Die Welt - 22.02.2020

(Barré) #1

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22.02.20 Samstag, 22. Februar 2020DWBE-HP


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DIE WELT SAMSTAG,22.FEBRUAR2020 DIE LITERARISCHE WELT 27


W


ie gestaltet sich ein Tin-
der-Date angesichts des
unmittelbar bevorste-
henden Weltuntergangs?
Man könnte ja denken:
irgendwie freier, wilder, schneller. Es ist
einfacher, auf den Punkt zu kommen, wenn
man weiß, bald ist alles vorbei. Irgendwie ist
das auch so bei Angela, einer Lehrerin, ver-
mutlich um die vierzig, die in einem alten
Honda umherfährt, der aussieht, als würde
sie in ihm wohnen, vermüllt „mit Kaffeebe-
chern, Klamotten und packenweise farbi-
gem Papier“.

VON HANNAH LÜHMANN

Angela trifft reihenweise Männer in ei-
nem Restaurant, das immer mit dem glei-
chen Satz eingeführt wird: „Das Restaurant
war eigentlich ein Keller, erfüllt vom feuch-
ten Geruch bevorstehender Katastrophen
und dem Gefühl von Verwahrlosung.“ Ange-
la und ihre Männer führen schnippische Un-
terhaltungen, irgendwo zwischen Selbstof-
fffenbarung und absurdem Theater. Es istenbarung und absurdem Theater. Es ist
nicht leicht, diese Angela zu charakterisie-
ren, sie ist smalltalkunfähig und verschro-
ben, attraktiv und irgendwie morbide. Sie ist
phlegmatisch, schalkhaft und dissoziativ,
eingerichtet in ihren seltsamen Ansichten
und Interessen, die manchmal punktuell ir-
gendwie zufällig deckungsgleich sind mit et-
was, das man als „normal“ bezeichnen könn-
te, und dann wieder tendenziell vollkommen
unverständlich.
Man hat beim Lesen der Kurzgeschichte
„Noch nicht das Ende“ die ganze Zeit das
Gefühl, „so jemanden“ zu kennen, und im-
mer schaut einen die junge Frau, an die man
denkt, mit dem ironischen, ungläubigen,
leicht verstörten Ausdruck an, den Nicole
Flattery auf ihrem Autorinnenbild hat (aber
irgendwie in einer grünäugigen Version).
Flatterys Debüt, das jetzt auf Deutsch er-
scheint, wurde in ihrem Heimatland Irland
gefeiert, sie hat für die Kurzgeschichte „Die
Auflage“, die ebenfalls in dem Band enthal-
ten ist, den White Review Prize bekommen,
und anscheinend ist der Vorschuss für den
Kurzgeschichtenband und nachfolgende Er-
zählung so hoch gewesen, dass es überall er-
wähnt wird. „Zeig ihnen, wie man Spaß hat“
enthält acht Kurzgeschichten, und man hat,
das steht in jedem Text über dieses Buch, ist
aber auch wichtig, weil es so seltsam ist, das
Gefühl, dass es in allen acht Geschichten ir-

gendwie um die gleiche Frau geht, obwohl
die Lebenssituationen radikal andere sind.
Die Geschichten spielen mit dem Absur-
den und driften manchmal ins Surreale, et-
wa wenn sich am Ende von „Süßholz“ die
Protagonistin, ein 13-Jähriges Mädchen, das
versucht, einen Wanderarbeiter zu verfüh-
ren, einen „Strang schwarzer Fliegen“ aus
dem Mund zieht oder eben, wenn in der Ge-
schichte „Noch nicht das Ende“, in der An-
gela fremde Männer mit in ihren voll ge-
räumten Honda nimmt, die bevorstehende
Apokalypse selbstverständlich vorausge-
setzt wird und keiner Erklärung oder Herlei-
tung bedarf.
Flatterys Protagonistinnen befinden sich
häufig in haarsträubenden, aber irgendwie
extrem lustigen Konstellationen mit Män-
nern. Die eine, in der titelgebenden Ge-
schichte „Zeig ihnen, wie man Spaß hat“, ar-
beitet auf einer Tankstelle am Rande einer
Kleinstadt im Rahmen einer Art von Resozia-
lisierungsprogramm und hat eine Vergan-
genheit als Sexfilmstar; eine andere wieder-
um berichtet von ihrer schrecklichen Bezie-
hung mit einem narzisstischen Comedian,
der sie im Schlaf schlägt und sie mit „mehre-
ren Geschlechtskrankheiten“ infiziert, „ein
paar von den leichteren, aber auch ein paar
von den schwerwiegenderen“.
Man könnte jetzt denken, bei all diesen
Geschichten gehe es irgendwie um die „mo-
derne junge Frau“, um zeitgenössische Sze-
narien, die von den Aporien des modernen
Arbeits- und Liebeslebens erzählen, und das
ist auch eine gängige Deutung, die im Zusam-
menhang mit Flatterys Kurzgeschichten
häufig auftaucht. Sie wird dann als eine mo-
derne Sylvia Plath gefeiert. Dabei ist das Be-

