Die Welt - 22.02.2020

(Barré) #1

W


enn man wissen will, wie Zer-
rissenheit klingt, muss man mit
Sylvia Schulze sprechen. Die
5 5-Jährige führt ein Blumenge-
schäft in Grünheide, jenem Ort
2 0 Kilometer östlich von Berlin, in dem Tesla-
Gründer Elon Musk seine deutsche Gigafactory
bauen will.

VON PHILIP KUHN
AUS GRÜNHEIDE

2 021 sollen in der brandenburgischen Provinz
die ersten Elektrofahrzeuge vom Band rollen, mehr
als 10.000 Menschen dort arbeiten – vorausgesetzt,
der Bau der Fabrik wird erlaubt. Noch ist das Ge-
nehmigungsverfahren nicht abgeschlossen. „Mir
gehen viele Sachen durch den Kopf“, sagt Sylvia
Schulze. „Der Wald, der jetzt gerodet wird, den
kenne ich vom Reiten. Dieser Wald wächst, der hat
Unterbepflanzung. Die wird geopfert, das ist ein
Unding“, sagt Schulze. Als Tochter eines Försters
schmerze sie dieser Verlust von Natur. „Ich hätte
mir gewünscht, dass Tesla woanders baut.“ Es gebe
doch so viele Brachflächen in Berlin.
AAAufzuhalten ist der Verlust von Natur indesufzuhalten ist der Verlust von Natur indes
nicht. Seit diesem Donnerstag ist klar, dass Tesla
den brandenburgischen Kiefernwald weiter roden
darf. Das hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-
Brandenburg entschieden und damit den von der
Grünen Liga Brandenburg und dem Verein für
Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern er-
wirkten Rodungsstopp nach nur wenigen Tagen
gekippt. Die Eilanträge der beiden eher unbe-
kannten Vereine hatten zuvor für Entsetzen ge-
sorgt. Politiker verschiedener Parteien fürchte-
ten, Elon Musk könnte seine Gigafactory bei an-
haltendem Widerstand doch eher in Polen oder
Portugal bauen. Bundeswirtschaftsminister Peter
Altmaier (CDU) zeigte sich am Freitag erleichtert,
bezeichnete die aktuelle Gerichtsentscheidung als
„wichtiges Signal“ – wohl auch, weil der Beschluss
nicht anfechtbar ist.
WWWenn man Sylvia Schulze darauf anspricht,enn man Sylvia Schulze darauf anspricht,
klingt sie plötzlich pragmatisch. Denn nicht nur die
Sorge vor dem Verlust von Natur treibt sie um,
sondern auch, wie ihr Blumengeschäft läuft. „Es
werden mehr Kunden kommen, die Infrastruktur
wird sich verbessern“, sagt Schulze. Den Rodungs-
stopp habe sie ohnehin nicht gut gefunden, weil die
„Sache ja schon so weit fortgeschritten“ sei. Tesla
werde man erst bewerten können, wenn die Fabrik
wirklich gebaut sei. Sie habe mit den Gegnern des
Projekts jedenfalls nie gemeinsame Sache gemacht.
„Dieser Radikalismus ist mir suspekt.“
WWWenige Hundert Meter entfernt von Schulzesenige Hundert Meter entfernt von Schulzes
Blumenladen liegt der Ortskern von Grünheide,
das 8000 Einwohner zählt. Er besteht aus einer Art
Parkplatz mit überdachten Ladengeschäften. Ein
Edeka, ein Grieche, ein Friseur – viel mehr gibt es
nicht. Es sind an diesem Mittag wenige Menschen
unterwegs. Dauerregen verstärkt den Eindruck
kleinstädtischer Ödnis. Im Sommer sollen aber vie-
le Berliner an die örtlichen Seen kommen. Trotz-
dem: dass hier einmal Tausende Tesla-Mitarbeiter
ffflanieren werden – kaum vorstellbar. Wo sollen die-lanieren werden – kaum vorstellbar. Wo sollen die-
se Menschen essen? Wo werden sie einkaufen?
Für Martin Geffken stellen sich solche Fragen
nicht. Der Grabungsingenieur, der mit zwei voll be-
packten Tüten aus dem Edeka kommt, hat wenig
üüübrig für die Pläne von Milliardär Elon Musk. „Esbrig für die Pläne von Milliardär Elon Musk. „Es
gibt in Ostdeutschland genug ehemalige VEB-Be-
triebe, die bis heute brachliegen. Ich sehe es kri-
tisch, wie sich die Politik verhält“, sagt der Grün-
heider. In seinen Augen sei es eine demokratische

