Handelsblatt - 22.07.2019

(sharon) #1

Markus Fasse München


W


enn Oliver Zipse am Montag
die BMW-Zentrale betritt, dann
ist nichts mehr wie vorher. For-
mal ist er zwar noch Produkti-
onsvorstand, tatsächlich aber
schon der starke Mann in München. Eine Rolle, die
keinen Aufschub duldet. Für den Abend ist ein
Treffen des obersten Führungskreises (OFK) ange-
setzt. Im Vorfeld ist von „harten Messages“ die Re-
de, die der Vorstand seinen Führungskräften ver-
künden wird. Dem designierten BMW-Chef stehen
stürmische Monate bevor.
Einstimmig ernannte ihn der Aufsichtsrat am
Freitag auf seiner Sitzung in South Carolina zum
neuen Vorstandschef. Nicht erst im kommenden
Mai, sondern bereits am 16. August soll Zipse die
Nachfolge von Harald Krüger antreten. Der hatte
Anfang Juli den Weg für den Führungswechsel frei
gemacht und auf eine zweite Amtszeit verzichtet.
Es ist ein fliegender Wechsel in unruhigen Zeiten.
BMW will endlich die Führungskrise beenden, die
sich an der Diskussion um Krügers mögliche Ver-
tragsverlängerung entzündet hatte.

Kein Vertrauen mehr in Krüger
Überraschend kam die Ernennung Zipses nicht –
der 55-Jährige galt bereits vor dem Wochenende als
Favorit für den Chefposten. Alternativ hatten die
Aufseher um Aufsichtsratschef Norbert Reithofer
die Berufung von Entwicklungsvorstand Klaus
Fröhlich erwogen – sich aber dann deutlich für den
moderateren Kandidaten entschieden. Der erbt ein
Mandat zum Durchgreifen. „Mit Oliver Zipse über-
nimmt ein führungsstarker Stratege und Analytiker
den Vorstandsvorsitz der BMW AG“, begründet
Reithofer seine Wahl. Der Münchener IG-Metall-
Chef und Aufsichtsrat Horst Lischka spricht von
„Führungskompetenz und klarer Positionierung
nach innen und nach außen“. Sowohl den Arbeit-
nehmern als auch den Großaktionären der Familie
Quandt fehlte zuletzt das Vertrauen in Krüger. Der
habe in den Jahren der Rekorde wichtige Entschei-
dungen verschleppt. Nun sei die Rendite im Keller
und die Konkurrenz bei Elektroautos vorn.
Tatsächlich passt Gentleman Oliver Zipse perfekt
in das Anforderungsbild der Großaktionäre der Fa-
milie Quandt. Das blonde Haar trägt er stets akku-
rat gescheitelt, die Krawatte perfekt geknotet. In
Freizeitkleidung oder gar Turnschuhen hat man
ihn bislang nicht gesehen. Im Gegensatz zu seinem
Vorgänger Harald Krüger liebt er die Bühne,
spricht akzentfrei Englisch. Genau wie sein ein Jahr
älterer Bruder studierte er Anfang der Achtziger-
jahre an der University of Utah. Auch Hendrik Zip-
se hat es als Professor für physikalisch organische
Chemie an der LMU München weit gebracht. Oliver
studierte Mathematik und Informatik, machte an-
schließend ein Diplom im Maschinenbau.
Fast zeitgleich mit seinem Vorgänger Harald Krü-
ger trat er 1991 als Trainee in den BMW-Konzern
ein und machte in der technischen Planung Karrie-
re. Hier knüpfte er Kontakte in das mächtigste
Netzwerk des Unternehmens, den Zirkel der Pro-
duktionsplaner rund um den späteren CEO Joa-
chim Milberg und den aufstrebenden Star Norbert
Reithofer. Zipse übernahm eine Führungsfunktion
in der BMW-Fabrik in Südafrika und leitete die Mi-
ni-Produktion in Oxford. Doch während der jünge-
re Rivale Krüger bereits 2008 als Personalvorstand
in die oberste Führungsebene aufstieg, musste sich

Zipse vorerst mit der Konzernplanung und Pro-
duktstrategie begnügen. Erst 2015, mit dem Wech-
sel Krügers auf den Chefposten, übernahm er das
Produktionsressort – traditionell die letzte Station
vor dem Chefsessel bei BMW. Dort hat er in den
vergangenen vier Jahren vieles richtig gemacht –
anders als Mercedes meldet BMW keine Schwierig-
keiten beim Anlauf neuer Modelle. Bislang hat Zip-
se die Entscheidungen Krügers mitgetragen. Nun
muss er dessen Kurs korrigieren und Vertrauen im
Haus zurückgewinnen. Der Druck ist hoch. Nicht
nur die Führungskräfte wollen Antworten. An die-
sem Donnerstag ist auch Betriebsversammlung im
Stammwerk München.

