Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
Christoph Kapalschinski Hamburg

D


ie Kronleuchter in Ky-
lie Jenners neuem Zu-
hause waren noch in
Plastikfolie verpackt,
doch die Matratze war
schon da – im Postpaket. Der US-Rea-
lity-TV-Star verhalf dem Online-Mat-
ratzenversender Casper 2015 mit ei-
nem Instagram-Foto zum Durch-
bruch. Die Gründer um Philip Krim,
die ein Jahr zuvor ihre ersten Investo-
ren über die ungefragte Zustellung ei-
ner Matratze gefunden hatten, wur-
den Start-up-Stars. Die Bewertung
stieg in den folgenden Jahren über ei-
ne Milliarde Dollar.
Doch die Begeisterung ist vorüber.
„Für den Börsengang von Casper
muss man sich schämen“, befand
CNN über den IPO vom vorvergange-
nen Freitag. Denn der Unterneh-
menswert fällt in sich zusammen. Ak-
tuell liegt die Marktkapitalisierung
unter 430 Millionen Dollar.
Der Fall ist nur eines von vielen
Anzeichen dafür, dass die einstige
Euphorie um Marken-Start-ups ver-
flogen ist – auch in Deutschland. Das
betrifft nicht nur die Matratzenanbie-
ter, die sich unter Namen wie Emma,
Bett1 und Bodyguard im Versprechen
überbieten, billiger und besser zu
sein als die Matratzen-Discounter.
Start-ups, die selbst entwickelte Kon-
sumgüter verkaufen, können Investo-
ren immer seltener begeistern.
Für die Gründer wird es schwieri-
ger, ihr Unternehmen an einen stra-
tegischen Partner zu verkaufen –
denn die meisten Großkonzerne, die
als Aufkäufer infrage kommen, haben
sich inzwischen selbst digital ver-
stärkt. Und im Alleingang ist dauer-
haftes Wachstum oft kaum möglich –
siehe Casper.
In Europa liegen die Investitionen
in Start-ups aus dem Bereich Lebens-
mittel, Möbel und Kosmetik laut
„Deal room“ weit hinter etwa Busi-
ness-Software, Fintechs oder Mobili-
tät zurück. In den USA ist die Lage
ähnlich: Risikokapitalgeber haben
laut „Crunchbase“ von 2018 bis 2019
über 700 Millionen Dollar weniger in
Konsumelektronikgeräte gesteckt –
nur noch 1,7 Milliarden Dollar.
Das Problem in dem Bereich: Der
Aufbau der Marken ist zunächst teuer
wegen der hohen Marketingausgaben,
um ein Produkt erst einmal bekannt
zu machen. Die Investoren der ersten
Stunde sind also darauf angewiesen,
ihr Unternehmen für einen hohen
Preis weiterzuverkaufen. Dieser je-
doch lohnt sich nur für einen recht be-
grenzten Kreis an strategischen Käu-
fern. Infrage für eine echte internatio-
nale Skalierung kommen nur wenige
globale Konsumgüterriesen – und die
sind wählerisch. Zudem sind sie weni-
ger auf den Zukauf von Digital-Know-
how angewiesen als noch vor einigen
Jahren. Selbst der konservative Biele-
felder Lebensmittelriese Oetker hat in-
zwischen 100 Digital-Spezialisten in
Berlin eingestellt.

Lukrativer Exit wird immer
schwieriger
„Nach wie vor sind viele Start-ups in
dem Feld super spannend“, gibt der
Serieninvestor Frank Thelen zu be-
denken. Allerdings seien viele Grün-
dungen eben nicht erfolgreich – und
scheiterten an einem guten Exit.
Beispiele für Gründer, die hände-
ringend auf der Suche sind, gibt es
zuhauf. Das Münchener Start-up
Happybrush etwa hat seine elektri-
sche Zahnbürste in Drogeriemärkten
wie dm und Budni als Alternative zu
den beiden Marktführern Oral-B
(P&G) und Philips etabliert. Die Idee

