Die Welt am Sonntag - 28.07.2019

(Barry) #1

A


n Wirtschaftsnach-
richten, die aufhor-
chen lassen, herrscht
dieser Tage wahrlich
kein Mangel: Verlust
bei Deutscher Bank
höher als erwartet,
Maschinenbauer Dürr erzielt weniger
Gewinn, Stahlhändler Klöckner senkt
Ergebnisprognose. Das vom Münchner
Ifo-Institut ermittelte Geschäftsklima
schwächt sich stärker als erwartet ab
und fällt auf den tiefsten Stand seit
April 2013. Doch kaum jemand interes-
siert sich dafür – so lange der eigene Ar-
beitsplatz nicht direkt betroffen ist.
Fast ein Jahrzehnt Wirtschaftswachs-
tum hat dazu geführt, dass sich ein
Großteil der Deutschen gemütlich ein-
gerichtet hat zwischen schöner Woh-
nen, Instagram-Account und der Pla-
nung des nächsten Urlaubs.

Darauf deuten zumindest die Ergeb-
nisse einer Umfrage des Bankenver-
bands BdB hin, die WELT AM SONN-
TAG vorliegen. Demnach ist das Inte-
resse der Bevölkerung an Wirtschafts-
und Finanzthemen deutlich gesunken.
Interessierten sich im Jahr 2017 noch 47
Prozent der Deutschen stark oder sogar
sehr stark für alles rund um Arbeits-
markt, Konjunktur und Zinsen, sind es
jetzt gerade noch 36 Prozent. Die Mei-
nungsforscher von Kantar TNS hatten
dazu im April 1021 Menschen befragt.
Genauso bemerkenswert ist der An-
stieg der Wirtschaftsverweigerer. Mitt-
lerweile will fast jeder Dritte von Wirt-
schafts- und Finanzthemen am liebsten
überhaupt nichts mehr wissen, 31 Pro-
zent beantworteten die Frage nach ih-
rem persönlichen Interesse mit „kaum“
oder „gar nicht“. Der bisherige Verwei-
gerer-Höchstwert stammt aus dem Jahr
2014, damals lag er bei 20 Prozent.
Diese Gleichgültigkeit gegenüber al-
lem, was in der Wirtschaft geschieht,
mag zu einem unbeschwerten Leben
beitragen. Doch wenn der nächste Kon-
junkturabschwung nicht nur in den
Schlagzeilen auftaucht, sondern im All-
tag spürbar wird, könnte sich das Desin-
teresse schnell rächen. Die gute Nach-
richt: Noch haben alle – Arbeitnehmer
wie Sparer – Zeit, sich auf schlechtere
Zeiten vorzubereiten.
Galina Kolev, zuständig für Gesamt-
wirtschaftliche Analysen und Konjunk-
tur beim Institut der deutschen Wirt-
schaft (IW) in Köln, sieht als einen der
Gründe für das aktuelle Desinteresse an
Wirtschaft, dass neue Megathemen an
Bedeutung gewinnen. „Die Herausfor-
derungen von Umwelt- und Klimapoli-

tik sind enorm, und sie sind immer
mehr ein Thema in der Bevölkerung“,
sagt sie. Dies wird in diesen heißen Ta-
gen mit Temperaturen von mehr als 40
Grad Celsius vielen erst so richtig klar.
Bei der Konjunktur wähnt sich die
Masse dagegen unverändert auf der si-
cheren Seite. „Die immer noch sehr gu-
te Arbeitsmarktlage und die rasante
Entwicklung der Einkommen sprechen
dafür, dass sich die Deutschen wenig
Sorgen um ihre wirtschaftliche Situati-
on machen“, sagt die IW-Expertin.
Doch die Anzeichen für eine Eintrü-
bung der Konjunktur häufen sich.
Erst am Donnerstag öffnete die Eu-
ropäische Zentralbank angesichts düs-
terer Wirtschaftsaussichten und
schwacher Inflation die Tür für eine
weitere Lockerung der Geldpolitik. Die
Währungshüter gehen davon aus, dass
die Zinsen mindestens über die erste
Hälfte des Jahres 2020 auf ihrem aktu-
ellen Niveau oder „darunter“ bleiben
werden. Und IW-Expertin Kolev sagt:
„Die Risiken haben sich zuletzt ver-
dichtet. Brexit, Handelsstreit mit den
USA, China – die globale wirtschaftli-
che Dynamik hat spürbar an Tempo
verloren, und wir merken es bereits
seit mehreren Monaten auch in
Deutschland.“ Die Exporterwartungen
genauso wie die Entwicklung des Welt-
handels seien so schwach wie seit der
Finanzkrise 2009 nicht mehr. „Gege-
ben, dass 11,2 Millionen Arbeitsplätze
in Deutschland am Export hängen,
müsste die Exportentwicklung die Leu-
te in Deutschland beschäftigen.“
In den Zahlen des BdB aber findet
sich davon nichts wieder. Zwar gibt es
bislang nur in wenigen Branchen Kurz-
arbeit, etwa bei Schiffs-, Zug- und Pan-
zerbauern, wie das Ifo-Institut festge-
stellt hat. Doch auch in anderen Berei-
chen könnte dieses in der Finanzkrise
bewährte Instrument bald wieder zum
Einsatz kommen. „Die konjunkturelle
Abschwächung hinterlässt allmählich
ihre Spuren auf dem Arbeitsmarkt“,
sagt Ifo-Experte Timo Wollmershäuser.
Kurzarbeit sei geeignet, um in schwieri-
gen Zeiten Fachkräfte zu halten.
Kürzt der Arbeitgeber in einer allge-
mein schwierigen Lage die Arbeitszeit,
gleicht der Staat zumindest einen Teil
des Verdienstausfalls aus, da auch die
Gemeinschaft ein Interesse daran hat,
dass Beschäftigte nicht gleich gekündigt
werden. Laut Johannes Jakob, Leiter
der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim
Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB),
werden solche Maßnahmen in einzel-
nen Bereichen, etwa bei den Automobil-
zulieferern, verstärkt genutzt. „Anders
als vor zwanzig Jahren bauen aber nicht
alle Bereiche ab, sondern es gibt auch
Einstellungen“, sagt Jakob. Darüber hi-

