8 |DONNERSTAG, 20.FEBRUAR2020DChronik ERSTANDARD
Ortstafel zweisprachig
gemacht:Freispruch
Sielach/Sele –Ein 86-jähriger
Kärntner wurde auch in zweiter
Instanz am Landesgericht Klagen-
furt vom Vorwurf der Sachbeschä-
digung freigesprochen. Er hatte
die Ortstafel seines Heimatdorfs
Sielach mit einem Aufkleber um
die slowenische Bezeichnung
Sele ergänzt. Obwohl mehr als 15
Prozent der Bevölkerung Sielachs
slowenisch sprechen (Volkszäh-
lung 2001), steht die Gemeinde
nicht auf der Liste der Orte, die ge-
mäß Ortstafelregelung zweispra-
chig zu beschildern sind. (red)
Höhepunktder
Grippewelle überschritten
Wien–Der Höhepunkt der Grippe-
welle in Österreich dürfte bald
überschritten sein. Pro 100.
Einwohner schätzte das Diagnos-
tische Influenza Netzwerk Öster-
reich (DINÖ) in seinem wöchent-
lich veröffentlichten Update zwar
dieZahlderNeuerkrankungenauf
mehr als 2300. In Wien und Graz
gingen die Fälle allerdings bereits
zurück. In Wien wurden knapp
12.900 Neuerkrankungen gemel-
det, in der Woche davor 13.900. In
Graz sank die Zahl von 6500 auf
- (red)
KURZ GEMELDET
Kunstprojektwill autofreies Graz erreichen
BürgermeisterNagl erteilte radikalerIdee eineAbsage–die Organisatorenwollen aber nicht aufgeben
Walter Müller
W
as wird sein, wenn es
plötzlich still ist in der
Stadt? Wenn kein Auto,
nur Radfahrer und Fußgänger auf
den Straßen zu sehen und zu hö-
ren sind? „Als die Autos die Stadt
verließen. #168hGraz wie es sein
könnte“ nennt die Künstlerplatt-
form des Forum Stadtpark ihren
aufsehenerregenden Projektbei-
trag zum Grazer Kulturjahr 2020.
Die Grundidee: Teile der steiri-
schen Landeshauptstadt sollen
eine Woche lang von Autos freige-
halten werden. Graz war knapp
dran, diese Vision einer zumin-
dest temporär autofreien Stadt in
einem großen Feldversuch auszu-
probieren. Bürgermeister Sieg-
fried Nagl zog aber die Notbrem-
se. Er befürchte, lässt er ausrich-
ten, „Umsatzeinbußen der Innen-
stadtkaufleute“. Kulturstadtrat
Günter Riegler (beide ÖVP) hofft
aber im STANDARD-Gespräch
noch auf einen neuen Anlauf.
Der Grazer Stadtraum soll nach
den Plänen der Verkehrsexperten
und Kunstschaffenden in sechs
innerstädtischen Bezirken für 168
Stunden, also genau eine Woche,
von den Autos befreit und in eine
Parklandschaft umgewandelt
werden.
Die Autos sollen auf Privat-
grundstücken, in Tiefgaragen, in
den Innenhöfen, den Garagen in
den Wohnblöcken oder am Stadt-
rand abgestellt werden. Wider-
stand ist vorprogrammiert, des-
halb soll auch eine monatelange
Vorbereitungszeit vorgeschaltet
werden. Im Kulturjahr-2020-Bei-
rat, der die Projekte auswählte,
stieß „#168hGraz wie es sein
könnte“ auf ungeteilte Zustim-
mung. Auch Riegler war angetan:
„Mir hat die Idee gefallen.“
„Wann, wenn nicht im Lichte
der CO 2 -Problematik, des Klima-
wandels,könnte Graz jetzt ein im-
mens starkes internationales Zei-
chen setzen? Selbst die touristi-
scheDimensionwäreenorm“,sagt
Forum-Stadtpark-Chefin Heidrun
Primas zumSTANDARD.
