
dung türkischer Soldaten. Im Herbst 2018
verpflichtete sich die Türkei in einem neu-
en Abkommen mit Russland, die Gruppe
zu entwaffnen, was jedoch nie gelang.

Von den ursprünglich zwölf geplanten
Stützpunkten hat die Türkei seit 2017
sechs tatsächlich in Betrieb genommen, un-
ter ihnen einer am südlichsten Ende des Re-
bellengebietes nahe des Ortes Murak. Zu
diesem Beobachtungsposten war der türki-
sche Konvoi ab dem frühen Montagmor-
gen mit Nachschub, aber auch einigen auf
Lkws geladenen Panzern unterwegs, als
Kampfflugzeuge um 8.55 Uhr das erste
Mal angriffen. Nach Angaben von Oppositi-
onsaktivisten, die den Funkverkehr der sy-
rischen Armee abhören, sollten die Kampf-
flieger verhindern, dass die Lkws ihr Ziel er-
reichen. Ein türkischer Offizier vor Ort soll

zudem gesagt haben, dass mit dem Materi-
al zwei weitere Beobachtungsposten nahe
der Front errichtet werden sollten.
Während das Außenministerium in Da-
maskus die Entsendung des Konvois als ei-
nen „ungeheuerlichen Eingriff“ in die syri-
sche Souveränität ansah, verurteilte das
türkische Verteidigungsministerium den
Angriff auf seine 25Militärwagen aufs
Schärfste. Der türkische Protest richtete
sich jedoch weniger gegen die syrische Ar-
mee, als gegen die russische Führung.
Noch ist nicht sicher, ob die angreifenden
Flugzeuge zur russischen oder syrischen
Luftwaffe gehörten. Doch so oder so trägt
Moskau mindestens eine Mitverantwor-
tung für den Angriff: Ohne Zustimmung
russischer Kommandanten hebt kein Flug-
zeug von Assads Luftwaffe in Syrien ab.
Das türkisch-russische Verhältnis pen-
delt seit Jahren zwischen Anspannung und
Annäherung. Im Syrienkrieg unterstützen
beide unterschiedliche Seiten, versuchen
in den Astana-Gipfeln aber Kooperationen
zu finden, bei denen EU, USA und UN au-
ßen vor bleiben. Zwischenfälle wie der von
Montag erinnern an das Jahr 2015, als die
Türkei einen russischen Jet abschoss und
so eine schwere politische Krise auslöste.
Gleichzeitig versucht Moskau die Türkei
aus dem Kreis der Nato-Staaten zu lösen.
Der gegen den heftigen Prostet der USA er-
folgte Verkauf des russischen Luftabwehr-
systemsS-400an die Türkei in diesem
Sommer war da ein großer Erfolg für Mos-
kau. moritz baumstieger

Brüssel –Anuna DeWever ist öffentliche
Auftritte gewohnt: Die 18-Jährige ist das
belgische Gesicht der Fridays-for-Future-
Bewegung. Auch dass sie von einem Teil
des Publikums ausgebuht wird, wie bei ih-
rem Auftritt auf einem Musikfestival im
ostbelgischen Hasselt, dürfte De Wever in-
zwischen gewohnt sein. Nach ihrem Auf-
tritt aber wurden De Wever und ihre Freun-
de von ein paar Kritikern bedroht, ihr Zelt
zerstört. Augenzeugen zufolge hatten die
Angreifer Flaggen mit dem Löwen der bel-
gischen Region Flandern bei sich. Und so
kam es, dass De Wever, deren politisches
Wirken sich sonst auf den Kampf gegen
den Klimawandel beschränkt, eine Debat-
te über die Unabhängigkeitsbestrebungen
des flämischsprachigen Nordens des Lan-
des auslöste.

