DERSTANDARD Inland DONNERSTAG,20. FEBRUAR2020 | 11
Der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) droht auf fünfJahregerechnetein Minusvon1,7 Milliarden.
Es hagelt Schuldzuweisungen zwischenÖVPund SPÖ, Arbeitgeber-und Arbeitnehmervertretern.Werhat recht?
die Einrichtungen der Allgemei-
nen Unfallversicherung (AUVA)
zuständig sind. Letztere zahlt der
ÖGK dafür bis 2022 eine jährliche
Kompensation, die ab 2019 bei
209 Millionen eingefroren wurde.
Ab 2023 ist die Zahlung gar nicht
mehr vorgesehen–eine Entlas-
tung für die AUVA, die gleichzei-
tig sparen muss, weil Türkis-Blau
die Versicherungsbeiträge der
Unternehmer gesenkt hat. Laut
Arbeitnehmervertretern resultie-
Frage: Wie bedrohlich ist das Defizit
in der ÖGK, die aus der Fusion der
Gebietskrankenkassen entstand?
Antwort: Die 1,7 Milliarden Euro
sind nicht fix, sondern eine Pro-
gnose–dagelte das Vorsichtsprin-
zip, sagt Thomas Czypionka vom
Institut für Höhere Studien (IHS):
Düstere Annahmen hätten den
Zweck eines Frühwarnsystems,
um Problemen rechtzeitig gegen-
zusteuern. In der Vergangenheit
bilanzierten die Kassen am Ende
stets positiver als vorausgesagt.
Frage: Rote Arbeitnehmervertreter
geben den Reformen der türkis-blau-
en Regierung die Schuld. Zu Recht?
Antwort: Als einen zentralen
Grund nennt die ÖGK das erwar-
tet flaue Wirtschaftswachstum: Ab
2021 sollen die Versicherungsbei-
träge der Beschäftigten schwächer
steigenals in den Jahren zuvor.
Diese decken folglichzueinem ge-
ringeren Maß die wachsenden
Ausgaben für Medikamente, Spi-
täler und Arztleistungen ab. Fakt
ist aber auch: Während die Kassen
in den letzten Jahrendank Steuer-
geldzuschüssen gut bilanziert ha-
ben, fasste Türkis-BlauBeschlüs-
se, die die ÖGK Geld kosten–laut
Arbeitnehmervertretern über fünf
Jahre 724 Millionen.
Frage: Was ist der größte Brocken?
Antwort: Es kommt vor, dass Men-
schennachArbeitsunfälleninnor-
malen Spitälern landen, obwohl
re für die ÖGK daraus ein Minus
von einer halben Milliarde.
Allerdings merkt Czypionka an,
dass die AUVA bislang mehr zahl-
te, als der ÖGK an Kosten ent-
stand: „Das ist eine Quersubven-
tion der ÖGK, deren Sinn man
hinterfragen kann.“ Es ist jedoch
möglich, dass es aus rechtlichen
Gründen auch nach 2022 noch
Zahlungen geben muss–womit
sich die Defizitprognose als über-
trieben herausstellen würde.
Frage: Und die umstrittene Fusion?
Antwort: LautSozialminister Ru-
dolf Anschober betragen die Bera-
terkosten im Zuge der von Türkis-
BlaubeschlossenenFusionimVor-
jahr undheuer insgesamt zwölf
Millionen. Das seiaber noch nicht
die ganzeRechnung, sagt Czypion-
ka, so fielen für das Projekt auch
nochandere Kosten an,zum Bei-
spiel vieleÜberstunden: „Eine Fu-
sionkostet am AnfangGeld. “Àla
longueerwartetderExperteausder
Zusammenlegungder Institutio-
nen aber sehr wohl „Synergieeffek-
te“ und damitEinsparungen.
Der ÖGB prangert noch indirek-
te Folgen an: Zuletzt zahlte die
Pharmabranche an die Kassen
einen „Solidarbeitrag“ von 80 Mil-
lionen. 2018 lief dieser aus–und
um die Verlängerung habe sich
wegen der Fusion niemand ge-
kümmert, lautet die Kritik. Die
ÖGK gab aufSTANDARD-Anfrage
dazu keine Stellungnahme ab.