Radikale Denkumkehr
Es gehe um eine radikale Um-
kehr im Denken. Und darum, eine
Möglichkeit zu schaffen zu erle-
ben, „wie es anders sein könnte“.
„Das Wichtigste für uns ist: Wir
wollen die Menschen gewinnen,
ihnen nichts wegnehmen, son-
dern sie von einem Mehrwert der
Lebensqualität überzeugen“, ar-
gumentiert die Forum-Leiterin.
Technisch, organisatorisch und
logistisch sei es machbar, sagt der
Verkehrsexperte Kurt Fallast von
derTechnischenUniversitätGraz.
Das Projekt sei bereits in Simula-
tionen durchgerechnet und mit
Verkehrsverantwortlichen der
Stadt besprochen worden.
„Wir wollen ja kein anarchisti-
sches Projekt. Der öffentliche Ver-
kehr, die Einsatzfahrzeuge, Ret-
tung, Feuerwehr, Polizei und die
Versorger fahren natürlich wei-
ter“, sagt Fallast. Diese Woche
werde „sicher hochspannende Er-
kenntnisse“ bringen, sagt Fallast.
„Ich denke, das Projekt wird hun-
derte Themen für Diplomarbeiten
hergeben–von Feinstaubmessun-
gen über Gesundheitsuntersu-
chungen bis zu Fragen der Sozial-
psychologie oder Kommunika-
tion“, sagt Fallast.
Das jetzige Nein der Stadtspitze
sei ein Ansporn, die Idee weiter zu
verfeinern, sagen Primas und Fal-
last. Sollte Graz endgültig absa-
gen, „werden wir eben das Projekt
international ausschreiben und es
an eine andere Stadt vergeben“.
Aufeinmalwardas Minus unüberschaubar–undFrauS. ging zur
Schuldenberatung. DasPorträt einerFrau, die trotz40-Stunden-Jobs
in die Gehaltspfändung rutschte, und ihresWegs aus der Misere.
EinWegindie Schulden
undwieder heraus
W
eißer Blazer, rote Bluse,
schwarzes Mascherl und
selbstbewusstes Auftre-
ten –Frau S. trägt zwar keine teu-
ren Designerklamotten, aber beim
Treffen mit demSTANDARD in
eine mSalzburger Kaffeehaus deu-
tet nichts darauf hin, dass die 31-
Jährige wirtschaftlich mit dem
RückenzurWandsteht.ImGegen-
teil: Die Anwesenheit des profes-
sionellen Fotografen lässt den
Kellner in ihr eine ihm noch un-
bekannte Künstlerin vermuten.
IhrGesicht,ihrenNamenmöch-
te Frau S. nicht in der Zeitung se-
hen. Sie fürchtet blöde Bemerkun-
gen oder gar Nachteile, immerhin
geht sie ja arbeiten. Derzeit aller-
dings nur geringfügig über eine
Personalleasingfirma. Eben gera-
de so viel, dass sie als Alleinerzie-
herin und derzeit Arbeitslose
nicht aufs Sozialamt muss.
Frau S. wurde jung Mutter, ihr
Sohnistheutezwölf.„Ichhabedie
Handelsschule abgeschlossen,
dann war ich schwanger“, erzählt
sie. Der Vater hat sich dann bald
verabschiedet, Kontakt zu seinem
Sohn hat er keinen. Die Alimente
für seinen Sohn zahlte er anfangs
schleppend, schließlich wurden
gerichtlich 200 Euro im Monat
festgelegt.