törende an Flatterys Kurzgeschichten, dass
sie sich (ja schon in der Form! Sind Kurzge-
schichten nicht das, was einem jeder Verlag
zurückgibt mit der Bemerkung, das sei zwar
sehr interessant, aber im Moment absolut
nicht zu verkaufen?) so angenehm abheben
von der oft zu nahbaren, das „Authentische“
zelebrierenden Kunst vieler zeitgenössischer
Schriftstellerinnen.
Flatterys seltsame Frauenfiguren sind
eben nicht nach dem MeToo-Raster ge-
schnitzte Charaktere, die irgendetwas über
Selbstausbeutung und internalisierten Se-
xismus veranschaulichen sollen, sondern sie
sind absolut zeitlos und eher auf eine
schwer greifbare Weise ein bisschen altmo-
disch; wie sie davon berichten, dass sie sich
schminken, wie sie auf Dates gehen, wie ab-
solut heterosexuell sie sind. In ihrer disso-
ziativen Weltwahrnehmung erinnern die
Stimmen der Frauen auch ein bisschen an
das beeindruckende Debüt „Teich“ von Flat-
terys Landesgenossin Claire-Louise Ben-
nett, in dem sich eine junge Frau in ein iri-
sches Cottage zurückzieht.
Das absolute Herzstück von Flatterys
Kurzgeschichtenband ist „Abtreibung: Eine
Liebesgeschichte“, in der es entgegen der
vom Titel geweckten Erwartungen gar nicht
so sehr um eine Abtreibung geht, sondern
um eine rührende und produktive Freund-
schaft zwischen zwei jungen Studentinnen,
Lucy und Natasha, von denen bis zum
Schluss nicht so richtig klar wird, ob sie viel-
leicht ein und dieselbe Person sind. Sie be-
gegnen sich während eines Dates, das die
apathische Natasha mit ihrem Professor hat,
und verschmelzen bald zu einer Lebens- und
Schaffensgemeinschaft, bei der sie ein zu-
nächst in der Urversion furchtbar schlechtes
und furchtbar ernsthaftes Stück von Lucy zu
einer Komödie umschreiben.
In diesem Zusammenhang wird eines der
Prinzipien wiedergegeben, die natürlich
auch Flatterys Buch selbst zusammenhalten:
„Komödie ist Tragödie auf Tempo“. Natasha
fragt Lucy: „Warum hast du das Stück ur-
sprünglich geschrieben?“ Und Lucy antwor-
tet: „Ich wollte einen gesetzlosen Ort.“ Ge-
nauso ein im besten Sinne gesetzloser Ort ist
„Zeig ihnen, wie man Spaß hat“: Man ver-
steht nichts, muss ständig lachen und ist
trotzdem ergriffen.

Nicole Flattery: Zeig ihnen, wie man Spaß
hat. Aus dem Englischen von Tanja Handels.
Hanser Berlin, 256 S., 20 €.

DDP/ INTERTOPICS/ EYEVINE/ IRISH INDEPENDENT

Komödie ist


Tragödie auf Tempo


Nicole Flattery


schreibt


Short Storys über


Frauen ohne


MeToo-Momente


W


as uns Frauen auf den
Sack geht: Immer und
überall ungefragt an-
gefasst zu werden.
Keinen der Großartig-
keit wirklich angemessenen Namen für
das Wunder zwischen unseren Beinen zu
haben. Kinder zu gebären und kurz da-
nach wieder aussehen sollen wie sieb-
zehn. Ab dem fünfzigsten Lebensjahr un-
sichtbar werden. Nicht wollen dürfen.

