Die Welt - 21.02.2020

(Grace) #1

N


ach der eigentlichen Ar-
beit noch mal zwei oder
drei Stunden abends in
der Kneipe aushelfen, Ta-
xifahren oder als Nachhil-
felehrer arbeiten: Wer mit seinem Ge-
haltnicht auskommt, sich einen beson-
deren Wunsch erfüllen oder mit einem
Hobby Geld verdienen will, kann einen
Nebenjobaufnehmen. Ende Juni 2019
taten das nach Zahlen der Bundesagen-
tur für Arbeit rund 3,54 Millionen Men-
schen in Deutschland – ein neuer Re-
kord. Zehn Jahre zuvor waren es erst
2,33 Millionen Mehrfachbeschäftigte.

VON JAN SCHULTE

Studien deuten darauf hin, dass viele
Arbeitnehmer, die Nebenjobs haben,
tatsächlich auf das Geld angewiesen
sind. So ergab etwa eine 2019 veröffent-
lichte Erhebung des Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Instituts der
gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stif-
tung, dass für mehr als die Hälfte
(53Prozent) der Befragten finanzielle
Schwierigkeiten ausschlaggebend wa-
ren, eine solche Stelle anzunehmen.
Rund ein Viertel konnte keinen Vollzeit-
job finden. Für 51 Prozent waren beson-
dere Konsumwünsche entscheidend.
Arbeitnehmer sollten bei der Entschei-
dung für einen Nebenjob allerdings ge-
nau abwägen. Denn das Arbeitsrecht
setzt einige Hürden.
„Grundsätzlich gilt in Deutschland
zwar das Grundrecht auf eine freie Be-
rufswahl, allerdings darf die Haupttätig-
keit dadurch nicht vernachlässigt wer-
den“, erklärt Gabriele Xaver, Fachan-
wältin für Arbeitsrecht und Mitglied im
Deutschen Anwaltverein. Das kann zum
Beispiel der Fall sein, wenn einen der
Nebenjob so sehr belastet, dass man bei
der anderen Arbeit nicht mehr die volle
erwartete Leistung erbringen kann. „In
diesem Fall gilt eine sogenannte Unter-
lassungspflicht“, sagt Xaver.
Eine weitere Hürde ist die zulässige
Höchstarbeitszeit: Laut dem Arbeits-
zeitgesetz dürfen Arbeitnehmer am Tag
nicht mehr als acht Stunden arbeiten.
Diese Höchstgrenze lässt sich jedoch
kurzzeitig auf bis zu zehn Stunden er-
höhen, und zwar wenn ein Angestellter
innerhalb von sechs Monaten im Durch-
schnitt nicht länger als acht Stunden
gearbeitet hat. Theoretisch ist es also
auch möglich, mehrere kleine Neben-
jobs zu haben – wenn man eben nicht
insgesamt zu viel arbeitet.
Auch im Urlaub ist das Arbeiten in ei-
nem Nebenjob nicht erlaubt. Bei denje-
nigen, die durch Krankheit arbeitsunfä-
hig geschrieben sind, wird es kompli-
zierter. „Wer krankgeschrieben ist,
muss nicht zwingend im Bett liegen“,
sagt Xaver. Der Anwältin zufolge dür-
fen Arbeitnehmer auch in diesem Fall
ihrem Nebenjob nachgehen – solange
sie dabei ihre eigene Genesung nicht
verzögern und so ihrem Hauptarbeitge-
ber schaden.
Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer
aus arbeitsrechtlicher Sicht ihren
Hauptarbeitgeber nicht über ihren Ne-
benjob informieren – bevor sie sich eine
zusätzliche Stelle suchen, sollten sie
aber auf jeden Fall einen Blick in ihren
Arbeitsvertrag werfen. „Dort kann ein
Verbot zwar nicht pauschal vereinbart
werden“, sagt Xaver. Allerdings stehe
darin häufig, dass der Arbeitgeber das
genehmigen muss.
Wer ihn also nicht vorab informiert,
müsse eventuell mit einer Abmahnung
oder im schlimmsten Fall sogar mit ei-
ner Kündigung rechnen – selbst wenn
das Informieren nur eine reine Formali-
tät ist. Ablehnen kann der Arbeitgeber
den Nebenjob nur, wenn er die Arbeits-

