Hier entdecken jede Woche im Wechsel: Francesco Giammarco, Alard von Kittlitz, Anna Mayr und Nina Pauer
Leitungsmangel
Über ein Leben, in dem man alles hat – außer ordentlicher Downloadgeschwindigkeit
E
s hat lange gedauert, bis ich
herausgefunden habe, wo in
meiner Wohnung das Inter-
net herkommt. In allen
Wohnungen, die ich kann-
te, kam es aus einer kleinen Dose in der
Wand. Auf Handys kommt es aus der
Luft, das weiß man gemeinhin. Bei mir
kommt es aber durchs Fenster. Unten
in den Holzfensterrahmen hat jemand
ein sehr langes, dünnes Loch gebohrt
und ein Kabel durchgezogen, das au-
ßen an der Hauswand festgetackert ist.
Bei Wind und Regen hoffe ich
immer, dass es dem Kabel gut geht, so
ganz schutzlos da draußen. Insgesamt
habe ich inzwischen eine recht emo-
tionale Beziehung zu ihm. Schließlich
weiß dieses Kabel alles über mich.
Meine Online-Banking-PIN, meinen
letzten Tweet, meine Lieblingsserien.
Das Kabel verbindet mein kleines
Leben mit der Welt. Beziehungsweise
mit dem weltweiten Web.
Die Sache ist: Das Kabel lässt sich
sehr, sehr viel Zeit dabei. 3 Megabyte
pro Sekunde kommen maximal durch.
Das sind 497 Megabyte weniger als im
LTE-Netz meines Handys und 13 Me-
gabyte weniger, als der Vertrag ver-
spricht. Als ich das Internet gekauft
habe, sagte die Frau von der Telekom,
dass es dort, wo ich wohne, nämlich in
einem Teil von Berlin, der mal DDR
war und in dem Fensterrahmen noch
aus Holz sind, zu viele Internetan-
schlüsse gebe, zu viele Menschen und
für alle diese Menschen zu wenig Kabel.
Das Internet sei dort einfach leer. Sie
nannte es »Leitungsmangel«.
Leitungsmangel, das führt auf einen
Weg, auf dem Parteivorsitz-Witze rechts
und links herumliegen: Leitungsmangel
scheint also nicht nur im Konrad-Ade-
nauer-Haus ein Problem zu sein. Haha.
Immerhin gesteht sich die Telekom
ihren Leitungsmangel ein, anders als
Christian Lindner. Haha. Aber vergessen
wir das, denn das hier ist ja nicht die
heute-show.
Während der ersten Wochen habe
ich mich geärgert, dass ich den ganz
normalen Tarif für sehr wenig Inter-
net bezahle. Ich war neidisch auf die
Dorfgemeinschaften, die ich in verpi-
xelten TV-Dokus sehen konnte, die
sich ihre eigenen Leitungsgräben gru-
ben, weil die Telekom es nicht tat.
Das geht hier nicht. Ich besitze keinen
Bagger – und selbst wenn, dürfte ich
ihn mitten in Berlin wahrscheinlich
nicht benutzen, um mich und meine
Nachbarn leitungsmäßig upzugraden.
Und selbst wenn ich ihn doch benut-
zen dürfte, fände ich am Ende keinen
Parkplatz.
Es blieb mir also nichts anderes
übrig, als mich mit dem Leitungs-
mangel zu versöhnen. Ich lebe in
einem Land, in dem ich im Februar
Himbeeren kaufen kann. Und in einer
Stadt, in der es möglich ist, um 21
Uhr an einem Mittwoch Minigolf zu
spielen. Gut also, dass es auch Dinge
gibt, die einfach nicht verfügbar sind.
Ausverkauft. Leer, adios, futschikato.
Abends, wenn ich darauf warte, dass
meine Serie lädt, denke ich an all die
Menschen über und unter und neben
mir in ihren Wohnungen, die gerade
genau das Gleiche tun. Daran, wie wir
das wenige Internet, das es gibt, ge-
schwisterlich miteinander teilen, so wie
Pfadfinder am Lagerfeuer die paar Stü-
cke Stockbrot, die nicht vollkommen
verbrannt sind. Ich denke, wie schön es
ist, sich auf diese Weise verbunden zu
fühlen: weil man nämlich gemeinsam
so schlecht verbunden ist. Ich frage mich
dann, ob ein Mangel an Dingen (Inter-
net, Parteivorsitzende, Vernunft) gene-
rell geeignet ist, um ein Gemeinschafts-
gefühl unter Menschen herzustellen.
Dann, zum Schluss, denke ich an all die
Dinge im Leben, die der Markt nicht
regelt. Das Problem mit der Serie erle-
digt sich dabei meistens ganz von allein,
weil ich schnell und friedlich davon-
schlummere.
ANNA MAYR ENTDECKT
Illustration: Oriana Fenwick für DIE ZEIT
ENTDECKEN
Victoria Jung porträtiert hier Menschen, die ihr im Alltag begegnen.
Protokoll: Cosima Schmitt
Ich wusste schon immer, dass
ich tanzen wollte. Mit acht
habe ich mit Hip-Hop
begonnen. Wenn ich tanze,
fühle ich mich frei. Die Musik
tanzt mit mir, das kommt von
innen, ist wie eine kurze Pause
vom Leben. Früher war ich
schüchtern. Beim Tanzen lernst
du, aus dir herauszugehen. Ich
mache zum Beispiel gerne bei
»Battles« mit: Da hat jeder 45
Sekunden und tanzt frei was
vor, und eine Jury entscheidet
dann, wer weiterkommt.
Wenn du da mithalten willst,
darfst du nicht auf die anderen
schauen, was die alles können,
du musst an dich selbst
glauben. Das ist eine wichtige
Erfahrung, auch so fürs Leben.
Sarah Jehle, 21, studiert
Bewegungspädagogik und Tanz
in sozialer Arbeit in Potsdam
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