VON EVA BIRINGER

Beim Wort Patriarchatrollen viele mit
den Augen. Katja Lewina schreibt dras-
tisch: „Die Frauen hat das Patriarchat
ganz besonders gefickt.“ Unter anderem,
indem es konsequent deren Lust unter-
drückt, obwohl sie doch mindestens genau
so viel Bock haben wie Männer. „Sie hat
Bock“ ist dann auch der Titel dieses herz-
und geschlechtsteilerwärmenden Buchs,
das Pflichtlektüre werden sollte. Teilweise
besteht es aus Lewinas bei „jetzt.de“ er-
schienenen Kolumnen, teilweise sind die
knappen, persönlichen Texte neu. Immer
geht es um Körper und Sex und den damit
einhergehenden „Bullshit, der sich hart-
näckiger hält als Nagelpilz“.
Es fängt damit an, dass es das weibliche
Geschlecht nie auf einen positiven Na-
men gebracht hat. Vom Nichts (Sartre)
über Schamlippen bis hin zum Synonym
schlimmster Schimpfworte ist alles dabei.
Schluss damit, viva la Vulva! Dieses „kras-
se Gerät“ (Lewina) ist nämlich wesentlich
mehr als die zur Fortpflanzung vorgese-
hene Vagina. Unsere steinzeitlichen Vor-
fahren sahen das genauso und verpassten
Frauenfiguren überdimensionierte,
Fruchtbarkeit signalisierende Ge-
schlechtsteile. Heute gibt die Pornoin-
dustrie das Ideal vor: keusch-verschlos-
sen, klein und haarlos „wie ein Brötchen“.
Und bitte schön passiv! Dem gegenüber
steht der kraftstrotzende, kilometerlange
Penis. Unsere gegenwärtige Gesellschaft
spielt nämlich ein ganz fieses Spiel.
Einerseits müssen Frauenkörper sogar
in Staubsaugerwerbungen permanente
Paarungsbereitschaft signalisieren, ande-
rerseits sollen echte Exemplare nur mit
ihrem monogamen Prinzen schlafen, und
jede bisherige oder folgende Erfahrung ist
eine zu viel. Das führt so weit, dass man-
che sich künstliche, mit Tierblut gefüllte

Jungfernhäutchen im Internet bestellen
oder sich gleich unters Messer legen,
bloß, damit der Mann das Gefühl hat:
„Toll, Erster!“
Zum Glück ist „Sie hat Bock“ wesent-
lich besser gelaunt als es die Situation
gebietet. Der Ton der 1984 in Moskau ge-
borenen Autorin ist selbstironisch, hei-
ter und bewundernswert traumafrei,
selbst wenn sie von schlimmen Erfah-
rungen erzählt. Den Demütigungen der
nicht wie versprochen ihre „Dingse“ zei-
genden Nachbarjungs, ihrem ersten Mal,
das in Wahrheit eine vom Onkel eingefä-
delte Vergewaltigung ist, ihrer Abtrei-
bung und dem Tag, als ihre Jugendliebe
ihr, der inzwischen dreifachen Mutter,
nach dem Um-der-alten-Zeiten-Willen-
Sex attestiert, sie habe noch immer ein
schönes Gesicht, den Rest hätte er eben
ausgeblendet.
Zum Glück hat Lewina einen Mann,
mit dem sie ihre „feministische Utopie“
leben kann, wie sie in der Danksagung
verrät. Die beiden führen nämlich eine of-
fene Ehe, also die gesteigerte Form einer
offenen Beziehung. Etwa die Hälfte aller
Erwachsenen geht fremd, aber am Ideal
der lebenslangen Disney-Romanze darf
unter gar keinen Umständen gerüttelt
werden. Lewinas feministische Utopie
lautet denkbar einfach: „Wenn wir einfach
sein dürften, wie wir sind? Wir könnten
so ein gutes Leben haben.“ Sie selbst hat
parallel zu ihrer Ehe Dates, Affären und
einen Freund mit Prenzlauerbergaltbau-
wohnung, den die ganze Familie im Kran-
kenhaus besucht. Klar, dass manch ande-
rer Altbauwohnungsbesitzer da hasskom-
mentiert (die Wahlberlinerin gehört zu
jenen Autorinnen, die ständig mit Mord-
und Vergewaltigungsdrohungen zuge-
spamt werden, von Männern, anonym im
Internet, weil sie Frauen sind mit einer
Meinung. Und mit unrasierten Achseln!).
Am Ende ist die weibliche Lustfeind-
lichkeit unserer Gesellschaft kinderleicht
erklärt. Es geht um Macht. Bereits die bri-
tische Feministin Laurie Penny bemerkte
halbironisch, dass die Weltwirtschaft zu-
sammenbrechen würde, sobald Frauen
aufhörten, ihre Minderwertigkeitsgefühle
mit Shoppen zu kompensieren. Was erst
würde passieren, wenn diese als sexuelle
Allesfresser ihren wahren Wünschen
nachgehen und vögeln würden, wann und
mit wem sie wollten? Wehe, wenn die Vul-
va losgelassen würde! Dann würden
schon kleine Mädchen ihren Körper lie-
ben, würden Frauen sich weder für Aus-
fluss schämen noch dafür, dass ihr Peri-
odenblut nicht so delfinblau aussieht wie
in der Tamponwerbung, dann würden sie
bei sexuellen Übergriffen nicht die Schuld
bei sich suchen, dann würden sie wissen,
was sie zum Orgasmus bringt, anstatt ei-
nen vorzuspielen, und sich niemals für
die Anzahl ihrer Sexpartnerinnen und
–partner schämen, dann wäre die Welt
insgesamt ein wärmerer, netterer Ort.

Katja Lewina: Sie hat Bock.
Dumont, 224 S., 20 €.

Macht unseren


Sex weniger


sexistisch!


Katja Lewina schreibt


ein neues feministisches


Manifest


LUCAS HASSELMANN/ DUMONT VERLAG

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