Wenn es an denFinanzmärkten turbulent
wird,ist Erfahrunggefragt.Felix Zulauf hat
in seinerKarriereschon vieleBoom- und
Crash-Phasen erlebt. Im Gespräch erläutert
derInvestor,wie derAbschwungder ver-
gangenenWochen zu deuten ist, wann und
wo sich Kaufgelegenheitenbietenund wes-
halb er hofft, dass dieCoronakrisezueinem
Umdenken in derFinanzweltführenwird.
Herr Zulauf,die Börsenhaben einen
scharfen Einbrucherlitten.Haben Sieje-
mals einenCrashdieserArt erlebt?
DieHeftigkeithatÄhnlichkeitenmit 1987,
aber dasTempo isteinzigartig. Es istein-
malig, dass dieBörseninnerhalb vonzwei
Wochen umüber 30%einbrechen, unddas
direktvom historischen Höchststand. Doch
diefundamentaleSituation istaucheinma-
lig. Ichbin seitbaldfünfzigJahrenimGe-
schäft ,aber ichhabenochnie erlebt, dass die
Weltwirtschaftsoschnell heruntergefahren
wird.VieleLeuterealisierennicht,wasfür
eingewaltigerSchaden durchdie Massnah-
menzur Eindämmung derPandemieinder
Wirtschaftentsteht. DieWeltwirddanach
nichtmehrdie gleichesein.
Istder Schadengrösserals in derFinanz-
krisevon 2008?
Ja.2008/09 wareineImmobilien- undBan-
kenkrise,die über Ansteckungseffektedie
Industrieerfasste. DiesesMalsindalleSek-
torenbetroffen, besonders auch Dienstleis-
tungen. Tourismus, Restaurants, Friseure,
unzählige Kleinstbetriebe; wenn diezwei
Monateschliessenmüssen, trocknet ihr
Cashflowaus,und siekönnennicht überle-
ben.Dasist wohl einmalig in derGeschichte.
Gemäss Schätzungendes Ifo-Instituts führt
eine solche Schliessung nach zwei Monaten
zu einemVerlust derWirtschaftsleistung
von7bis 11%und nach drei Monaten vonbis
zu 20%. DerRückgangwirdvon derDauer
derRestriktionenbestimmtwerden. Alles
in allemwirddie Konjunktureinen brutalen
AbsturzimerstenHalbjahrerleben.Wenn
dieBehördenrundumdie Welt richtigagie-
ren, ergibt sich fürdas zweite Halbjahr eine
Stabilisierung.
Sierechnen nichtmit einerV-förmi-
genErholungderWirtschaft, wenn der
schlimmsteTeilder Pandemievorbeiist?
Nein,dennmit derRezession wird einDo-
minoprozessin Gang gesetzt. Alle Exzesse
ausder Expansionder letztenzehnJahre
kommenauf denTisch.BedenkenSie:Auf
derWeltlastenheute im Vergleichzur Wirt-
schaftsleistung mehr alsdoppelt so hohe
Schuldenwie 2007.Wir habendiegrössten
ExzesseinGenerationengeschaffen.Die
Schuldenverstärkenjetzt denAbwärts-
druck. Zudem stecktedie Weltwirtschaftbe-
reitsvor dem«Covid-19-Shutdown» in einer
Verlangsamung. Mankonntesehen, dass
2020 eine schwächere Konjunkturdroht,
weshalbesrichtig war, miteinem Unterge-
wichtinAktien undeinem Übergewichtin
Obliga tionenins Jahr zu starten. Dann kam
derCovid-19-Schock, undseitAnfangMärz
auch noch einPreiskriegamÖlmarkt.
Istein tiefererÖlpreisnicht gutfür die
Weltwirtscha ft?
Nein,indiesemFallnicht.Die Schieferölin-
dustrieinden USAistauf einenSchlagprak-
tischbankrott.Diese Fördererhabenmehr
als900 Mrd. $Schulden. AmBondmarkt,
wo dieInvestorenwährend Jahren nichtauf
dieBilanzqualitätder Schuldnergeachtet
haben,schiessen jetztdie Risikoprämienin
dieHöhe. Dasfrisstsichdurch dasFinanz-
system,gefährdetdie Refinanzierungvieler
Unternehmenund schlägtdamit auch auf
dieRealwirtschaft durch. Einmal mehr zeigt
sich,wie gefährlich einübermässiger Auf-
bauder Verschuldung derUnternehmen ist.
DieZentral banken pumpen Liquidität ins
System,Regierungen besc hliessen Stüt-
zungsprogramme.Nützt das etwas?