Frage: ÖVP-Vertreter werfen frühe-
ren (roten) Kassenchefs vor, leicht-
sinnig zu viel Geld ausgegeben zu
haben. Ist da was dran?
Antwort: Eigentlich hätte das die
von Türkis-Blau verfügte Kosten-
bremse verhindern sollen, alle Be-
schlüsse passierten überdies die
von Arbeitgebern dominierten
Kontrollversammlungen.Die ÖGK
kritisiert aber, dass die Gebiets-
krankenkassen 2018 und 2019
den Ärzten ein Honorarplus von
6,6 und 6,8 Prozent gewährt hät-
ten, während die Steigerung der
letzten zehn Jahre im Schnitt nur
bei 3,5 Prozent lag–dies sei eine
„Hypothek“ für die Zukunft.
Daten aus dem Dachverband
der Sozialversicherungen, die
demSTANDARDvorliegen,weisen
für die beiden Jahren hingegen
deutlich niedrigere Honorar-
steigerungen aus: Die meisten
Werte liegen zwischen drei und
fünf Prozent, manche sogar dar-
WasamKassendefizit schuld ist
Gerald John
unter. Bei der vielkritisierten Wie-
ner Gebietskrankenkasse betrug
das Plus laut dieser Aufstellungim
Vorjahr 4,25 Prozent.
Wenn es wo eine große Hono-
rarsteigerung gab, argumentieren
die Arbeitnehmervertreter über-
dies, dann deshalb, um–etwa in
entlegenen Gebieten–überhaupt
genügend Ärzte für einen Kassen-
vertrag zu gewinnen.
Frage: Statt einem Defizit hat Türkis-
Blau eine Patientenmilliarde ver-
sprochen. Kommt die denn?
Antwort: Kanzler Sebastian Kurz
(ÖVP) hält an dem Versprechen
fest, der Grüne Anschober hin-
gegen sagt: „Ich sehe sie derzeit
nicht.“ Die ÖGK verspricht für die
nächsten fünf Jahre so viel: Indem
Leistungen, die je nach Kasse bis-
her unterschiedlich waren, nach
oben angeglichen werden, kom-
men Patienten 100 Millionen Euro
zugute. KommentarSeite 32
Die Folgen könnten wehtun: Im
Gesundheitssystem fehlt Geld.
Foto: Imago
Eurofighter-Hersteller nannte Geldempfänger
MinisterinTannerstrebt nationalen Schulterschluss imMatch mit Airbus an
Wien–Neuer Tag, neuer Knallef-
fekt in der Causa Eurofighter:
Nach tagelangem Drängen der hei-
mischen Politik hat Hersteller Air-
bus am Mittwoch den österreichi-
schen Behörden die Namen jener
vierzehn Empfänger übermittelt,
an die im Zuge des hiesigen Jet-
Deals undeklarierte Zahlungen er-
folgt sind.
Zuvor hatte Airbus gegenüber
den US-Behörden unlauteres Ver-
halten eingeräumt, rund 55 Mil-
lionen Euro seien an Zuwendun-
gen rund um Eurofighter-Kauf in
Österreich geflossen–und zwar
an Einzelpersonen, Berater oder
Organisationen. „Auf Nachfrage
der Wirtschafts- und Korruptions-
staatsanwaltschaft Wien haben
wir die Namen der Empfänger und
dieHöhederZahlungengenannt“,
teilte der Konzern via APA mit.
Dazu hieß es, dass keine Über-
raschungen dabei seien, denn die
Namen seien der Staatsanwalt-
schaft Wien, die die Causa im Vor-
jahr an die Korruptionsstaatsan-
waltschaft abgetreten hat, „seit
Jahren bekannt“. Angesichts der
jüngsten Wendung gab es von der
Korruptionsstaatsanwaltschaft
dazuunterVerweisaufdaslaufen-
de Verfahren keine Auskünfte.
Von Airbus selbst wurden erneut
Bestechungsvorwürfe im Zusam-
menhang mit den eingeräumten
Zahlungen zurückgewiesen.