Errungenschaft, dass solche Großprojekte nicht
einfach in die „Natur geklotzt“ werden könnten.
„Jetzt werden Tatsachen geschaffen“, bedauert er.
Dabei sei nicht einmal klar, ob Elektromobilität tat-
sächlich das Konzept der Zukunft sei. „Wir reden
gerade über Wasserstoff, über Bioerdgas. Langfris-
tig vielleicht sogar wieder über Atomenergie.“
Bettina Roth ist anderer Meinung. „Tesla finde
ich super“, sagt die 52-Jährige, die im Edeka an der
Brötchentheke steht. „Ich hoffe, dass die Arbeitge-
ber vor Ort hier dann endlich mal Druck bekom-
men, bessere Löhne zu zahlen.“ Sie streite aller-
dings oft mit ihrem Mann darüber; der sei erklärter
Tesla-Gegner. „Mein Mann sagt dann immer: Aber
Bettina, der Wald! Tatsache ist: Mein Mann sitzt
den ganzen Tag auf der Couch. Der war noch nie im
WWWald.“ Wie bei anderen in Grünheide sei das Inte-ald.“ Wie bei anderen in Grünheide sei das Inte-
resse für Naturschutz vorgeschoben. Viele fürchte-
ten schlicht Veränderung.
Auf dem gut 90 Hektar großen Waldstück, über
das seit Tagen geredet wird, werden auch am Don-
nerstagnachmittag Bäume zerkleinert, auf Laster
verladen und abtransportiert. Während der Ent-
scheidungsfindung des Oberverwaltungsgerichts
sind die Arbeiten hier gut fünf Kilometer vom
Ortszentrum Grünheide entfernt nicht völlig zum
Stillstand gekommen. Weil sich Mitte der Woche
zwei Baumbesetzerinnen kurzfristig im Wald ver-
schanzt hatten, sind Einsatzfahrzeuge der Polizei
vor Ort; zudem hat Tesla einen Sicherheitsdienst
engagiert, der den Zugang zum Kiefernwald mit ei-
ner Schranke regelt. Dass sich etwa Umweltschüt-
zer an Bäume binden, sich gar mit der Polizei Aus-

einandersetzungen liefern wie im Hambacher
Forst in Nordrhein-Westfalen, soll auf jeden Fall
verhindert werden.
Der Standort von Teslas künftigem Werk verrät
aaauch, warum sich der US-amerikanische Konzernuch, warum sich der US-amerikanische Konzern
fffür Grünheide entschieden hat. Die Autobahnaus-ür Grünheide entschieden hat. Die Autobahnaus-
fffahrt am östlichen Berliner Ring ist ein Steinwurfahrt am östlichen Berliner Ring ist ein Steinwurf
entfernt; auf dem Gelände liegen noch Gleise, die
man bis zum nahe gelegenen Bahnhof Fangschleuse
verlängern könnte. Die Rede ist von einem eigenen
Bahnhof für die Mitarbeiter. Bis zur polnischen
Grenze und zum Berliner Stadtzentrum sind es je-
weils 45 Autominuten – eine klassische Pendlerstre-
cke. Auch deshalb gibt es bereits jetzt Spekulatio-
nen, dass viele Mitarbeiter vor allem aus dem nahe
gelegen Polen kommen werden. Dieser Verdacht
wird durch die Stellenanzeigen von Tesla genährt.
Demnach sucht das Unternehmen Mitarbeiter, die
fffließend Polnisch, Deutsch und Englisch sprechen.ließend Polnisch, Deutsch und Englisch sprechen.
Am Abend öffnet im Zentrum von Grünheide
wie jeden Donnerstag zwei Stunden lang das „Tes-
la Informationsbüro“. Der Konzern hat es extra
eingerichtet, um die Sorgen der Anwohner zu ka-
nalisieren und über das Bauvorhaben aufzuklären.
Bis vor Kurzem hat die Sprachlehrerin Christine
de Bailly hier einen Treffpunkt für Flüchtlinge be-
trieben; nun kümmert sie sich um die Ängste vor

e Bailly hier einen Treffpunkt für Flüchtlinge be-
rieben; nun kümmert sie sich um die Ängste vor