ist, eine jüngere Zielgruppe von 18 bis
Ende 30 zu erreichen. „Wir haben ei-
ne junge Zielgruppe, die für den Han-
del relevant ist“, sagt Gründer Stefan
Walter.
In die Marke hat eine ganze Reihe
von Business Angels und Family Of-
fices investiert – darunter der Mit-
gründer der Tier-eRoller, Julian Bles-
sin, Dennis Schmoltzi von Emma
Matratzen und Carlo Kölzer, Vor-
standsmitglied der Deutschen Börse.
Rund zwei Millionen Euro kamen so
zusammen.
Doch trotz der Anfangserfolge wird
es offenbar schwierig, das Unterneh-
men gewinnbringend zu verkaufen
oder zumindest einen strategischen
Investor zu finden, der die Marke in-
ternational ausrollen könnte. Laut
„Lebensmittel Zeitung“ sind weder
Philips, Glaxo-Smithkline noch Colga-
te interessiert an dem Unternehmen
mit nur 15 Mitarbeitern.
Anscheinend ist die Technik nicht
innovativ genug: Zahlreiche Herstel-
ler in Fernost produzieren elektri-
sche Zahnbürsten, sodass auch die
Drogeriemarktketten ihre Eigenmar-
ken bestücken können. Zudem liegt
der Preis von Happybrush deutlich

unter demjenigen der Spitzenmodel-
le der Marktführer.
Happybrush könne durchaus aus
eigner Kraft weiter wachsen und
brauche nicht unbedingt einen Inves-
tor, sagt Walter. Die Marke sei stark:
Crowdfunding für eine Kinderzahn-
bürste machte die Marke zusätzlich
bekannt. Dazu kam ein Auftritt in der
Vox-Sendung „Höhle der Löwen“ –
eine Eintrittskarte in die umkämpf-
ten Regale des Handels und ein zu-
mindest temporärer Aufmerksam-
keits-Booster.
Das weiß auch Investor Thelen, ei-
ner der „Löwen“. Über die Sendung
ist er beispielsweise zum Gewürz-
Start-up Ankerkraut gekommen – für
ihn ein Feld, in dem ein dominanter
Spieler bislang allein die Marge set-
zen konnte. Attraktiv seien Newco-
mer für Konzerne dann, wenn sie es
schaffen, einen magischen Moment
zu erzeugen: „Das ist nicht so einfach
kopierbar“, sagt Thelen.
Einen solchen magischen Moment
hatte MyMuesli ganz ohne TV. Die
Müslimischer galten lange als Vorzei-
gegründung in der deutschen Le-
bensmittelbranche, weil ihre Idee
des persönlich konfigurierbaren

Müslis 2007 in der Frühzeit des On-
linehandels so ungewöhnlich war.
Doch bei der Expansion mit bis zu 50
eigenen Läden waren die Passauer zu
optimistisch. Folge der Ernüchte-
rung: Mitte 2019 lotete eine Invest-
mentbank Verkaufsaussichten aus –
laut „Lebensmittel Zeitung“ ohne
greifbares Ergebnis. Zwar sollen zwei
Finanzinvestoren interessiert gewe-
sen sein, doch kam es lediglich zum
Ausstieg eines der drei Gründer. An-
sonsten gebe es nichts Neues, teilte
das Unternehmen auf Anfrage mit.
Das heißt nicht, dass es keine Er-
folgsfälle gäbe, die auch heute noch
Gründer motivieren. Etwas zu feiern
hatten beispielsweise im Herbst 2019
die Chefs der Berliner Sportlernah-
rungsmarke Foodspring, Philipp
Schrempp und Tobias Schüle: Sie ar-
beiten seitdem unter dem Dach des
weltweiten Mars-Konzerns. Das ist
der Lohn dafür, dass sie viel richtig
gemacht haben: besonders bei der
stringenten Markenführung und dem
Gang vom eCommerce in den Ein-
zelhandel.
Vergangene Woche verkünde-
te außerdem der Dax-Konzern
Beiersdorf die Übernahme der

Start-ups


Junge Digital-Marke sucht


alten Konzern mit Geld


Viele Konsumgüter-Gründer finden keine Partner für das langfristige Wachstum.


Angebot
von MyMuesli: Der
anfängliche Hype
um die Marke ist
vorbei. Weiteres
Wachstum wird
nun mühselig.

dpa

Max Wittrock: Der
MyMuesli-Mitgründer
kündigte Ende 2019
seinen Abschied an.

Marko Priske/laif,

Unternehmen & Märkte
MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
20
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