Kern des Streits ist ein „vexillologi-
sches“ Detail, wie die Lehre vom Fahnen-
wesen heißt: Der Löwe auf der offiziellen
Flagge von Flandern hat rote Krallen; der
auf den Flaggen der Angreifer hatte dage-
gen schwarze. Ein Löwe mit schwarzen
Krallen aber gelte als Symbol der Kollabo-
ration mit dem Dritten Reich, so die Veran-
stalter – und verbannten am Freitag mit
dieser Begründung Fahnen mit dem
schwarzbekrallten Löwen vom Festivalge-
lände.
Das wiederum löste in Flandern hefti-
gen Protest aus: die Flagge symbolisiere le-
diglich die Unabhängigkeit von Flandern,
schrieb etwa Peter De Roover, Fraktions-
chef der flämischen Separatistenpartei
N-VA, in einem offenen Brief an die Veran-
stalter. Auch gemäßigte Politiker aus dem
flämischsprachigen Norden schrieben, sie
fühlten sich durch das Verbot beleidigt. Im
öffentlich-rechtlichen Rundfunk meldete
sich ein Historiker zu Wort: Es sei zwar rich-
tig, dass die radikalsten Separatisten in
Flandern damals das Nazi-Regime unter-
stützt hätten, deswegen sei aber längst
nicht jeder Separatist ein Anhänger des NS-
Regimes gewesen. Wenn alle Fahnen mit
schwarzkralligen Löwen verboten würden,
sei das so, als würden alle Autos beschlag-
nahmt, nur weil ein einziger Autofahrer
nach einem Unfall Fahrerflucht begangen
habe, schrieb De Roover in seinem offenen
Brief. Am Samstag musste auch die Festi-
valleitung einlenken. Sie entschuldigten
sich für die „Missverständnisse“, die es we-
gen der Flaggen gegeben habe.
Ein Erfolg dürfte der Vorfall hingegen
für die rechtsradikale Partei Vlaams Be-
lang gewesen sein, die bei der Regional-
wahl in Flandern mit 18,5 Prozent der Stim-
men zweitstärkste Kraft wurde: Nachdem
die Festivalleitung das Verbot aufgehoben
hatten, verteilte die Jugendorganisation
der Partei auf dem Gelände 500 Flaggen
mit dem schwarzbekrallten Löwen.
karoline meta beisel

von oliver meiler

Rom– Orsola ist kein sehr gängiger italie-
nischerVorname. Es ist sogar möglich,
dass viele Italiener die deutsche Entspre-
chung Ursula besser kennen. Wenn nun
der Name in der Entscheidungsphase der
römischen Regierungskrise in aller Munde
ist, im hitzigen Politbetrieb genauso wie
im zugewandten Medienzirkus, dann hat
das ein bisschen mit Ursula von der Leyen
zu tun, indirekt wenigstens. „Ursula“ – das
klingt jetzt wie die Losung für die Zukunft
des Landes.
Dafür hat Romano Prodi gesorgt, 80 Jah-
re alt, eine Art Übervater des linksliberalen
bis christlichsozialen Lagers, des Centro-
sinistra. In Italien nennen sie den früheren
Premier und Amtsvorgänger von der Ley-
ens an der Brüsseler Kommissionsspitze
auch „Professore“. Nicht nur, weil er einst
dozierte, sondern weil er ein gesetzter, wei-
ser Mann ohne Drang zur Bühne ist. Das
schärft sein Ansehen markant. Prodi also
hat in der römischen ZeitungIl Messaggero
einen Meinungsartikel geschrieben, in
dem er seinen Parteifreunden vom sozial-
demokratischen Partito Democratico zu ei-
ner dauerhaften Koalition mit den Cinque
Stelle riet, so die dann in ein klar formulier-
tes und eingehend debattiertes Regie-
rungsprogramm gegossen würde.

Die mögliche Allianz nannte er „Maggio-
ranza Orsola“, Mehrheit Ursula. Teilhaben
an diesem Bündnis sollen all jene italieni-
schen Parteien, die vor einigen Wochen im
Europaparlament für die deutsche Christ-
demokratin gestimmt hatten: Fünf Sterne,
Partito Democratico und Forza Italia. Dass
Letztere auch dazugehören soll, mutet in
diesem Zusammenhang natürlich pikant
an: Prodi hat sich ein halbes Politikerleben
lang mit Silvio Berlusconi und dessen bür-
gerlicher Forza Italia gemessen. Er war der
einzige Linke, dem es gelang, Berlusconi
zu schlagen, und zwar gleich zweimal.
Doch nun geht es um die Verhinderung
von Matteo Salvini, dem noch immer am-
tierenden Innenminister und Vizepremier
Italiens von der ultrarechten, fremden-
und europafeindlichen Lega. Der hat die
Regierungskrise mit seinem Bruch mit
den Cinque Stelle ausgelöst. Er hoffte auf
sofortige Neuwahlen und „alle Vollmach-
ten“. Nun sieht es allerdings so aus, als
missrate der Plan. Salvini könnte stattdes-
sen in der Opposition landen.
Premier Giuseppe Conte wird an die-
sem Dienstagnachmittag im Senat seine
Sicht der Dinge erklären und dann wahr-
scheinlich noch vor der Misstrauensab-
stimmung beim Staatspräsidenten seinen
Rücktritt einreichen. Nach wochenlangen
Spekulationen und Manövern wäre die Kri-
se dann auch offiziell eröffnet. Was danach