leistung seines Angestellten beeinflusst,
oder unter Umständen auch, wenn es
ein Nebenjob bei der Konkurrenz ist.
Auch eine ehrenamtliche Stelle kann
einem der Hauptarbeitgeber verbieten.
„Grundsätzlich darf die Zielrichtung
des Unternehmens und dessen Wahr-
nehmung in der Öffentlichkeit nicht
gefährdet werden“, sagt Xaver. Wer
zum Beispiel für ein Unternehmen ar-
beite, das im Braunkohletagebau tätig
ist, darf sich eher nicht in einem Um-
weltverband gegen ebenjenen Tagebau
engagieren.
Wer einen Nebenjob antritt, braucht
zwar nicht zwingend einen schriftlichen
Arbeitsvertrag. „Verträge gelten auch
mündlich“, sagt Xaver. Trotzdem ist es
der Anwältin zufolge sinnvoll, die we-
sentlichen Punkte niedergeschrieben zu
haben. Dazu gehörten in etwa die Ver-
gütung, Arbeitsbeginn und Arbeitsort
sowie die Urlaubsregelung. „Unklare
Klauseln gehen im Arbeitsrecht meist
zulasten des Arbeitgebers“, beruhigt die
Anwältin.
Wer all die arbeitsrechtlichen Fragen
für sich geklärt hat, muss sich noch mit
dem Thema Steuern befassen. Wer als
Alleinstehender im Hauptjob zum Bei-
spiel knapp weniger als 55.960 Euro im
Jahr versteuern muss, der sollte sich ge-
nau überlegen, ob er sich eine weitere
Stelle sucht. Sobald jemand nämlich
mehr verdient, muss er den Spitzen-
steuersatz von 42 Prozent auf sein Ein-
kommen zahlen.
Wer einen Nebenjob annehme, lande
in der Regel in Steuerklasse sechs, sagt
Carsten Nicklaus, Steuerberater und
stellvertretender Vorsitzender des
Steuerberaterverbandes Düsseldorf. In
dieser Klasse liegt die höchste Steuerbe-
lastung vor. Vor allem weil darin unter
anderem der Grundfreibetragvon aktu-
ell 9408 Euro nicht berücksichtigt wird.
„Diese hohen Steuereinbehalte sind
in den meisten Fällen aber berechtigt“,
sagt Nicklaus. Denn je nachdem, welche
Kosten man über das Jahr hatte und wie
viel man insgesamt verdient hat, ließe
sich am Ende einiges über die Steuerer-
klärung zurückholen. So könne der Ar-
beitnehmer Werbungskosten, also zum
Beispiel Ausgaben wie die Fahrtkosten
zum Büro und Aufwendungen für Ar-
beitsmittel, geltend machen. „Damit
lässt sich die Steuerlast zum Teil erheb-
lich abmildern“, sagt Nicklaus.
Zudem gibt es einige Nebentätigkei-
ten, die bis zu einem bestimmten Betrag
von der Steuer befreit sind. Das gilt zum
einen für einen Minijob. Als Faustegel
gilt, dass dabei regelmäßig nicht mehr
als 450 Euro im Monat oder 5400 Euro
im Jahr verdient werden darf. Doch Vor-
sicht: Hat man mehrere Minijobs neben
einer versicherungspflichtigen Haupt-
beschäftigung, ist nur der erste kom-
plett abgabenfrei.
Auch Tätigkeiten als Übungsleiter,
Trainer, Betreuer oder Ausbilder kön-
nen steuerfrei sein. „Die Arbeit muss
dafür alsgemeinnützig, mildtätig oder
kirchlichgelten“, sagt Nicklaus. Bis zu
2400 Euro lassen sich über die soge-
nannte Übungsleiterpauschale dabei
jährlich steuerfrei verdienen – für diese
Aufwandsentschädigung fallen zudem
keine Sozialabgaben, etwa für die Ren-
te, an.
„Darüber hinaus gibt noch die Ehren-
amtspauschale“, sagt der Steuerberater.
Auch die sei bis zu 720 Euro im Jahr von
jeglicher Steuer befreit. Geltend ma-
chen kann die zum Beispiel der Sport-
trainer, der nebenbei noch Kassenwart
im Verein ist. „In der Abrechnung sollte
dann darauf geachtet werden, dass die
unterschiedlichen Tätigkeiten vonei-
nander abgegrenzt werden“, erklärt
Nicklaus.

