10 |DONNERSTAG, 20.FEBRUAR 2020 Inland DERSTANDA RD
Verfassungsgerichtshofpräsident Christoph Grabenwarter über entbehrlicheAussagen in derJustizdebatte,
früherePrüfrechte fürHöchstrichter und darüber,wasUmweltschutzfragen mitMenschenrechten zu tun haben.
rechte eingreift. Auch die Einrich-
tung eines Rechtsschutzbeauftrag-
ten bot keine ausreichende Kon-
trollmöglichkeit. Was aber nicht
festgestellt wurde: dass ein Bun-
destrojanerfüralleEwigkeitunzu-
lässig ist und verschlüsselte Kom-
munikationbeibestimmtenDelik-
ten mithilfe technischer Möglich-
keiten gar nicht überwacht wer-
den kann.
„Bei uns gibt es keine Mascherlposten“
N
och fehlt der Schreibtisch
im Präsidentenzimmer. Die
Übersiedlung wird erst in
den kommenden Tagen abge-
schlossen.AmMittwochstandein-
mal für Christoph Grabenwarter
die Angelobung als Verfassungs-
gerichtshofpräsident durch Bun-
despräsident Alexander Van der
Bellen auf dem Programm. Indi-
rekt ging dieser auch auf die Jus-
tizdebatte ein. Kritik an Urteilen
sei zulässig, solange nicht die In-
stitutionen als solche infrage ge-
stellt würden. Unter den Zuhö-
rern: Kanzler Sebastian Kurz.
STANDARD: In den vergangenen
Tagen wurde die Justiz von Kanz-
ler Sebastian Kurz ständig ange-
griffenundihreUnabhängigkeitin-
frage gestellt: Stichwort „rote Netz-
werke“. Was empfinden Sie als
oberster Verfassungshüter dabei?
Grabenwarter:Unabhängigkeit der
Justiz und Gewaltenteilung gehö-
ren zu den Grundprinzipien der
Bundesverfassung: Eine politi-
sche Diskussion darf kritisieren,
sollte aber keinen nachhaltigen
Schaden an der Architektur eines
Staatswesens anrichten. Das war
beispielsweise in den vergange-
nen Jahren in Polen der Fall. Da-
von sind wir weit entfernt.
STANDARD: Aber es rückt doch die
Justiz in ein schlechtes Licht?
Grabenwarter:Das wird im politi-
schen Diskurs so wahrgenommen.
Ohne Details bewerten zu wollen:
Manche Meinungen dazu sind
entbehrlich.
STANDARD: Inwiefern?
Grabenwarter:Die Justiz hat die
Rolle als unabhängiger Hüter der
Rechtsstaatlichkeit. Die Betroffe-
nen können sich nicht auf diesel-
be Art wehren wie Politiker. Sie
müssen immer auf die Wahrung
ihrer Rolle achten. Zurückhaltung
in dieser Diskussion wäre auch
von politischer Seite angebracht.
STANDARD: Was in dieser Debatte
auch bekannt geworden ist, sind
sogenannte Mascherlposten. Die
jetzige Kanzleramtsministerin Ka-
roline Edtstadler wurde wie ein
Oberstaatsanwalt entlohnt, ohne
diese Funktion ausgeübt zu haben.
Grabenwarter:Ich bin nicht in der
Justiz groß geworden, sondern in
der Wissenschaft. Und zum Ver-
fassungsgerichtshof: Bei uns gibt
es keine Mascherlposten.
STANDARD: Haben Sie sich beim
Durchblättern des Regierungspro-
gramms an manchen Stellen ge-
dacht: Ui, da kommen wir dran?