Nach sieben Rekordjahren in Folge stocken beim
kleinsten deutschen Autokonzern mit seinen welt-
weit 130 000 Beschäftigten die Absätze. Die Rendi-
te im Autogeschäft ist im ersten Quartal auf 5,6 Pro-
zent abgesackt, das Minimalziel liegt eigentlich bei
acht. Zusätzlich müssen bis 2022 zwölf Milliarden
Euro eingespart werden. Schwächelt die Konjunk-
tur, wird auch das nicht reichen. Zipse hat in den
guten Jahren auf einen Ausbau der Produktion ge-
pocht, in Mexiko, China und in Ungarn entstehen
neue Kapazitäten. Nun wird gebremst: Die Fabrik
in Ungarn wird zwar weitergebaut. Wann dort aber
Autos vom Band laufen, lässt der Vorstand offen.
Verfahren wirkt die Strategie in der Elektromobi-
lität. 2013 startete BMW mit seinen Stromern, dem
„i3“ und dem „i8“, früher als die Konkurrenz.
Doch mit schleppenden Verkäufen verloren die
Münchener den Mut. Krüger stoppte den schnellen
Ausbau der Elektroflotte und setzte stattdessen auf
den Zwitterantrieb Hybrid. Dem Erfolg von Tesla
und dem Angebot des VW-Konzerns mit seiner I.D.-
Familie hat man im Moment nicht viel entgegenzu-
setzen. Erst 2021 kommen mit dem „i4“ und dem
„iNext“ die nächsten richtig großen Produktent-
wicklungen. Zwar hat Krüger zuletzt eine neue
Elektrooffensive angekündigt, doch Details blieb
BMW bislang schuldig.

Mandat zum Wandel


Denn mit der Elektromobilität stehen Grundsatz-
entscheidungen an. Anders als VW setzt BMW auf
gemischte technische Architekturen, die sowohl
mit Verbrennungsmotoren als auch mit Elektroan-
trieben ausgerüstet werden können. Der rein elek-
trischen Ausrichtung von Volkswagen sei man da-
mit unterlegen, warnen Experten. Zipse muss nun
entscheiden, ob BMW ebenfalls eine reine E-Platt-
form entwickelt. Um die notwendigen Stückzahlen
zu erzielen, brauchen die Münchener aber Partner


  • wie Daimler. Zwar kooperiert BMW schon jetzt
    mit dem Erzrivalen beim autonomen Fahren. Eine
    Zusammenarbeit bei Antrieben und Plattformen
    wäre aber bislang ein echter Kulturbruch.
    Um damit zu reüssieren, braucht Zipse Verbün-
    dete im eigenen Haus, vor allem seinen unterlege-
    nen Konkurrenten Klaus Fröhlich. Dessen jüngste
    Feststellung, es gebe keinen Markt für Elektroautos
    in Europa, hatte auch intern Verwunderung ausge-
    löst. Der oberste Techniker Fröhlich wirkt ent-
    spannt in diesen Tagen, hätte sich aber ein engeres
    Rennen um den Chefposten gewünscht, sagen Ver-
    traute. Sein Verhältnis zu Zipse war nie frei von Ri-
    valitäten. Dennoch soll der 59-jährige auf Wunsch
    von Aufsichtsratschef Norbert Reithofer über die
    Altersgrenze von 60 Jahren hinaus verlängert wer-
    den. Die Entscheidung ist aber noch offen.
    „Eine der größten Herausforderungen bei BMW
    ist der Kulturwandel im eigenen Haus. BMW-Inge-
    nieure sind nach wie vor extreme Motorenfreaks –
    mehr als in anderen Unternehmen – und haben
    eher wenig Bezug zu alternativen Antrieben“, sagt
    Stefan Randak, von der Münchener Management-
    beratung Atreus.
    Für Oliver Zipse spricht, alle Kaderschmieden
    des Konzerns durchlaufen zu haben. Er kennt alle
    Stärken, aber auch die Schwächen: starre Hierar-
    chien, eingefahrene Denkmuster und den Dünkel,
    per se besser zu sein als die Konkurrenz. Ab jetzt
    hat Zipse das Mandat zum Wandel. Und den
    braucht BMW dringender denn je.


Oliver Zipse


Fliegender Wechsel


in München


Stockender Absatz, fallende Rendite, E-Mobilität: Ohne viel Schonzeit


muss der künftige BMW-Chef den Konzern umkrempeln.


Oliver Zipse:
Der bisherige
Produktionsvorstand
löst Harald Krüger
als CEO ab.

imago/photothek

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des Tages


MONTAG, 22. JULI 2019, NR. 138


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