Die Zeit - 27.02.2020

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  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 FEUILLETON 53


Wovon mag sie träumen? Die »Schlummernde Venus« von Tizian und Giorgione,
eines der Hauptwerke in der Dresdener Sammlung

Abb.: © Gemäldegalerie Alte Meister/Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Foto: Estel/Klut

Wie von Zauberhand


Altvertraut und doch ganz anders: In Dresden sind die Alten Meister endlich wieder zu sehen VON ADAM SOBOCZYNSKI


D


er Semperbau am Zwinger
in Dresden musste umfas-
send saniert werden. Nicht
nur Schimmel, marode
Parkettböden und undich-
te Fenster wurden in sechs-
jähriger Bautätigkeit besei-
tigt oder renoviert, auch der Brandschutz und die
Sicherheitstechnik sind für die Alten Meister er-
neuert worden – was zwar beruhigend klingt,
aber sogleich an das allerjüngste Trauma dieser an
Traumata so reichen Stadt erinnert, den Juwelen-
raub im November im Grünen Gewölbe, das nur
ein paar Meter entfernt liegt. Die Baufälligkeit
des herrschaftlichen Museumsgebäudes aus dem



  1. Jahrhundert war dem Direktor der Samm-
    lung Stephan Koja, der seit 2016 im Amt ist, of-
    fenkundig sehr zupassgekommen. Die notwendi-
    ge Renovierung nahm er zum Anlass, mit seinen
    Mitarbeitern gleich die gesamte Ausstellung
    grundlegend zu überholen. Ein Neubeginn, der
    natürlich schon deshalb gewagt ist, weil man es
    hier mit einer der berühmtesten Sammlungen
    weltweit zu tun hat. Von diesem Wochenende an
    lässt sich das Ergebnis erkunden.
    Der sächsische Reichtum mit seinen Handels-
    städten und innovativen Manufakturen hatte es
    August dem Starken und seinem Sohn August III.
    ermöglicht, eine ungeheure Flut an Meisterwer-
    ken zu erwerben. Vor allem in der ersten Hälfte


des 18. Jahrhunderts war zeitweise ein regelrech-
tes Netz an Agenten und Kunsthändlern europa-
weit für die Dresdener Herrscher tätig, um Bilder
von Tizian, Raffael, Correggio, Tintoretto, von
Jan van Eyck, Rubens, Rembrandt, Vermeer, El
Greco, Velázquez, von Tournier, Lorrain und
Poussin herbeizuschaffen. In beispiellos kurzer
Zeit, in nur vier, fünf Jahrzehnten, wurde eine
Sammlung von Weltrang erstanden. Spätestens
um 1800 war Dresden der Pilgerort schlechthin
für Kunstbegeisterte. Vor allem romantische
Schriftsteller, aber auch noch Dostojewski er-
starrten regelrecht begeistert vor dem bis heute
bekanntesten Gemälde der Sammlung: Raffaels
Sixtinischer Madonna. Die zwei nachdenklich-
lustigen Putten am unteren Bildrand sind zum
profanen Postkarten- und Bettwäschemotiv ge-
worden. Aber es sind vor allem russische Besu-
cher, die noch heute inbrünstig betend vor dem
Bild stehen. Die Madonna war, wie so viele Bilder
aus Dresden, zwischen 1945 und 1955 als Beute-
kunst in Moskau. Auch das mag im religiösen
Empfinden mitschwingen.
Die wohl grundlegendste Neuerung der Aus-
stellung beruht auf der völlig plausiblen Entschei-
dung, die Gemälde in Zukunft mit zahlreichen,
bislang im Albertinum ausgestellten Skulpturen zu
präsentieren. Im ersten Raum steht die sogenannte
Dresdner Symplegma im Zentrum. Ein Hermaphro-
dit und ein Satyr ringen mit ein an der, und es bleibt

