DERSTANDARD International DONNERSTAG,20. FEBRUAR2020 | 5
BONUSFÜR
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„Wir sind so müde,Terror hier, Terror da“
Unter demPseudonym „MosulEye“ hat OmarMohammed während
der IS-Herrschaft anonym aus der irakischen Stadtgebloggt.
Heute engagiert er sich für den schwierigenWiederaufbauMossuls.
destens fünf Jahre tätig ist. Bagdad
wird immer leiden, wenn Mossul
schwach ist. Wenn Mossul aber
stabil ist, wird der Irak ein besse-
res Leben haben.
STANDARD: Und wie sollte dieses
Komitee geformt sein?
Mohammed:Durch die Uno. Es
gibt ja schon eine internationale
Koalition, die gegen Terrorismus
kämpft. Warum nicht eine inter-
nationale Koalition, die die Pro-
bleme, die durch Terrorismus er-
zeugt werden, löst? Wir sind so
müde, Terrorismus hier, Terroris-
mus da. Wie soll man Terrorismus
bekämpfen, wenn man nicht die
zugrundeliegenden Probleme be-
kämpft? Diese sind: Mangel an
Justiz, schlechte Wirtschaft, ein
korruptes Politiksystem. Die Men-
schen haben es so satt, dass eine
religiöse Agenda für politische
Interessen benutzt wird.
M
ossul, die zweitgrößte
Stadt des Irak, ist auch
zweieinhalb Jahre nach
ihrer Befreiung im Juli 2017
vom Krieg gezeichnet, erzählt der
Historiker und Blogger Omar
Mohammed. Heute, Donnerstag,
diskutiert er im Bruno-Kreisky-
Forum (Armbrustergasse 15, 1190
Wien, 19.00 Uhr) mitSTANDARD-
Redakteurin Gudrun Harrer über
die aktuelle Situation im Irak.
STANDARD: Wie schreitet der Wie-
deraufbau von Mossul voran?
Mohammed:Millionen US-Dollar
wurden in die Stadt gesteckt –
aber es gibt keine klaren Ergebnis-
se. Die Infrastruktur wurde erst zu
einem geringen Teil wieder auf-
gebaut, genauso wie die Textilfa-
briken, die die Grundlage Mossuls
vor dem Angriff des „Islamischen
Staates“ 2014 waren. Ein anderes
Problem sind Flüchtlinge, die
immer noch in Camps leben. Das
größte Problem sind aber die so-
genannten IS-Familien, für die es
überhaupt kein Justizsystem gibt.
Das wird in Zukunft viel Schaden
anrichten. Positiv ist, dass die
lokale Gemeinschaft nicht auf die
Regierung gewartet hat, um die
Stadt wiederaufzubauen. Sie hat
eigene Initiativen gestartet.
STANDARD: DerWeg zum Erfolg
führt also nicht über Bagdad, son-
dern über lokales Engagement?
Mohammed:Genau.In Mossul ist
temporär ein anderes System des
Regierens nötig. Die Stadt fällt
sonst wieder vollkommen in die
Hände von durch den Iran unter-
stützten Milizen. Und die tau-
schen gerade ihre Militärunifor-
men in Businessuniformen um.
Das schafft Unternehmen, die teils
sogar von internationalen Orga-
nisationenunterstütztwerden.Ich
sage nicht, dass sie sie direkt fi-
nanzieren–aber weil sie die Wirt-
schaft kontrollieren, geht alles,
was man dort hineinpumpt, an sie.
Es sollte ein internationales Komi-
tee für den Wiederaufbau Mossuls
gegründet werden, das für min-
STANDARD: Das scheinen Tau-
sende, die seit Oktober im Irak
protestieren, auch so zu sehen.
Mohammed: Sie wollen einfach
ein ordentliches Land. Historisch
gesehen gibt es immer einen „libe-
ralenMoment“,derpassiert,wenn
ein Land von einem Diktator be-
freit wird. Man erwartet dann 15
bis maximal 17 Jahre Chaos. Das
ist, was der Irak gerade durch-
macht. Wir sind in der finalen
Phase dieses liberalen Moments.
STANDARD: Welche politische
Figur könnte sich durchsetzen?
Mohammed:Aus den Protestieren-
den formiert sich gerade eine poli-
tische Klasse und Partei. Der Äl-
teste von ihnen ist vielleicht 30
Jahre alt. Wenn die Älteren sagen:
„Wir haben gegen Saddam Hus-
sein gekämpft“, dann antworten
sie: „Okay, fein, danke. Es ist aber
vorbei, wir haben jetzt einen an-
deren Kampf.“ Egal was die Regie-
rung anbietet, die Protestierenden
werden es zurückweisen.
STANDARD: Wie stark ist der IS?
Mohammed:Aktuell gruppiert er
sich neu und wird sogar stärker.
Vor 2014 hatten sie keine Frauen
in den Camps. Jetzt stützen sie
sich auf Kinder, die mit der Idee
aufwachsen, alle zu töten. Diese
Terrorgruppen sind wie ein Virus.
Sie passen sich an neue Umwel-
ten an. Der beste Weg, sie am
Wachsen zu hindern, ist, ein
besseres Leben für die Gemein-
schaften zu schaffen, die von
ihnen betroffen waren. Und gut
im Gedächtnis zu behalten, was
sie getan haben.
OMAR MOHAMMED(33)istein ira-
kischer Historiker, der währendder
Terrorherrschaft
des „Islamischen
Staates“ unter
Lebensgefahrals
„Mosul Eye“ aus
seinerHeimat-
stadtbloggte. Heu-
te lebterimExil
in Europa. Foto: AP
Eine Irakerin mit ihrem Baby in den Tagen der Befreiung Mossuls im Juli 2017 vor der Al-Nuri-Moschee.DerWiederaufbau der Stadt geht bis heute nur langsam voran.
Foto: AFP
/Ahmad al-Rubaye
INTERVIEW: Anna Sawerthal