Frau S. arbeitet dann 40 Stun-
den die Woche, aber es bleibt am
Ende des Monats von den 1000
Euro netto nichts über. „Working
poor“ nennen das die Sozialfor-
scher. Und für ihren Sohn hat sie
kaum Zeit: „Zum Kindergarten, in
die Volksschule hetzen, abends
im Stress den Buben holen, ich
war fertig, das war kein Leben.“
Bedürfnis nach Teilhabe
Und dann stockt plötzlich die
Erzählung der sonst so selbstsi-
cher wirkenden Frau. Irgendwie
wollte sie sich und ihrem Sohn
auch etwas gönnen, „da war der
Reiz, mehr zu haben“. Zu den Fix-
kosten kamen die ersten Schul-
den, dann neue Schulden, um die
alten abzudecken. Und irgend-
wann wurden die Schulden un-
überschaubar. „Ich habe das
unterschätzt“, sagt Frau S. heute.
Der Geschäftsführer der Salz-
burger Schuldenberatung Peter
Niederreiter erklärt dieses „Unter-
schätzen“ mit einer einfachen
Faustregel: „In fünf Jahren ver-
doppeln sich die Schulden auf-
grund der Zinsen und Kosten-
problematik.“
Bei Frau S. wurden es über
20.000 Euro–Ende der Fahnen-
stange, Gehaltspfändung, die
Schulden wurden existenzbedro-
hend. Frau S. wurde vergangenen
Herbst gekündigt. Schließlich
wandte sie sich nach einigem Zö-
gernandieSchuldenberatung:„Es
ist nicht leicht, um Unterstützung
zu bitten.“ Damit war sie nun eine
von 900 Menschen, die aktuell
von der Salzburger Schuldenbera-
tung betreut werden. Das Wich-
tigste im Fall von Frau S: Es ging
rasch. Auch weil die Summe ver-
gleichsweise gering
ist. Im Schnitt ste-
hen die Klienten und
Klientinnen der
Salzburger Schul-
denberatung mit
etwa 100.000 Euro in
der Kreide.
Und wie geht sich
das Leben aus? Frau
S. hatte sich auf die
sprichwörtlichen Beine gestellt,
sie hat eine geförderte Mietwoh-
nung bekommen. 520 Euro Fix-
kosten. Dazu kommen 100 Euro
für die Nachmittagsbetreuung an
der Schule und natürlich die 120
Euro Abschöpfung für den Privat-
konkurs. Mit Alimenten, Arbeits-
lose und Familienbeihilfe blieben
ihr etwa 700 Euro im Monat zum
Leben. Die Schulprojektwoche für
den Sohn um 180 Euro ist da
schon eine riesige Belastung, ein
Kinobesuch sei nur selten drin,
zum Weihnachtsgeschenk des Bu-
ben zahle die Oma dazu.
Trotzdem: Zum Abschied sagt
Frau S. etwas sehr Positives. „In
fünf Jahren ist der Konkurs vor-
bei.“ Und ihrem Sohn gehe es in
der Schule wieder gut, „auch weil
ich wieder Zeit für ihn habe“.
Der Cappuccino im Café, das Kino, der Urlaub–allesist einLuxus für Frau S. Wer arbeitet und
trotzdem immer knapp ist, will sich fallweise auch etwas gönnen. So beginnt eine Schuldenkarriere.
Foto: Mike Volgl
Thomas Neuhold
GESICHTER
DER
ARMUT
Unter dem Dach der asb-Schuld-
nerberatungenGmbH sind in Ös-
terreich zehn staatlich anerkannte
Schuldenberatungsstellen zu fin-
den. 2019 wurden in Österreich
rund 60.000 Menschen beraten
und unterstützt. Neben der Ab-
wicklung von Zahlungsplänen und
Privatkonkursen steht die Präven-
tion im Vordergrund. Ziel ist es, die
österreichische Volkswirtschaft
zu entlasten sowie die existen-
ziellen Probleme überschuldeter
Menschen zu verhindern, zu ver-
mindern und zu beseitigen.
pwww.schuldenberatung.at
Collage: Coline Robin
Die Vision einer
autolosenStadt:
Ein Grazer
Kulturprojekt
soll Teile der
Landeshauptstadt
eine Woche lang
in die Hand der
Fußgänger und
Radfahrer geben.