Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1

Finanzaufsicht erfüllen müssen als ei-
ne Bank. „Viele britische Fintechs ha-
ben keine Banklizenz und werden
auch in Zukunft keine brauchen“,
sagt Tim Levene, der mit seinem Risi-
kokapitalfonds Augmentum Capital
in Monese investiert hat.
Allein die regulatorischen Anforde-
rungen zu erfüllen reicht aus Sicht
von Bankprofessor Moormann nicht
aus. „Die Flagge auf ein Land zu set-
zen und dort ein paar Tausend Kun-
den zu gewinnen mag gut für das Ego
der Fintech-Gründer sein, doch be-
triebswirtschaftlich ist das noch kein
Erfolg, man muss mit den Kunden
auch Geld verdienen.“ Hinzu komme:
„Die Mentalitätsunterschiede inner-
halb Europas werden dramatisch un-
terschätzt. Um in Frankreich erfolg-
reich zu sein, muss man die Kunden
ganz anders ansprechen als in
Deutschland, diese Individualisierun-
gen kosten viel Geld“, so Moormann.
„Nachhaltiger ist es aus meiner Sicht,
wenn man zuerst den Heimatmarkt
stärkt.“ So hat es die britische Star-
ling Bank gemacht. Sie wurde 2014
von der Bankerin Anne Boden ge-
gründet und hat seit Sommer 2016 ei-
ne Banklizenz in Großbritannien.
Noch ist sie ausschließlich in der Hei-
mat aktiv. Aktuell bewirbt sie sich um
eine Banklizenz in Irland. Wie das
Unternehmen dem Handelsblatt mit-
teilte, will es dort noch in diesem
Jahr das Geschäft aufnehmen und
plant, danach in die Niederlande,
Frankreich und Deutschland zu ge-
hen. Ursprünglich war der EU-Start
schon für das erste Quartal geplant,
doch die Pläne haben sich verzögert.
Die Bank hat gerade eine Finanzie-
rungsrunde über 78 Millionen Dollar
abgeschlossen. Das Geld soll für die
Expansion verwendet werden.


Kein Weg an der EU vorbei


Die Tandem Bank hat eine britische
Banklizenz, seit sie 2018 die Harrods
Bank übernommen hat. Im Mai 2018
hatte die Firma der britischen Fi-
nanzaufsicht gemeldet, dass sie die
Absicht hat, in Deutschland aktiv zu
werden. Deshalb taucht sie im Unter-
nehmensregister der Bafin auf. Noch
ist hierzulande jedoch kein Engage-
ment zu erkennen. Auf Anfrage des
Handelsblatts gab das Unternehmen
keine Auskunft. „Eine solche Anzeige
bedeutet nicht, dass man auch tätig
werden muss, gut möglich, dass sich
die Ziele der Unternehmen zwischen-
zeitlich geändert haben“, sagt Anwalt
Müller. Nach Ansicht von Torsten
Lund, Partner bei der Unterneh-
mensberatung Berg Lund & Compa-
ny, führt für die Briten aber kein Weg
an der EU vorbei. „Zur Erreichung ih-
rer ambitionierten Wachstumsziele
werden die britischen Challenger-
Banken im EU-Raum angreifen müs-
sen“, sagt er. Monzo, mit 3,9 Millio-
nen Kunden einer der Marktführer in
Großbritannien, hat sich hingegen
zuerst für die Expansion in die USA
entschieden. „Das kann aus briti-
scher Sicht eine gute Idee sein, weil
die Kulturen ähnlich sind und das
Angebot aus Kundensicht kaum ange-
passt werden muss“, sagt Moor-
mann. Wie N26, das seit Juli 2019 in
den USA aktiv ist, ist auch Monzo
dort nicht gleich mit einer eigenen
Banklizenz gestartet, sondern koope-
riert mit einer Partnerbank, der Sut-
ton Bank im US-Bundesstaat Ohio.
„Solche Kooperationen bieten sich
an, wenn man den Aufwand scheut,
der einmalig und laufend mit einer
Lizenz verbunden ist, und den Markt
erst einmal beschnuppern möchte“,
sagt Anwalt Müller. Auch für britische
Institute, die in Europa aktiv werden
wollen, könnte das eine Lösung sein.


Wirecard-Sonderprüfung

Investoren erwarten klares Ergebnis


Wirecard hat starke Zahlen
vorgelegt und will weiter
schnell wachsen. Dabei muss
der Konzern die Großinves -
toren bei der Stange halten.