Grabenwarter:Ich habe nicht das
gesamte Regierungsprogramm ge-
lesen, habe mir aber die Passagen
angesehen, die Verfassungsthe-
men betreffen. Was ein sinnvoller
Vorschlag ist: eine mögliche Zu-
ständigkeit bei der Prüfung von
Staatsverträgen vor der Ratifika-
tion durch Österreich. Das steht
im Zusammenhang mit der Dis-
kussion über die Freihandelsab-
kommen Ceta und TTIP. Wir ha-
ben ja damals beim ESM-Vertrag –
Stichwort Eurorettungsschirm –
gemerkt, dass wir zu einem Zeit-
punkt befasst wurden, als bereits
die Würfel gefallen waren. Es ist
für alle Verantwortlichen bis hin
zum Bundespräsidenten sinnvoll,
die Meinung des Verfassungsge-
richtshofs vorher zu kennen.
STANDARD: Ende des Vorjahrs ha-
bendieVerfassungsrichtermitMin-
destsicherung und Sicherheitspa-
ket zwei türkis-blaue Prestigepro-
jekte aufgehoben. Im neuen türkis-
grünen Regierungsprogramm fin-
den sich wieder heikle Punkte,
wie die Sicherungshaft. Als Grund-
rechtsexperte müssten doch bei
einer Präventivhaft bei Ihnen alle
Alarmglocken schrillen.
Grabenwarter:Ich kenne die Passa-
ge im Regierungsprogramm. Was
ich nicht kenne, ist ein konkretes
Gesetzesprojekt. Daher ist die De-
batte spekulativ, was die verfas-
sungsrechtliche Beurteilung be-
trifft, aber auch was darunter ge-
nau verstanden wird.
STANDARD: Andersgefragt:Isteine
Gefährdungsprognose über poten-
zielle Täter zulässig?
Grabenwarter:Es gibt bereits Teil-
bereiche der Freiheitsentziehung,
bei denen es Prognosen braucht.
BeipsychischenKrankheitenoder
bei U-Haft sind solche Einschät-
zungen zu treffen. Das ist oft in die
Hände von Richtern und Richte-
rinnen gelegt, die dann Gutachter
heranziehen.
STANDARD: DasSicherheitspaket
wurde im Dezember erneut aufge-
hoben. Ein Bundestrojaner steht
wieder im Regierungsprogramm.
Lernt die Politik nicht dazu?
Grabenwarter:Der Verfassungsge-
richtshof hat Bestimmungen auf-
gehoben, weil der Einsatz von
Software zu weit in die Grund-
schilder aufstellen, wenn Grund-
rechtseingriffe unverhältnismäßig
sind. Wir suchen uns nicht aus,
was der Gesetzgeber macht. Wir
werden Beschwerden von Bür-
gern, die sich in ihren Grundrech-
ten auf Datenschutz beschränkt
fühlen, weiterhin mit großer Ge-
duld behandeln. Es gibt keinen
Grund, warum wir hier müde wer-
den sollten.
STANDARD: Damit Freiheit nicht
zugunsten von Sicherheit einge-
schränkt wird?
Grabenwarter: Die Balance zwi-
schen Sicherheit und Freiheit
muss immer neu bestimmt wer-
den. Die Aufgabe verfassungsge-
richtlicher Kontrolle ist es, dafür
zu sorgen, dass es nicht zu schlei-
chenden Verschiebungen in die
eine oder in die andere Richtung
kommt. Die Freiheit muss als ho-
hes Gut gewahrt werden, auch
wenn Sicherheitsinteressen auf
der Hand liegen und vom Staat
verfolgt werden.
STANDARD: Weil wir gerade bei
den Grundrechten sind: Es läuft
die Debatte, ob Klimafragen auch
Grundrechtsfragen sind. In Öster-
reich bringt Greenpeace eine Klage
gegenklimaschädlicheGesetzeein.
Wie sehen Sie das?
Grabenwarter:Wenn ich richtig in-
formiert bin, bringen die Antrag-
steller die Klage in einer öffent-
lichkeitswirksamen Aktion vor
unserem Haus ein. Nach Einlan-
gen eines Gesetzesprüfungsan-
trags werden wir dem eine Ak-
tenzahl zuweisen. Dann wird die-
ser Fall wie jeder andere bear-
beitet–vielleicht mit neuen Ar-
gumenten. Für die Richter ist es
eine schöneHerausforderung, mit
neuen Argumenten konfrontiert
zu werden.
