Thomasschule bestellt, ins höchste mu
sikalische Amt der Stadt -ehendiesen
Johann Sebastian Bach, den man nicht
von ungefähr später als den Newton der
Musik fe iern wird.
Zugegeben: Eigendich hätten die
Leipzigergern den berühmteren Georg
Philipp Te lemann gehabt, der so eingän
gige Melodien schreibt. Doch der bleibt
lieber in Hamburg, als Kantor des Jo
hanneums und Musikdirektor der Stadt.
Auch Deutschlands Nummer zwei,
der Komponist Christoph Graupner,
war nicht zu haben, weil sein Dienstherr,
der Landgraf von Darmstadt, ihn nicht
freigeben mochte.
Dann eben Bach. Immerhin "exzel
liert" der, so ein Ratsmitglied, "im Kla
vier" - und zwar so triumphal, dass 1717
ein französischer Tastenkünstler lieber
freiwillig das Feld geräumt hat, als gegen
ihn zum We ttspiel anzutreten. Auch als
Komponist ist er berühmt genug.
Und so ist diese Personalie nicht
zuletzt ein Coup des Stadtmarketings.
Im Prestigekampf gegen etablierte Mu
sikstädte wie Frankfurt, Hamburg und
Dresden soll Leipzig endlich konkur
renzfähig werden. Schließlich sind in
dieser Stadt, mit über 30 000 Einwoh
nern gesegnet und andächtig "Klein
Paris" genannt, in den 20 Jahren zuvor
Handel und Gewerbe erblüht, haben
DIE ORGEL gehört zu den Instru
menten, die der Spross einer Musiker
familie meisterhaft beherrscht
GEBOREN
als Sohn eines
Trompeters, weiß
Bach um die
Macht eines
Fanfarenstoßes
neun Banken die Geschäfte aufgenom
men, zahlreiche Manufakturen die Zünf
te verdrängt: Sie produzieren Textilien,
Leinwand und Tapeten, verkaufen Ta
bak, Spielkarten und Musikinstrumente.
Über ganze Häuserblocks erstre
cken sich jetzt die neuen Paläste, die den
frischen Stolz der Bürger demonstrieren.
Sie prahlen mit Prunkfassaden und In
nenhöfen, Erkern und Goldornamenten.
Als eine der ersten deutsche Städte be
leuchtet Leipzig seit 1702 seine Straßen
sogar mit 750 von Eichenpfeilern getra
genen Öllampen.
Als "Marktplatz des Kontinents" ist
der Handelsort dabei, Frankfurt zu über
flügeln: Dreimal im Jahr, zu Neujahr,
Ostern und Michaeli, locken Messen
Aussteller sowie Besucher an.
Inzwischen gilt Leipzig auch als
Hochburg für Buchhandel, Literatur
und Theater. Es hat berühmte Verleger,
große Druckereien und die "Einkom
menden Zeitungen", die erste Tageszei
tung der We lt. Es hat öffentliche Kunst
kabinette, in denen Privatsammler den
Bürgern ihre Gemälde von Leonardo
und Tizian präsentieren, von Rubens,
Brueghel und Rembrandt.
Und es hat Kaffeehäuser, in denen
die Bürger so fo rtschrittsfroh debattie
ren, dass die Obrigkeit bereits 1716 das
"leichtfertige Wesen" in diesen Etablis
sements zu überwachen beginnt.
Doch vor allem hat es eine Univer
sität. Die, 1409 gegründet, ist eine der
ältesten Deutschlands: Hier haben 1519
schon Martin Luther und sein Wider-
sacher Johannes Eck ihre Dispure aus
gefochten. Hier etablieren sich allmäh
lich Frühaufklärer wie der Schriftsteller,
Sprachforscher und Literaturtheoretiker
Johann Christoph Gottsched, und auch
allerlei "verdächtigte Meinungen und
neue Arten zu reden und zu schreiben"
sind bereits so verbreitet, dass die Uni
versitätsverwaltungmit Aushängen am
Schwarzen Brett vor ihnen warnt.
KURZ: HIER HERRSCHT ein intellektu
elles Reizklima, in dem einer wie Bach,
der bei einer Auktion schon mal über
ein Zehntel seines Jahresgehalts für Bü
cher ausgibt, gedeihen kann. Am 22. Mai
1723 zieht er in Leipzig ein. Eine Kara-
SEINE ERSTE Anstellung hat
Bach wohl als Geiger - am Hof der
Herzöge von Sachsen-Weimar