F. Holtermann, A. Rezmer,
C. Schnell Frankfurt, München

M

arkus Braun gab sich wie
üblich kämpferisch: „Unse-
re strukturellen Wachs-
tumstreiber offenbaren ein erhebli-
ches Potenzial“, erklärte der Vor-
standschef zur Vorstellung der vor-
läufigen Bilanzzahlen 2019 am Frei-
tag. Und tatsächlich: Der Zahlungs-
dienstleister ist deutlich gewachsen
und erfüllt damit die Erwartungen.
Der Vorsteuergewinn (Ebitda) lag mit
785 Millionen Euro 40 Prozent über
dem des Vorjahres. Der Umsatz
wuchs um 38 Prozent auf 2,8 Milliar-
den Euro. Und für 2020 peilt der
Konzern weiterhin einen Gewinn von
bis zu 1,12 Milliarden Euro an.
Die Berichte der Zeitung „Financial
Times“ (FT) zu dubiosen Buchungen
und verdächtigen Kundenlisten, der
böse Verdacht der Bilanzfälschung
und die Zahlungsabwicklung für
halbseidene Partner: all das hat das
Geschäft nicht nachhaltig belastet. Im
Gegenteil: Wirecard ist trotz des mas-
siven Vertrauensverlusts am Markt
auf Wachstumskurs. Zweimal hatte
der Vorstand 2019 die Gewinnprog-
nose angehoben. Von einem „beein-
druckend starken Jahresende“ spre-
chen die Analysten der Baaderbank.
Doch trotz der guten Zahlen steht
Wirecard vor entscheidenden Wo-
chen. „Die Märkte schauen aktuell
bei der Bewertung der Aktie vorran-
gig auf die KPMG-Prüfung“, erklärt
Marius Fuhrberg, Analyst bei War-
burg Research. Die Bilanzsonderprü-
fung hatte der Konzern im Oktober
angesetzt, um die Vorwürfe zu ent-
kräften. „Vor dem Hintergrund der
derzeitigen Situation erscheint die
Veröffentlichung ihres Ergebnisses
der wichtigste Fixpunkt zu sein,
wichtiger als die jetzt veröffentlichten
vorläufigen Zahlen“, so Fuhrberg.
Während viele Kleinanleger fast reli-
giös an Wirecards Erfolg glauben, bli-
cken große Investoren deutlich nüch-
terner auf den Konzern.

Szenario 1: Die Entlastung
Der Deutschlandchef eines großen
US-Instituts, das im Kundenauftrag in
Wirecard investiert, sagt: „Ich sehe
derzeit keinen Grund, mit Wirecard
keine Geschäfte zu machen.“ Aber:
„Wir legen Wert auf eine saubere Due
Diligence“, also auf eine genaue Prü-
fung möglicher Geschäftspartner.
„Unsere Erwartung ist, dass Wirecard
einen unabhängigen, sauberen und
klaren Audit vorlegt und diesen auch
veröffentlicht“, so seine Mahnung.
Was passiert, wenn KPMG nur klei-
nere Probleme findet? „Wenn KPMG
Wirecard entlastet, ist ein Short
Squeeze denkbar“, erklärt Fuhrberg.
Die Aktie würde aufgrund der Er-
leichterung steigen. Die Shortseller,
die auf einen Kursverfall gesetzt ha-
ben, müssten Aktien nachkaufen, um
ihre Verluste zu begrenzen, und die
dadurch erhöhte Nachfrage würde so
den Kurs noch weiter antreiben.
Auf dieses Szenario scheinen viele
Investoren zu setzen. Am Dienstag
meldete Blackrock, man halte nun
Anteile über 5,53 Prozent. Davor hat-

ten Société Générale, Bank of Ameri-
ca, Morgan Stanley und Goldman
Sachs ihre Stimmrechte teils deutlich
aufgestockt, vor allem über Derivate.
Gehandelt wird im Kundenauftrag.
Entlastet KPMG Wirecard, ist offen,
wie der Streit mit der „FT“ weiter-
geht. Wirecard verdächtigt „FT“-Jour-
nalisten, mit Shortsellern gemeinsame
Sache zu machen. Den Prozesstermin
zur angestrengten Zivilklage gegen die
„FT“ am 27. Januar hat der Konzern
aber abgesagt, wie die Zeitung „Welt
am Sonntag“ berichtete. Laut Insidern
will man zunächst den KPMG-Audit
abwarten, da man sich dann größere
Chancen vor Gericht ausrechnet.
Der Topmanager eines der größten
deutschen Vermögensverwalter kann
sich im Fall einer Entlastung durch
KPMG sogar eine Verdopplung des
Aktienkurses vorstellen. „Zu erwar-
ten ist ein binäres Ergebnis“, sagt er.
„Entweder KPMG entlastet Wirecard
vollumfänglich. Oder wir stehen vor
einem riesigen Betrugsfall.“

Szenario 2: Der Absturz
Ausgeschlossen ist der Worst Case
nicht: „Wenn KPMG doch etwas fin-
det, dann stellt sich die Frage, wie
groß die Probleme sind“, kommen-
tiert Fuhrberg. Sind sie gravierend,
ist ein Kursabsturz wahrscheinlich.
Nahrung erhielten kritische Stim-
men von einem Bericht der „Wirt-
schaftswoche“ am Donnerstag. Das
Magazin zitierte aus einer internen
Kundenliste mit 100 000 Einträgen
von 2017. Demnach kamen gut 40
der nach Umsatz 100 größten Digital-
kunden aus der Porno- und Glücks-
spielbranche. Zum Teil soll Wirecard
trotz betrügerischer Transaktionen
die Geschäfte nicht gestoppt haben.
Wirecard erklärt hierzu: „Wir be-
zweifeln die Authentizität der angeb-
lichen Kundenliste.“ Derzeit stamme
„ein einstelliger Prozentbereich [der]
Kunden aus den Bereichen Erwach-
senenunterhaltung und Glücksspiel“.
Jeder Händler durchlaufe eine Über-
prüfung der Gesellschafterstrukturen
und Finanzverhältnisse. Auch Ver-
braucherbeschwerden flössen ein.