doch sehr zweifelhaft, ob die erotisch-akrobatische
Verstrickung einvernehmlich ist. Im Kontrast dazu
stehen die drei einst von Winckelmann so gerühm-
ten Herkulanerinnen in vornehmer Ruhe in ihren
vornehmen Gewändern und blicken auf das Ge-
schehen. In der neuen Zusammenstellung von Bild
und Skulptur zeigen sich mitunter überraschende
Referenzen: Ein marmorner Kindskopf, der Hen-
drik de Keyser zugeschrieben wird, taucht in Rem-
brandts Gemälde Ganymed in den Fängen des Adlers
wieder auf. Antike Skulpturen werden häufig als
Vorbilder für Renaissance-Gemälde sichtbar.
Nicht immer sind die Analogien in diesem
Wechselspiel ganz evident, manchmal soll auch
nur eine Assoziation geweckt werden, was aber
ebenfalls glückt. In der Nähe der Schlummernden
Venus (1510) von Giorgione und Tizian, der ers-
ten großformatigen weiblichen Aktdarstellung
überhaupt, und von Poussins Ruhender Venus mit
Amor steht die bronzene, sich selbst tötende Por-
cia von François Duquesnoy und verwandelt den
erotischen in einen mörderischen Akt.
Wer vor der Neugestaltung der Sammlung im
Museum war, mag sich noch an die grauen, kühl-
abstrakten Wände erinnern, vor denen die Bilder
hingen. Man wird die Ausstellung jetzt nicht
mehr wiedererkennen. Die Galerie hat sich auf
das barocke Farbenspiel ihrer einstigen Sammler
besonnen, die Bilder erstrahlen vor einem satten
Blau oder Rosé oder Grün, sie gewinnen wieder

an Feierlichkeit und Wärme, und nur Gemüts-
arme werden das als Kitsch erleben. Hinzu
kommt, dass die Fenster nicht mehr fugendicht
verhängt werden, es dringt das früher so gefürch-
tete Tageslicht in die Gänge und in manche Räu-
me. Das Museum öffnet sich so auch wieder zum
weiten Theaterplatz, der immer wieder sichtbar
wird und wie von Zauberhand zum festen Be-
standteil der Ausstellung gerät.
Diese alte, mit einem Mal völlig neue Aus-
stellung ist, man kann es nicht anders sagen,
rundum geglückt. Nicht nur das Gebäude, auch
zahlreiche Skulpturen und Gemälde sind restau-
riert worden – in neuem Glanz werden unter
anderem Ercole de’ Robertis Die Gefangennahme
Christi und der Katharinenaltar von Lucas Cra-
nach dem Älteren gezeigt.
Wem Ausstellungskonzepte ohnehin nicht so
wichtig sind, der kann sich nach wie vor einfach
vor ein Bild stellen, zum Beispiel vor Vermeers
Bei der Kupplerin, das allein eine Reise wert ist.
Dargestellt wird eine Bordellszene, der Freier
streckt den beteiligten Figuren und zugleich dem
Bildbetrachter ein Geldstück entgegen: Zu sehen
ist es nur als kleiner, funkelnder Strich in der
Bildmitte. Es ist das mit Abstand pornografischste
Gemälde der Sammlung, und nicht einmal ein
Zeh ist hier entblößt.