Erfolgreich


im Nebenjob


Für Mehrfachbeschäftigte gelten Regeln.


Eine davon ist die tägliche Arbeitszeit, die nur


kurzzeitig überschritten werden darf. Worauf


Sie alles achten sollten, um Ärger zu umgehen


GETTY IMAGES

/AKIKO AOKI

Immer mehr Nebenjobs


jeweils im Juni Quelle: Bundesagentur für Arbeit; dpa


Zahl der Mehrfachbeschäftigten in Deutschland in Mio.


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A N Z E I G E


17


21.02.20 Freitag, 21. Februar 2020DWBE-HP


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DIE WELT FREITAG,21.FEBRUAR2020 MANAGEMENT & KARRIERE 17


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D


as Bewerbungsgespräch lief so
gut, dass Jasamin Ulfat-Sed-
diqzai dachte, sie bekäme den
Job. Dann aber wurde sie zu einem
zweiten Gespräch eingeladen – dieses
Mal mit dem Chef persönlich. „Er hat
mir dann gesagt, er müsse mein Kopf-
tuch thematisieren“, sagt die gelernte
Anglistin und Germanistin.
Ulfat-Seddiqzai unterrichtet an der
Universität Duisburg-Essen Britische
Literatur im postkolonialen Kontext
und forscht zum Thema orientalistische
Stereotypen und Rassismus. Damals sei
es um einen Studentenjob im Büro ei-
ner Sprachschule gegangen, erzählt sie.
„Im Vorstellungsgespräch hat mich
mein Chef gefragt, ob ich bereit wäre,
das Kopftuch abzusetzen.“ Sie habe
wahrheitsgemäß geantwortet, sie könne
sich das vorstellen, wenn der Job es er-
fordere.

VON INGA DREYER

Die Wissenschaftlerin und Journalis-
tin hat häufig erlebt, dass es in Bewer-
bungsverfahren um ihren Glauben oder
um ihren afghanischen Migrationshin-
tergrund ging. Das seien private The-
men, die für die Entscheidung des Ar-
beitgebers keine Rolle spielen dürfen,
betont Evelyn Räder, Arbeitsrechtsex-
pertin in der Bundesrechtsabteilung der
Gewerkschaft Ver.di. „Ob ich einen Mi-
grationshintergrund habe oder die
deutsche Staatsbürgerschaft besitze,
muss dem Arbeitgeber egal sein.“
Allerdings gebe es eine Ausnahme:
Bei Zugewanderten müssten sich Ar-
beitgeber versichern, dass diese in
Deutschland arbeiten dürfen. Beschäfti-
gen sie jemanden trotz Arbeitsverbot,
begingen sie selbst eine Ordnungswid-
rigkeit. Generell lässt sich sagen: Fragen
nach privaten Informationen sind so
lange tabu, wie sie nichts mit der Aus-
übung des Jobs zu tun haben.
„Es muss ein billigenswertes, berech-
tigtes und schutzwürdiges Interesse des
Arbeitgebers bestehen“, sagt Räder.
Wenn sich jemand beispielsweise als
Lehrkraft für ein bestimmtes religiöses
Bekenntnis bewirbt, dürfe auch nach
der Religionszugehörigkeit gefragt wer-
den, erklärt Johannes Schipp, Fachan-
walt für Arbeitsrecht und Vorsitzender
der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht
im Deutschen Anwaltverein.
Bewerberinnen und Bewerber befin-
den sich häufig in einem Konflikt: Ei-
nerseits möchten sie ein Vertrauensver-
hältnis schaffen, andererseits nicht zu
viel von sich preisgeben. „Deswegen
hilft die Rechtsprechung aus dieser
Zwickmühle“, erklärt Evelyn Räder. Das
bedeutet: Bei unzulässigen Fragen darf
man die Unwahrheit sagen.
Eine andere Möglichkeit ist, auf die
Unzulässigkeit einer Frage hinzuwei-
sen. Der Arbeitgeber werde sich dann
aber womöglich seinen eigenen Reim
darauf machen, sagt Johannes Schipp.
„Es kann sein, dass es unter Umständen
klüger ist, zur Notlüge zu greifen.“
Ein klassisches Beispiel für unzulässi-
ge Fragen sind die Themen Familienpla-
nung und Schwangerschaft. Ob jemand
Kinder bekommen möchte, habe nichts
mit der Qualifikation für eine Stelle zu
tun, betont Räder. „Ich würde auch nie-
mandem raten, von sich aus darüber zu
sprechen, denn das gehört nicht in ein
Bewerbungsgespräch.“