geschieht, hängt in erster Linie von Staats-
chef Sergio Mattarella ab.
Der könnte, rein theoretisch, die Parla-
mentskammern auflösen und Neuwahlen
ansetzen. Doch viel wahrscheinlicher ist,
dass er Conte als geschäftsführenden Pre-
mier im Amt belässt. In der Zwischenzeit
begännen Mattarellas Beratungen mit den
Parteien. Würde sich im Parlament eine al-
ternative Mehrheit finden, etwa „Mehrheit
Ursula“, dann käme die an die Regierung.
Über Berlusconi kann man viel Böses sa-
gen, aber immerhin ist er ein überzeugter
Europäer. Zu einer operativen Teilnahme
an einer allfälligen „Ursula-Regierung“,
samt Ministern, würde es wohl ohnehin
nicht kommen. Die Cinque Stelle wären
wild dagegen, etliche Sozialdemokraten
auch. Doch Berlusconi könnte im opportu-
nen Moment mit einer Stimmenthaltung
bei der Geburt „Ursulas“ helfen und damit

Salvini schaden, seinem Rivalen in der
Rechten. Der alte Patron hat die Selbstge-
fälligkeit des Aufsteigers nie gut ertragen.
Möglich wird die Diskussion über eine
„Regierung Ursula“ auch deshalb, weil die
Fünf Sterne den Rückkehrantrag des
Treuebrüchigen abgeschmettert haben.
Salvini hatte am Wochenende versucht,
die Zerrüttung mit unanständigen Posten-
angeboten und plötzlichen Bekenntnissen
in letzter Minute doch noch zu reparieren.
Bei manchen Sternen löste das Verwirrung
aus, wie das in einer frisch enttäuschten
Liebe nun mal vorkommen kann.
Doch dann trat Beppe Grillo auf, der
Gründer und Guru der Partei. Er lud die
Spitzenvertreter seiner Bewegung in sein
Ferienhaus im toskanischen Marina di Bib-
bona, danach gab es ein Communiqué, das
von allen gezeichnet war. Salvini sei nach
dem „Dolchstoß in den Rücken“ kein ver-

lässlicher Gesprächspartner mehr. „Er zog
der Regierung den Stecker zwischen ei-
nem Mojito und einem Sprung ins Meer“,
schreiben die Sterne. Der „blamable Rück-
zieher“ in den vergangenen Tagen bestär-
ke sie nur in ihrer Meinung.
Matteo Salvini probt unterdessen die
Kommunikationsstrategie für die kom-
menden Wochen, die Premiere fand im
ebenfalls toskanischen Marina di Pietra-
santa statt. Ich gegen alle – das ist das Mus-
ter. Die Italiener sollen verstehen, dass
nicht etwa er sich an Posten und Sitze klam-
mere, sondern nur seine Gegner. Dass
nicht er das Volk betrogen habe mit seinem
abrupten Koalitionsbruch, sondern die
Fünf Sterne, die nun mit der Linken ver-
handeln. Und dass nach ihm eine „Invasi-
on“ von Migranten drohe. Die Gedanken-
spiele um „Ursula“ aber hat Salvini erst
möglich gemacht, er allein.

Die Kinder lebten bisher im Internierungs-
lagerAl-Haul in Nordsyrien. FOTO: AFP

Krise an Deck


Spanien bietet dem Schiff „Open Arms“ die Balearen als sicheren Hafen an. Doch die Seenotretter wollen nicht


Angriffe auf türkische Konvois


In Syriens Norden könnten Regierungstruppen und Ankaras Militär zusammenzustoßen


Ursula als gemeinsamer Nenner


Fünf Sterne, Sozialdemokraten und Forza Italia haben für von der Leyen als EU-Kommissionschefin gestimmt.


