Frankfurter Mordfall
Seehofer will mehr
Polizei an Bahnhöfen
Der Innenminister kündigt
Beratungen zur Verbesserung
der Sicherheit an. Der
mutmaßliche Täter lebte seit
2006 in der Schweiz.
N
ach dem tödlichen Angriff
am Frankfurter Hauptbahn-
hof will Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) mit den Sicher-
heitsbehörden, dem Verkehrsminis-
terium und der Deutschen Bahn be-
raten, wie sich die Sicherheit an
Bahnhöfen erhöhen lässt. Nötig sei
eine größere Polizeipräsenz. Auch
müssten technische Möglichkeiten
„vorurteilsfrei“ geprüft werden, sagte
Seehofer, der für eine Besprechung
mit Bundespolizeipräsident Dieter
Romann und dem Chef des Bundes-
kriminalamts, Holger Münch, seinen
Urlaub unterbrochen hatte.
Am Frankfurter Hauptbahnhof wa-
ren am Montag ein achtjähriger Jun-
ge und seine Mutter vor einen einfah-
renden ICE auf das Gleis gestoßen
worden. Der Junge starb, die Mutter
konnte sich retten. Eine dritte Person
wurde attackiert, konnte aber einen
Sturz auf das Gleis verhindern.
Der mutmaßliche Täter, ein 1979
geborener Mann aus Eritrea, sei
2006 als Flüchtling in die Schweiz
eingereist und habe zwei Jahre später
Asyl erhalten, teilten die Behörden
mit. Seit dem vergangenen Donners-
tag wurde er von der Schweizer Poli-
zei gesucht, weil er eine Nachbarin
mit einem Messer bedroht und einge-
sperrt haben soll. Mit „entsprechen-
den Delikten“ sei er auch früher
schon aufgefallen, sagte Romann.
Der verheiratete dreifache Familien-
vater galt als gut integriert und sei in
einigen Publikationen sogar als Bei-
spielfall gelungener Integration ge-
nannt worden, erklärte Seehofer.
Der Innenminister betonte, die Er-
höhung der Sicherheit für Bahnrei-
sende sei eine „komplexe Aufgabe“,
weil es in Deutschland rund 5 600
Bahnhöfe mit völlig unterschiedli-
chen Strukturen gebe. Der Vorfall in
Frankfurt war bereits der zweite in-
nerhalb kürzester Zeit. Am 21. Juli
war eine 34-jährige Mutter im nord-
rhein-westfälischen Voerde vor einen
einfahrenden Zug geschubst und ge-
tötet worden. Der Tatverdächtige, ein
in Deutschland geborener 28-jähriger
Serbe, ist Vater von neun Kindern
und war bei der Polizei wegen meh-
rerer Straftaten wie Diebstahl oder
Körperverletzung bekannt.
Die Gewerkschaft Deutscher Loko-
motivführer (GDL) forderte mehr Po-
lizei und Sicherheitspersonal an den
Bahnhöfen. Ein bewährtes, aber lei-
der komplett vernachlässigtes Mittel
seien zudem Bahnaufsichten, sagte
GDL-Chef Claus Weselsky. „Der Blick
geschulter Kräfte auf den ganz nor-
malen Bahnalltag, aber auch auf
möglicherweise kritische Situationen
erlaubt deutlich schnellere Reakti-
onszeiten.“ Das könne im Zweifelsfall
über Leben und Gesundheit poten-
zieller Opfer entscheiden.
Laut Innenminister Seehofer reiste
der Tatverdächtige im Frankfurter
Fall „offensichtlich legal“ nach
Deutschland ein. Sein Ministerium
teilte mit, dass der Mann in Deutsch-
land keinen Asylantrag gestellt habe.
Romann zufolge liegt die Vermutung
nahe, dass er auf der Flucht war. Es
sei davon auszugehen, dass er an der
Grenze nicht kontrolliert wurde. An
der Grenze zur Schweiz gibt es keine
reguläre Kontrolle.
Unabhängig von der Attacke in
Frankfurt müsse Deutschland seine
Grenzen stärker „in den Blick neh-
men“, sagte der Innenminister. Er
verwies darauf, dass im vergangenen
Jahr 43 000 unerlaubte Einreisen re-
gistriert worden seien. Es gehe um
„intelligente Kontrollen“, nicht um
neue Schlagbäume. dpa/reuters/fsp
Kommentar Seite 15
Altenpflege
Arbeitgeber wollen Flexibilität bei Fachkräften
Die privaten Arbeitgeber in
der Pflege fordern, im Kampf
gegen den Personalmangel die
geltende Fachkraftquote in
Heimen zu lockern.