STANDARD: Wirddadurcheinneu-
er Aspekt in den Grundrechtekata-
log aufgenommen?
Grabenwarter:Klima-undUmwelt-
schutzfragen sind nicht erst seit
Greta Thunberg eine Frage der
Grundrechtsdogmatik. Der Euro-
päische Gerichtshof für Men-
schenrechte hat sehr früh, in den
1980er-, 1990er-Jahren, Fluglärm
oder Emissionen als Gefährdung
für den Schutz des Privatlebens
angesehen. Das wichtigste Grund-
rechtsgericht der Welt hat be-
reitsgroßeSensibilitätgezeigtund
vorgelebt, dass Umweltschutzfra-
gen mit Menschenrechten zu tun
haben.
STANDARD: Seit diesem Schuljahr
gilt für Mädchen bis zehn Jahre ein
Kopftuchverbot. Das soll bis 14 Jah-
re ausgedehnt werden. Ist das nicht
eine Ungleichbehandlungeiner Re-
ligionsgemeinschaft, wenn die Be-
stimmung nur auf junge Muslimin-
nen abzielt?
Grabenwarter:ZumkonkretenFall,
der bei uns anhängig ist, kann
ich nursagen :Esgibt eine Be-
schwerde zweier Schülerinnen,
die das Kopftuchverbot in Be-
schwerde ziehen. Die Regierung
wurde von uns aufgefordert, Stel-
lung zu nehmen. Es gilt abzuwä-
gen zwischen den Rechten der
Schülerinnen auf Entwicklung ih-
rer Persönlichkeit, Fragen der Re-
ligionsfreiheit und den Interessen
des Staates.
STANDARD: Anhängig ist auch die
Frage, in welchem Umfang der U-
Ausschuss zu Casinos und Ibiza
untersuchen darf ...
Grabenwarter: Die Zuständigkeit
des VfGH war Teil des politischen
Gesamtkompromisses, als man die
EinsetzungvonU-Ausschüssenzu
einem Minderheitsrecht gemacht
hat. Gesetzlich ist uns ein Richt-
wert von vier Wochen für die Prü-
fung vorgegeben. Wir wollen das
in diesem Zeitraum entscheiden –
also im März.
Standard: Grundsätzlich gefragt:
Lässt die Politik gerne unliebsame
Entscheidungen von den Höchst-
richtern klären?
Grabenwarter: Faktum ist, dass
wir immer wieder Fragen zu ent-
scheiden haben, bei denen der
Gesetzgeber früher handeln könn-
te.
STANDARD: DerVfGH sucht gera-
de eine Vizepräsidentin. Warum
gibt es derzeit nur drei Richterin-
nen im Kollegium?
Grabenwarter:Da müsste man die
Regierungen der letzten 20 Jahre
fragen. Es kann nur eine Frau
nachfolgen, wenn ein Richter mit
70 aus dem Amt scheidet. Das
nächsteMalwäredaserst2028der
Fall. Es stünde unserem politi-
schen System gut an, würde der
Frauenanteil im Verfassungsge-
richtshof angehoben werden.
CHRISTOPH GRABENWARTER(53)hat
Wirtschaftund Jus studiert. Der Grund-
rechtsexperte ist seit 2005 Verfassungs-
richter, 2018 wurde er Vizepräsident.
„Das müsste man die Regierungen der letzten 20 Jahre fragen“: Christoph Grabenwarter, gerade als
Verfassungsgerichtshofpräsident angelobt, über den geringen Frauenanteil im Richterkollegium.
Foto: Urban
Wirmüssen immer
wieder Stoppschilder
aufstellen,wenn
Grundrechtseingriffe
unverhältnismäßig
sind.
„
“
INTERVIEW: Marie-Theres Egyed, Peter Mayr
STANDARD: Dasheißt, die Wahr-
scheinlichkeit, dass Sie sich erneut
damit befassen müssen, ist groß.
Grabenwarter:Je nachRegierungs-
konstellation formuliert der Ge-
setzgeber Tatbestände, die zur
Überwachung ermächtigen. Wir
müssen immer wieder Stopp-