Könnte ein Bündnis dieser drei Parteien Italien retten? Das glaubt der große alte Sozialdemokrat Romano Prodi


Luftbrücke nach Syrien


Regierungholt erstmals Kinder deutscher IS-Kämpfer aus dem Kriegsgebiet zurück


Washington –Die USA haben den ers-


ten Test eines landgestützten Marsch-


flugkörpers seit dem Rückzug aus dem


INF-Atomwaffenvertrag bekanntgege-


ben. Eine für den konventionellen Ein-


satz konfigurierte Rakete habe am Sonn-


tag in Kalifornien nach einem Flug von


500 Kilometern ihr Ziel getroffen, teilte


das Verteidigungsministerium in Wa-


shington am Montag mit. Die Regie-


rung hatte im Februar den Rückzug aus


dem INF-Vertrag angekündigt. Dieser


war 1987 zwischen den USA und der


Sowjetunion geschlossen worden und


sah den Verzicht auf gewisse landge-


stützte Raketen und Marschflugkörper


vor. Die USA und europäische Staaten


werfen Russland vor, gegen die Abma-


chung zu verstoßen. Die Regierung in


Moskau weist dies zurück.reuters


Srinagar– Zwei Wochen nach dem


Entzug der Teilautonomie und der weit-


gehenden Einschränkungen des öffentli-


chen Lebens in der indischen Kaschmir-


Region, konnten einige Kinder dort


wieder zur Schule gehen. 190 von 900


Schulen in der größten Stadt Srinagar


und im Umkreis waren laut Behörden


am Montag wieder geöffnet. Örtliche


Medien berichteten jedoch, dass viele


Eltern ihre Kinder dennoch lieber zu


Hause ließen, auch aus Angst nach ge-


waltsamen Protesten gegen das Vorge-


hen der indischen Regierung in Delhi.


Auch das lange gesperrte Mobilfunk-


und Festnetznetz funktionierte in Tei-


len des Kaschmir-Tals wieder. Das Inter-


net war noch blockiert. Autos, Busse


und Rikschas fuhren am Wochenende


in Srinagar wieder, wie Aufnahmen


staatlicher Fernehsender und das Twit-


ter-Konto der Polizei des Bundesstaates


Jammu und Kaschmir zeigen. Die Innen-


stadt Srinagars blieb aber gesperrt, dort


hatte es am Wochenende wieder gewalt-


same Zusammenstöße zwischen Protes-


tierenden und Sicherheitskräften gege-


ben. dpa  Seite 4


Khartum –Im Sudan hat der Prozess


gegen den gestürzten Machthaber


Omar al-Baschir(FOTO: REUTERS)begonnen.


Der Ex-Präsident traf am Montag unter


scharfen Sicherheitsvorkehrungen in


der Hauptstadt Khartum im Gerichts-


saal ein. Der 75-Jährige muss sich we-


gen diverser Vorwürfe verantworten,


darunter Korruption, Devisenvergehen


und die illegale Anhäufung von Vermö-


gen. Ein Ermittler sagte im Gericht,


al-Baschir habe ausgesagt, er habe wäh-


rend seiner Amtszeit Millionen Dollar


von Saudi-Arabien erhalten. Diese seien


unter anderem von Kronprinz Moham-


med bin Salman sowie dem damaligen


König Abdullah gekommen und als


„Spenden“ für Gesundheit und Bildung


deklariert gewesen. Ermittler hatten bei


einer Durchsuchung der Residenz al-Ba-


schirs umgerechnet sieben Millionen


Euro Bargeld gefunden. Das Militär


hatte al-Baschir im April gestürzt. Ein


am Samstag unterzeichnetes Abkom-


men zwischen dem Militär und der Op-


position hat im Sudan den Weg für eine


Übergangsregierung freigemacht. dpa


DEFGH Nr. 191, Dienstag, 20. August 2019 (^) POLITIK HF3 7
Ursula von der Leyen bei ihrem Antrittsbesuch in Rom Anfang August mit Premier Giuseppe Conte.FOTO: DOMENICO STINELLIS/AP
Das türkisch-russische Verhältnis
pendelt seit Jahren zwischen
Anspannung und Annäherung
Es geht jetzt vor allem darum,
den nationalistischen Lega-Chef
Matteo Salvini zu verhindern
Nach ihrem Auftritt wurde Anuna De We-
ver bedroht. FOTO: EMMANUEL DUNAND/AFP
Botschaft mit
Krallen
FlämischeKlimaaktivistin
löst Separatismus-Debatte aus
Die Flagge symbolisiere lediglich
die Unabhängigkeit von Flandern,
sagte Peter De Roover
USA testen Rakete
Beruhigung in Kaschmir
Prozess gegen al-Baschir
AUSLAND

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