Zuvor hatte Verteidigungsmi-
nisterin Klaudia Tanner (ÖVP)
rundumdenMinisterrataufeinen
nationalen Schulterschluss in der
Causa gedrängt. Jetzt müsse par-
teiübergreifend zusammengear-
beitet und eine Wiedergutma-
chung mit allen juristischen Mit-
teln gefordert werden–was Air-
bus zuvor in Abrede gestellt hatte.
Das Match laute Österreich gegen
Airbus, so Tanner: „Und Öster-
reich wird dieses Match auch ge-
winnen!“ Auch Vizekanzler Wer-
ner Kogler (Grüne) drängte auf
eine Auseinandersetzung „mit
diesem Konzern“. Sein Verhalten
müsse auch international thema-
tisiert werden.
Beidemangeblichen1,5-Millio-
nen-Euro-Scheck an die frühere
Politikerin Elisabeth Kaufmann-
Bruckberger (zuerst FPÖ, dann
BZÖ, dann Team Stronach, zu-
letzt Team Niederösterreich), der
in der Causa Eurofighter zuletzt
wieder für Aufsehen gesorgt hat,
dürfte es sich um eine Fälschung
handeln. „Wir können bestätigen,
dass dieser Scheck nicht echt ist“,
so eine Sprecherin der niederlän-
dischen ABN Amro Bank auf Ö1.
Zumindest das Geheimnis rund
um das dritte konkrete Beispiel an
nicht deklarierten Zuwendungen,
das Airbus gegenüber den US-Be-
hörden rund um den Eurofighter-
Deal eingeräumt hat, dürfte teil-
weise gelüftet sein: Wie berichtet,
ist auf Seite 76 des US-Agree-
ments eine „Oganization 6“ ange-
führt, die 2011 aufgrund eines Be-
ratervertrages gut drei Millionen
Euro erhalten hat.
Organization6auf der Spur
Wie ebenfalls über Ö1 publik
wurde, soll es sich dabei um eine
Prämie für die Firma Stramag han-
deln, weil Österreich damals
einen 120 Millionen Euro schwe-
ren Wartungs- und Trainingsver-
trag mit EADS, heute Airbus, ab-
geschlossen hat. Konkret ging es
gemäß ORF-Radio unter Berufung
auf das Verteidigungsressort in
der Amtszeit von Ex-Heeresminis-
ter Norbert Darabos (SPÖ) um
einen 120 Millionen teuren Logis-
tikabschluss, um Ersatzteile, Re-
paraturen, Wartung und einen
Flugsimulator zu gewährleisten.
Welche genaue Rolle die Stra-
mag dabei gespielt hat, war auch
am Mittwoch nicht eruierbar –
denn für Anfragen war dort vor-
erst niemand erreichbar. (nw)
Regierung setzteTaskforce
zu Ökosteuern ein
Wien–Die Regierung hat beim Mi-
nisterrat am Mittwoch ihre Task-
force zur Ökologisierung des
Steuersystems eingesetzt. Geleitet
wird die Taskforce von Finanzmi-
nister Gernot Blümel (ÖVP) und
Umweltministerin Leonore Ge-
wessler (Grüne). Bereits kommen-
de Woche beginnt die Taskforce
ihre Arbeit. (red)
KURZ GEMELDET
SozialistischeJugend
bekommtneuen Chef
Wien–Die Sozialistische Jugend
bekommt eine neue Führung. Die
inzwischen zur Nationalratsabge-
ordneten aufgestiegene Julia Herr
kandidiert nach sechs Jahren an
der Spitze nicht mehr. Vermutlich
einziger Nachfolgekandidat beim
Verbandstag kommendes Wo-
chenende in Linz ist Paul Stich
aus Wien-Floridsdorf. (APA)
Anklagewegen Brands
in FPÖ-Quartier
St.Pölten–ImFall des Brandan-
schlags auf die Landesgeschäfts-
stelle der FPÖ Niederösterreich
hat die Staatsanwaltschaft St. Pöl-
ten Anklage gegen den Beschul-
digten eingebracht. Ihm wird
unter anderem versuchte Brand-
stiftung zur Last gelegt. Die Kom-
plizen des Verdächtigen wurden
noch nicht ausgeforscht. (APA)
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