Gregor Waschinski Berlin
D
er Anfang Juni vorgelegte Ab-
schlussbericht der „Konzer-
tierten Aktion Pflege“ ist ein
umfangreiches Dokument. Auf 180
Seiten haben die Teilnehmer des ein-
jährigen Dialogprozesses detailliert
beschrieben, welche Maßnahmen es
gegen den Personalnotstand in der
Pflege zu ergreifen gelte. „Enzyklopä-
disch zusammengestellt, aber leider
nicht priorisiert“, wie Thomas Grei-
ner, Präsident des Arbeitgeberver-
bands Pflege (AGVP), beklagt.
Der Verband, der die großen Un-
ternehmensgruppen der deutschen
Pflegewirtschaft vertritt, hält eine
Konzentration auf wenige zentrale
Punkte für notwendig. Am Dienstag
stellten die privaten Arbeitgeber ihre
Wunschliste für die Zeit nach der po-
litischen Sommerpause vor. Ganz
oben steht die Forderung nach mehr
Flexibilität beim Personalmix. Die
starre Fachkraftquote, nach der min-
destens 50 Prozent des Personals in
stationären Einrichtungen qualifizier-
te Altenpfleger sein müssen, sollte
demnach aufgeweicht werden.
Greiner rief Gesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) auf, im Herbst eine
Reform anzugehen. Nötig sei eine
neue Definition von Fachkrafttätig-
keiten, damit bestimmte Aufgaben in
der stationären Altenpflege auch von
Hilfskräften übernommen werden
könnten. Denkbar sei auch, dass die
Arbeit von erfahrenen Pflegeassisten-
ten auf die Fachkraftquote angerech-
net werde. Angestellte aus anderen
Heilberufen, etwa Physiotherapeuten
oder Ergotherapeuten, könnten bei
der Quote ebenfalls berücksichtigt
werden. Zudem brauche es bundes-
weit anerkannte Weiterbildungsange-
bote für Pflegehilfskräfte.
Dringenden Handlungsbedarf sieht
der AGVP auch bei der Anwerbung
von ausländischen Pflegekräften. Al-
tenpfleger aus Drittstaaten müssten
monatelang auf ihr Arbeitsvisum war-
ten, die Anerkennung ausländischer
Berufsabschlüsse dauere ebenfalls
viel zu lange. Außerdem würden in
jedem Bundesland unterschiedliche
Regelungen gelten. Mehr Personal für
die Visabearbeitung in den Botschaf-
ten, weniger Bürokratie, digitale An-
tragsverfahren und zentrale Anerken-
nungsstellen für die berufliche Quali-
fikation – das sind Forderungen der
privaten Arbeitgeber an die Politik.
Den von der Bundesregierung be-
vorzugten Weg, über einen flächen-
deckenden Tarifvertrag zu höheren
Löhnen in der Altenpflege zu kom-
men, lehnt Greiner ab. Der Plan, dass
einige gemeinnützige Pflegearbeitge-
ber mit der Gewerkschaft Verdi Tarif-
verhandlungen führen und Bundes-
arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
das Ergebnis dann für allgemein ver-
bindlich erklärt, werde scheitern.
Stattdessen sollte es einen Mindest-
lohn von monatlich 2 500 Euro für
Pflegefachkräfte geben.
Eine Lohnkommission handelt be-
reits eine Untergrenze für ungelernte
Beschäftigte in der Pflegebranche
aus. Heils Gesetz für bessere Löhne
in der Pflege, das im Juni vom Kabi-
nett verabschiedet wurde, sieht
ebenfalls einen weiteren Mindestlohn
für Fachkräfte vor – allerdings nur als
Notlösung, wenn keine Einigung auf
flächendeckende Tarifvorgaben zu-
stande kommt.
Wie die höheren Löhne in der Al-
tenpflege bezahlt werden sollen, ist
unklar. Sie schlagen laut Schätzungen
des Gesundheitsministeriums je nach
Modell mit 1,4 bis 5,2 Milliarden Euro
jährlich zu Buche. Nach Ansicht der
privaten Arbeitgeber ist zur Kosten-
deckung ein Steuerzuschuss zur Pfle-
geversicherung unvermeidlich.
Thomas Greiner:
Widerstand gegen
flächendeckenden
Tarifvertrag in
der Altenpflege.
Arbeitgeberverband Pflege e.V.
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Wirtschaft & Politik
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MITTWOCH, 31. JULI 2019, NR. 145
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