Über eine bestehende Schwanger-
schaft muss selbst dann nicht gespro-
chen werden, wenn es um eine Bewer-
bung als Schwangerschaftsvertretung
geht, erklärt Schipp. Ausnahmen könne
es nur geben, wenn jemand eine Stelle
über den gesamten Zeitraum etwa eines
befristeten Arbeitsverhältnisses nicht
antreten kann – beispielsweise, weil
Schwangere in dem Beruf einem Be-
schäftigungsverbot unterliegen.
Bei der Frage nach dem Kopftuch hat
Ulfat-Seddiqzai wahrheitsgemäß geant-
wortet. Laut Schipp hätte sie jedoch sa-
gen können, was sie möchte. In ihrem
Fall ging es um zukünftiges Verhalten,
erklärt er. Der Arbeitgeber habe später
nicht das Recht, Absichtserklärungen
einzufordern. Der Anwalt sieht auch
keinen Grund, warum es im Büro einer
Sprachschule ein Kopftuchverbot geben
solle. „Hier ist es relativ klar: Das geht
den Arbeitgeber nichts an.“
Auch Fragen nach Krankheiten,
Suchtproblemen oder Behinderungen
dürfen normalerweise nicht gestellt
werden, sagt Schipp. Als Ausnahme gilt,
wenn ein bestimmter Job dadurch nicht
ausgeübt werden kann. Gleiches gilt für
Vorstrafen: Ansprechen müssen Bewer-
ber und Bewerberinnen sie nur, wenn
für die Arbeitsstelle wichtig sind. Eine
Vorstrafe wegen Trunkenheit im Ver-
kehr sei für einen Bankangestellten
nicht relevant, für einen Busfahrer hin-
gegen schon.
Auch nach einer Gewerkschafts- oder
Parteizugehörigkeit dürfe der Arbeitge-
ber nicht fragen – außer man bewirbt
sich etwa bei einer politischen Organi-
sation. „In solchen Fällen kann es er-
laubt sein, zu fragen, ob man nicht Mit-
glied beim politischen Gegner ist“, sagt
Schipp. Bei bestimmten Themen könne
sogar eine Offenbarungspflicht herr-
schen. Die gelte für Eigenschaften, die
für die Tätigkeit von ausschlaggebender
Bedeutung sind: Wer sich als Lastkraft-
wagenfahrer bewirbt, aber keinen Füh-
rerschein hat, muss das offenlegen.
Vor einem Bewerbungsgespräch
empfiehlt es sich darüber nachzuden-
ken, welche Informationen man preis-
geben sollte und welche nicht. Ratsam
ist auch zu überlegen, wie man auf un-
zulässige Fragen reagieren würde. „Ich
gebe Antworten, die möglichst schlag-
fertig sind“, erzählt Jasamin Ulfat-Sed-
diqzai. Eine Strategie, die auf jeden Fall
funktioniere, gebe es aber nicht.
Als ihr im Bewerbungsgespräch unge-
fragt mitgeteilt wurde, dass sie auf dem
Flur nicht beten dürfe, habe sie geant-
wortet: „Ich bin nicht zum Beten hier
und werde auch nicht missionieren.“
Das mit dem Missionieren war als Witz
gemeint, wurde aber nicht so aufge-
fasst. Wer bei Bewerbungen mit unan-
gemessenen oder rassistischen Situatio-
nen konfrontiert wird, dem empfiehlt
Ulfat-Seddiqzai, sich nicht entmutigen
zu lassen – sondern es immer wieder zu
probieren.
Wer im Bewerbungsprozess ohne
sachlichen Grund ungleich behandelt
wurde, kann nach Paragraf 15 des Allge-
meinen Gleichbehandlungsgesetzes
(AGG) Schadensersatzanspruch geltend
machen, erklärt Ver.di-Arbeitsrechtsex-
pertin Räder. Die Schwierigkeit bestehe
jedoch meist darin, eine Benachteili-
gung auch wirklich zu beweisen. „Daran
scheitern die Klagen nicht selten“, sagt
Johannes Schipp. dpa

WWWann Bewerber den Chefann Bewerber den Chef


anlügen dürfen – und sollten


Einige Fragen sind im Vorstellungsgespräch unzulässig


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