„Des Weiteren prüft Wirecard bereits
angeschlossene Händler kontinuier-
lich auf Inaktivität, Insolvenz oder
Aufgabe der Geschäftstätigkeit.“ Nöti-
ge Lizenzen würden ständig auf Ak-
tualität und Gültigkeit überwacht.
Über ein harsches Urteil von KPMG
würden sich vor allem die Shortseller
freuen, die schon seit Längerem auf
fallende Kurse spekulieren. Laut der
Analysefirma S3 waren im Januar
rund 20 Prozent der Aktien leerver-
kauft. Doch auch wenn der große Ab-
sturz nicht ausgeschlossen ist, ist er
eher unwahrscheinlich: Zuletzt hatte
der neue Aufsichtsratschef Thomas
Eichelmann angedeutet, die Prüfer
hätten bislang keine ad-hoc-pflichti-
gen Probleme gefunden.

Szenario 3: Fragen bleiben
Also alles im Lot in Aschheim? Beob-
achter sind skeptisch. „Am wahr-
scheinlichsten ist Stand jetzt, dass die
Bilanzsonderprüfung ohne einen
großen Knall endet, aber viele Fra-
gen offen bleiben“, sagt Volker Brühl,
Ex-Investmentbanker und Geschäfts-
führer des Frankfurter Center for Fi-
nancial Studies. Für Langfristinvesto-
ren bedeutete das neue Unsicherheit.
Vorstandschef Braun verspricht
seit Langem mehr Transparenz. Doch
bis heute fehlt der neue Kommunika-
tionschef. Immerhin hat der Konzern
am Freitag auf der Homepage einen
neuen Button „Transparenz“ einge-
fügt, unter dem Informationen zum
Geschäft versammelt werden. Ziel-
gruppe sind Kleinanleger, Politiker
und die interessierte Öffentlichkeit.
Wie skeptisch manche Großinves-
toren das Management sehen, zeigen
neue Angaben zu Abstimmungen auf
der Hauptversammlung. Allianz Glo-
bal Investors (Allianz GI) enthielt sich
bei der Entlastung des Vorstands auf-
grund von „Bedenken hinsichtlich
Mängeln in der Unternehmensfüh-
rung und den internen Kontrollen“.
Auch bei der Aufsichtsratsentlastung
gab es eine Enthaltung.
Darüber hinaus votierte man gegen
den Vorschlag, den langjährigen Kon-
zernprüfer EY erneut zu verpflich-
ten: „Angesichts der Vorwürfe (...) er-
wartete Allianz GI einen Wechsel des
Abschlussprüfers.“ Antje Stobbe,
Analystin für gute Unternehmensfüh-
rung bei Allianz GI, erklärt: „Funktio-
nierende Kontrollsysteme und die
Unabhängigkeit von Mitgliedern im
Aufsichtsrat und seiner Ausschüsse
sind entscheidend für unser Vertrau-
en in Unternehmen.“ Dieses bringe
man mit dem Abstimmungsverhalten
zum Ausdruck. „Im Zweifel investie-
ren wir Anlegergelder aber in die Un-
ternehmen, die unsere Auffassungen
teilen und aktiv weiterverfolgen.“
Sollten 2020 neue Vorwürfe auftau-
chen oder sollte die KPMG-Prüfung in
die Kritik geraten, dürfte Wirecard
anfällig bleiben für Rückschläge am
Aktienmarkt. „Beim Thema Gover-
nance sind bei mir immer noch alle
Warnlampen an“, sagt der Topmana-
ger eines großen Vermögensverwal-
ters. „Ich glaube, dass den Konzern
frühere Geschäftspraktiken noch ein-
mal einholen.“ In diesem Fall würde
der Befreiungsschlag ausbleiben.
„Sollte der Kurs nicht deutlich an-
steigen und Wirecard damit zu teuer
werden, könnte der Konzern mittel-
fristig zum Übernahmeziel werden.
Damit wäre vermutlich auch ein Ma-
nagementwechsel verbunden“,
glaubt Finanzprofessor Brühl.

Wirecard-Logo:
Der Zahlungsdienst-
leister will 2020 einen
Milliardengewinn
erwirtschaften.

dpa

Die Märkte


schauen


aktuell bei der


Bewertung der


Aktie


vorrangig auf


die KPMG-


Prüfung.


Marius Fuhrberg
Warburg Research

Finanzen & Börsen
MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
33

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