e Bailly hier einen Treffpunkt für Flüchtlinge be-

Tesla. Ehrenamtlich, wie sie sagt. Am Anfang sei
das Misstrauen groß gewesen, erzählt de Bailly.
Inzwischen kämen aber viele Menschen, um sich
zu bewerben.
Dabei sind gar keine Mitarbeiter von Tesla vor
Ort. Stattdessen liegen Zettel aus, auf denen „Jobs

bei Tesla“ samt E-Mail-Adresse und „Feedback
zum Tesla-Vorhaben“ steht. Die Feedback-Zettel
kann man in einen Karton werfen. Es gibt Kaffee
und Plätzchen. Zwei Mitarbeiter eines von Tesla
beauftragten Berliner Dienstleisters namens Arca-
dis kümmern sich zusammen mit de Bailly um In-
teressenten, klären anhand von Kartenmaterial
üüüber die Waldarbeiten auf. „Der Protest ist irratio-ber die Waldarbeiten auf. „Der Protest ist irratio-
nal“, sagt de Bailly. Viele im Ort hätten Angst, dass
man ihnen das Grün wegnimmt. Dabei gebe es hier
„„„viel Gegend“, also viel Grün, viel Wald. „Dieseviel Gegend“, also viel Grün, viel Wald. „Diese
kleine Fläche, die jetzt gerodet wird, ist Nutzwald“,
sagt de Bailly. „Das wird verheizt oder verbaut.“ Es
handele sich um einen unansehnlichen Wald, in
dem die Kiefern wie Spargel „viel zu eng“ stünden.
VVVor mehr als zehn Jahren wollte sich BMW inor mehr als zehn Jahren wollte sich BMW in
Grünheide ansiedeln. Doch die Proteste waren so
groß, dass der Autobauer den Rückzug antrat.
BMW habe damit den Grundstein für Tesla gelegt,
erzählt de Bailly. Denn seitdem sieht der Flächen-
nutzungsplan eine Unternehmensansiedlung vor.
AAAuch das sei ein Grund für Tesla gewesen, Grün-uch das sei ein Grund für Tesla gewesen, Grün-
heide aus vier Vorschlägen der brandenburgischen
Landesregierung auszuwählen.
De Bailly glaubt, dass die US-Amerikaner viel
tun, um die Umwelt zu schützen. Zwei Kiefern
blieben so lange stehen, bis die darauf schlafenden
Fledermäuse aufwachten. Ameisenhügel würden
fffachgerecht abgetragen und an andere Ort ver-achgerecht abgetragen und an andere Ort ver-
bracht. Außerdem hat der Autohersteller schon vor
WWWochen mit dem Land Brandenburg verabredet, anochen mit dem Land Brandenburg verabredet, an
verschiedenen Orten Wald aufzuforsten. Die Rede
ist von 140 Hektar über das Land verteilt, die Hälfte
davon Mischwald. Tesla bemühe sich, Umweltauf-
lagen einzuhalten, so de Bailly. „Verstehen Sie mich
nicht falsch, ich bin neutral eingestellt“, versichert
die 63-Jährige. Von Elektromobilität halte sie ohne-
hin nicht viel. „Ich liebe meinen Diesel, brauche
viel PS unter dem Fuß.“

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22.02.20 Samstag, 22. Februar 2020DWBE-HP


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22 GESELLSCHAFT *DIE WELT SAMSTAG,22.FEBRUAR2020


Die Rodungsarbeiten auf der Tesla-Baustelle
waren vorübergehend gestoppt,
es durfte nur Holz eingesammelt werden.
Mittlerweile gehen die Arbeiten weiter

Im brandenburgischen Örtchen Grünheide


soll Elon Musks Gigafactory für E-Autos


entstehen. Die Menschen sind zwiegespalten.


Sie schwanken zwischen Hoffnung und Angst


Die Blumenbinderin von Grünheide:
SSSylvia Schulze und ihre Mitarbeiterinylvia Schulze und ihre Mitarbeiterin

TTTesla im Sonnenuntergangesla im Sonnenuntergang Bäckereifachverkäuferin Bettina Roth

TESLA


zwischen


Baum


und Borke


Im Bürgerbüro
Grünheide
am Marktplatz

MARLENE GAWRISCH FÜR WELT

(6)

Im Bürgerbüro am Marktplatz: Christine
de Bailly mit Hund Willi

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