naus können einige Arbeitnehmer
durchaus selbst aktiv werden. Jakob ver-
weist auf die neue Regelung im Tarifver-
trag der Metallindustrie, der zufolge Be-
schäftigte zwischen Arbeitszeitverkür-
zung und mehr Gehalt wählen können.
„Das lässt Raum für betriebliche Rege-
lungen, um Entlassungen vorzubeu-
gen“, sagt Jakob.
Was in der Wirtschaft passiert, be-
wegt auch die Märkte. Das Interesse an
Aktien hätte in den vergangenen Mona-
ten eigentlich geweckt werden müssen.
Schließlich sprang der deutsche Leitin-
dex Dax seit Jahresanfang um fast 2000
Punkte oder mehr als 15 Prozent nach
oben. Doch weit gefehlt: Börse ist bei
immer mehr Menschen out, ohne dass
sie die entgangenen Chancen stören.
So bekennen sich in der Umfrage
des Bankenverbands 39 Prozent dazu,
dass sie von Börse „keine Ahnung“ ha-
ben. 2017 sagten dies nur 27 Prozent.
Der eine oder andere mag auch mit
seiner vermeintlichen Unwissenheit
kokettieren – oder sich diese jetzt erst
eingestehen. Auf Letzteres zumindest
deutet hin, dass der Anteil der ah-
nungslosen Männer mit 38 Prozent
nun fast genauso groß wie der der
Frauen (40 Prozent) ist. In der Vergan-
genheit war der Abstand zwischen den
Geschlechtern größer.
„Man kann die Bundesbürger nur er-
mutigen, sich aktiv um ihre Finanzpla-
nung zu kümmern – und in Aktien zu in-
vestieren und sich von den anhaltenden
Niedrigzinsen nicht demoralisieren zu
lassen“, sagt Andreas Krautscheid,
Hauptgeschäftsführer des Bankenver-
bands. Für die Finanzbranche sind die
Umfrageergebnisse alarmierend, wollen
die Banken doch mit dem Kauf und Ver-
kauf von Wertpapieren selbst Geld ver-
dienen. Auf gut gefüllten Konten und
Sparbüchern wird das Geld durch die
Niedrigzinspolitik nach Abzug der Infla-
tion real bereits jetzt weniger, und bald
könnte es durch Strafzinsen sogar no-
minal entwertet werden.
Doch Geldanlage und Bankgeschäfte
halten 65 Prozent heute für so kompli-
ziert, dass sie vieles nicht verstehen. Da-
bei ist es eigentlich nicht allzu kompli-
ziert, einen ETF-Sparplan einzurichten
und so Monat für Monat einen festen
Betrag für Aktien auszugeben. Langfris-
tig gehören Aktien nachweislich zu den
rentabelsten Anlagen. Verlierer sind am
Ende die Gleichgültigen, die ihr Geld
auf unverzinsten Konten für ewig sicher
wähnen. Schon heute gilt: Am Betrag auf
dem Konto mag sich zwar nichts än-
dern, doch die Inflation frisst die Kauf-
kraft langsam aber sicher auf. Die Deut-
schen aber – und das ist das Erstaunli-
che bei der dennoch hohen Sparquote
im Land – kümmert das nicht.

VONCHRISTINE HAAS
UND KARSTEN SEIBEL

Das Interesse der


Deutschen an


Wirtschaft und


Geldanlage ist auf einen


Tiefstand gesunken,


zeigt eine aktuelle


Befragung. Dabei gibt


es gute Gründe, jetzt


aktiv zu werden


Börse? Was ist das?


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WELT AM SONNTAG NR.30 28.JULI2019 SEITE 29

WIRTSCHAFT


Mobilfunk:3G geht, sind Sie vorbereitet? S. 34


Der Mann mit dem Finger in der
Nase macht mir Angst. Ein kleiner
Moment der Unaufmerksamkeit hat
ihm im Internet traurige Berühmt-
heit eingebracht. Auf unzähligen
Seiten zählt er zu den kuriosesten
Fundstücken des Kartendienstes
Google Maps. Regelmäßig fahren
die Autos des Internetkonzerns
durchs Land und fotografieren Stra-
ßen für neugierige Internetnutzer.
Jetzt ist in Deutschland wieder
VVVorsicht geboten. Denn am Montagorsicht geboten. Denn am Montag
schickt erstmals auch Apple Kame-
ra-Autos auf die Straßen. Gut 80
Fahrzeuge sollen bis Mitte Septem-
ber Aufnahmen für den Karten-
dienst des Konzerns machen. Wer
vermutet, von einem Apple-Auto
aufgenommen worden zu sein, kann
das Bild einsehen oder löschen las-
sen. Doch was passiert, wenn ich
den entscheidenden Moment ver-
passe? Wenn ich in dieser Sekunde
über eine rote Ampel gehe? Wenn
ich einem Autofahrer einen Vogel
zeige? Apple wird es dokumentieren


  • und die ganze Welt wird es sehen
    können. Tun Sie sich in den kom-
    menden Wochen einen Gefallen:
    Bitte lächeln!


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