Die Zeit - 27.02.2020

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Er konnte Jesus sein, aber eben auch Rasputin.« Sie fährt
fort: »Ich liebte meine Kommune, ich liebte die Sann ya­
sin wie eigene Kinder, wie eine Königin ihre Anvertrau­
ten. Aber ich war nie naiv. Wer eine Krone trägt, darf die
Guillotine nicht fürchten.«
Ihr Sturz war in der Tat abgrundtief. Wenige Tage nach
meinem Interview ließ der Guru in einer öffentlichen Ze­
remonie Sheelas Kleider verbrennen, in den Scheiterhau­
fen wanderte auch ein Buch, von dem er behauptete, sie
habe es ohne sein Wissen unter seinem Namen verbreitet.
Dann machte Bhagwan den taktischen Fehler, das FBI zur
Recherche in die Kommune einzuladen und den amerika­
nischen Beamten sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu
stellen – es war der Beginn seines Niedergangs.
Sheela war mit einigen Freundinnen in jenem September
1985 nach Deutschland geflogen, weil sie hier von frühe­
ren Besuchen Leute kannte, unter anderem einen Anwalt,
der sie beriet. Sie kam zuerst in einem billigen Hotel im
Schwarzwald unter. Von den Millionen, die sie angeblich
mitgenommen hatte, keine Spur. Bereits im Oktober
wurde sie jedoch verhaftet und schließlich im Fe bru ar
1986 an die USA ausgeliefert.
Die amerikanischen Behörden legten eine lange Liste
von Anklagepunkten vor: Vorgeworfen wurde Sheela ein
Mordversuch an Bhagwans Leibarzt, die geplante Ver­
giftung von zwei Behörden­Mitarbeitern, außerdem das
Abhören von Telefonen und Privaträumen in Raj neesh­
pu ram und das Organisieren von Hunderten von Schein­
ehen – der größte Einwanderungsbetrug, den es bis da­
hin gegeben hatte. Mit einem Salmonellen­Anschlag auf
Restaurants, durch den mehr als 700 Menschen erkrank­
ten, hätten die Sann ya sin dazu austesten wollen, ob die

Bürger sich so von der Teilnahme an den Regionalwahlen
abhalten ließen. Eine von Sheelas Vertrauten, Jane Stork
alias Ma Shanti, bestätigte vor Gericht den Mordversuch
an Bhagwans Arzt, sie habe ihm, von Sheela angestachelt,
eine Giftspritze verabreicht.
Sheela drohten 20 Jahre Haft. Doch sie ging mit der
Staatsanwaltschaft einen Deal ein, und so wurde das
Strafmaß auf viereinhalb Jahre reduziert. Dafür habe
sie sich in einigen Anklagepunkten schuldig bekennen
müssen, sagt sie heute – obwohl sie gar nicht schuldig
gewesen sei. »Ich habe mich darauf nur eingelassen, weil
ich nicht viel Geld für einen guten Anwalt hatte und mir
bewusst war, dass ich in den USA nie einen fairen Prozess
bekommen hätte.« Mehr als solche Ausflüchte sind von
ihr nicht zu hören. »Ich habe immer alles für Bhagwan
getan, alles diente seinem eigenen Schutz. Ich bin mir bis
heute keiner Schuld bewusst.«
Aber wie ist es dann wirklich zu dem Anschlag mit den
Salmonellen gekommen, den die Behörden auf eine Gift­
küche in Raj neesh pu ram zurückführen konnten? Wie zu
dem Mordversuch an dem Leibarzt, zu dem sich Sheelas
Vertraute doch vor Gericht bekannt hat? »Jeder hat seine
eigene Wahrheit«, sagt Sheela. Aber klingt das nicht all­
zu sehr nach Verdrängung, nach Rechtfertigung für das,
was nicht zu rechtfertigen ist, nach Mangel an Reue und
Empathie – nach zurechtgebogenen »alternativen Fakten«?
Sie wird bei der zweiten Nachfrage eine Spur ungehalten.
»Das ist die Vergangenheit«, sagt sie. »Ich blicke nie zurück,
weder im Zorn noch in Verklärung.«
39 Monate hat Sheela in amerikanischen Gefängnissen
gesessen. Wegen guter Führung kam sie 1988 frei und
wurde sofort abgeschoben, auf eigenen Wunsch in die

Anfang der Achtzigerjahre zog Bhagwan mit seinen
Jüngern in den US-Bundesstaat Oregon, wo diese
in der Wildnis eine Stadt für ihre Kommune bauten

Über die nach Bhagwan benannte Stadt wachte eine
eigene Polizei, das Peace Corps. Wegen Konflikten
mit Nachbarn wurden Waffen angeschafft

Fotos


Paul Harris / Getty Images, Matthew Naythons / GAMMA


­RAPHO / laif


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