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D


ie Berlinale ist noch in vollem Gange, und
schon jetzt geben uns ihre Kinoheldinnen
etwas mit. Keine Botschaften, sondern
eine struppige Mischung aus Glückskeksweisheit
und Lebensmotto: Kämpfe um deine Spielräume!
Ein weiblicher Wassergeist wehrt sich gegen die
Rolle, die er vom Mythos zugewiesen bekommt
(Undine von Chris tian Petzold). Ein halbwüchsi-
ges, schwangeres Mädchen in der nordamerikani-
schen Provinz fühlt sich der Mutterrolle noch
nicht gewachsen (Never Rare ly Some times Always
von Eliza Hittman). Eine Synchronsprecherin ja-
panischer Horror-Sexfilme befreit sich vom Hor-
ror ihres Lebens (Der Eindringling von Natalia
Meta). Die Wettbewerbsfilme suchen weder Re-
volutionen noch Utopien. Ihre Heldinnen sind
sogar ziemlich verschlossen. Doch mit ihren Bil-
dern eröffnen die Regisseurinnen und Regisseure
den Figuren eine Perspektive, eine Bewegung,
einen Horizont
Christian Petzolds Undine (Paula Beer) ist
Historikerin im heutigen Berlin. Vor Touristen
hält sie Vorträge über die Geschichte der Stadt,
ihre Baustile und architektonischen Visionen. Als
Undine von ihrem Freund verlassen wird, müsste
sie, der Sage folgend, Rache üben, den Untreuen
in ihrer Wasserblase ertränken. Aber sie will nicht
töten, sie will leben und lieben. Undine begegnet
dem Industrietaucher Christoph (Franz Rogow-
ski), der im Wasser so zu Hause ist wie sie. Durch
die Vorträge der Heldin wird Berlin von der fest
im märkischen Sand stehenden Stadt zu einem
sich wandelnden Gebilde, entstanden aus Plänen,
Idealen, Ideologien. Zugleich ist Berlin ein Sehn-
suchtsort für aus der Zeit gefallene Liebende.
Plötzlich wirkt die Stadt so vergänglich wie die
Lichtreflexe auf den Fenstern der Regierungs-
gebäude an der Spree.
In Eliza Hittmans Film Never Rare ly Some times
Always ist die Stadt New York ein Raum pragmati-
scher Möglichkeiten: der Ort, an dem man in den
USA als Minderjährige ohne Einverständnis der
Eltern eine Abtreibung vornehmen lassen kann.
Die berühmte Sky line ist nur kurz aus dem Fenster
eines Überlandbusses zu sehen.Zwischen den Ter-
minen in der Klinik streunen die Provinzlerinnen
Autumn und ihre Cousine Skylar durch Spielhal-
len, Bowlingclubs, U-Bahnhöfe. Im Zentrum des
Films steht eine etwa zehnminütige Szene. Sie hält
fest, wie Autumn vor dem Eingriff eine psycholo-
gische Beratung absolviert. Haben Sie je beim Sex
Gewalt erfahren? Die bereits im Filmtitel aufschei-
nenden Multiple-Choice-Antworten lauten: nie-
mals, selten, manchmal, immer. Vielleicht wird
der Siebzehnjährigen durch diese Fragen zum ersten
Mal etwas bewusst. Etwa die Möglichkeit, einen
Schritt weiter zu gehen.
Und im Horrorfilm? Sind Frauen meistens die
Opfer. In Der Eindringling von der Argentinierin
Natalia Meta sind die Zeichen des Unheils akus-
tischer Natur: Seltsame Schwingungen, kaum
wahrnehmbare Obertöne und Interferenzen sind
auf den Aufnahmen der Synchronsprecherin und
Chorsängerin Inés zu hören. Wer oder was hat von
ihr Besitz ergriffen? Der verstorbene Macho-
Freund? Die übergriffige Mutter? Der neue Ver-
ehrer, ein Orgelbauer? Oder handelt es sich bei
den Eindringlingen um Gestalten ihrer Albträu-
me? In dem Film formulieren die Träume ein um-
fassendes Unbehagen. Vielleicht sind sie aber auch
eine Art Selbstermächtigung der Heldin. Am Ende
steht jedenfalls die irrwitzige Aussicht, ausgerech-
net in der totalen Fremdbestimmtheit die eigene
Stimme zu finden. KATJA NICODEMUS

Was uns die Heldinnen und die
Bilder der 70. Berlinale erzählen

Niemals, selten,


manchmal, immer


2020 istdas Schicksalsjahr derUSA.ImNovember wird derPräside nt


gewählt, unddie Lage spitzt sichdramatischzu: Wird Trumpesnocheinmal


schaffen? Undwaswürdedas bedeuten? DiesesBuch gibt dieAntwort.


WERDIESESBUCHLIEST,VERSTEHT


DIEHINTERGRÜ NDEUNDWEISS, WAS


AUFDEM SPIELSTEHT.


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