Die fiskalpolitischen Massnahmen können
erst wirken, wenn dieRestriktionenauf-
gehoben werden undsichdie Menschen
wieder bewegendürfen. Danach wirken sie
stützend undspäterstimulierend. Diegi-
gantischen Beträge, diedie Notenbankenins
System pumpen,mussmansichsovorstel-
len: Siestopfen dasriesige deflationäreLoch,
dasdie Coronakriseaufgerissen hat, undsie
verhindern dieKernschmelzeunseres Sys-
tems.IndiesemSinneist dasrichtig.Wenn
sich dann dieKonjunkturnormalisier t, kön-
nendiese Gelderinflationärwirken, doch
dasist einThemafür später.
Halten Siedenndie Stützungsprogramme
grundsätzlichfür notwendig?
Ja,inder Kriseschon.ImGrundsatz soll die
FiskalpolitiküberdenZyklusjedochaus-
geglichensein; also Schulden machen in
derKrise undsie dann abbaueninder Ex-
pansion. Aber ausser derSchweiz hält sich
ja niemanddaran.Frankreichetwahat seit
bald vierzigJahrenkeinenausgeglichenen
Haushalt.Ebenso in derGeldpolitik:Esist
eine Katastrophe,dassunsereZentralban-
kenwährend derExpansion eine viel zu
lockereGeldpolitik geführtund damitdie
Exzesseinder Verschuldung genährthaben.
DasProblem beginntschon damit, dass ein
paar Personenglauben, siekönnten dieKon-
junktursteuern.Das istvermessen.Esist
diese Haltung, dieunser marktwirtschaft-
liches System schwächt.Rezessionengehö-
renzum Konjunkturzyklus. Werfahrlässige
Fehler macht, wird bestraftund scheidetaus.
«Rezessionengehören
nuneinmalzum
Konjunkturzyklus»
Welche Note gebenSie denZentral banken
in ihrerbisherigenLeistung?
Fürdie Zeit vorder Krisegebeich praktisch
allenNotenbanken eine miserable Note.
Aber in derKrise machen siedas Richtige.
Wichtigist,dassdie Zentralbankenfür das
ganzeFinanzsystem Kreditlini enbereit-
stellenund Liquidität einschiessen.Extrem
wichtigwar,dassdas FedDollar-Swaplinien
zu ausländischenZentralbanken eröffnet
hat. Wahrscheinlich sind dieseSwaplinien
sogarnochzuklein.Besonders Chinaund
andere Schwellenländermüsstendiesen
Rettungsanker erhalten. Vermutlich muss
derIWFeinspringen, denn dieDimension
derbenötigtenBeträgeist monumental.
Wieso?
Im Lauf derletzten zehn Jahrewurde aus-
serhalb derUSA einriesiger, in Dollar de-
nominierterSchuldenbergaufgebaut,be-
sonders in Schwellenländernund ganz
besonders in China. Gemäss derBIZ stiegen
dieseKredite zwischen 2009 und2019von
5,8auf mehr als12Bio.$.Inder Krisewer-
dennun kurzfristige Krediteoftnicht ver-
längert, weil Kreditgeber vorsichtig werden.
Dann müssen SchuldnerDollaramMarkt
kaufen.Wennder Dollar steigt,dannwerden
dieVerbindlichkeit en in derHeimwährung
desSchuldnersgrösser,was dendeflationä-
renDruck erhöht undmanchen Schuldnern
dieLuft raubt. Schwache Volkswirtschaften
wiedie Türkei, Brasilien undSüdafri ka gera-
tendannineinen Teufelskreis.Daher warne
ichseitgeraumerZeitvor Investitionenin
Schwellenländern,inklusive Chinas.
Erwarten SieindieserKrise noch einen
«LehmanMoment»,den Zusammenbruch
einesgrossen Marktteilnehmers?
Es gibt in jederKrise Unternehmen, dieun-
tergehen.DaswirddiesesMal nichtanders
sein.Angesichts derexzessivenVerschul-
dung im Unternehmenssektor müsste man
noch einige spektakuläre Pleitenerwarten.
Aber so,wie dieNotenbankenhandeln –viel
schnellerals 2008 –, wird dasfür dasSystem
nichtmehrexistenzbedrohendsein.
Bestehtdie Gefahr einerBankenkrise?
BeisovielStressimFinanzsystem besteht
dieseGefahrimmer.Die grössten Sorgen
macheich mirumEuropa, denn es hatdie
strukturellschwächsteWirtschaft und
dasschwächsteBankensystem.Wenn sich
Volkswirtschaften abschwächen, dann ist
eine eigene Währungwichtig undkannals
Knautschzone fürdie Wirtschaftdienen. Mit
demstarr en RegimederEinheitswährung
fehltfür dieschwächeren Euromitglieder
dieseKnautschzone.Die Verschuldung der
UnternehmeninProzent desBIP istmomen-
taneineentscheidende Grösse.Die USAsind
bei75%, Deutschlandbei 95%,Italienbei
100%,die Schweiz bei120%und Frankreich
bei 200%.Ich machemir Sorgen umItalien
undSpanien, aber noch mehr um Frankreich
undseine Banken.Die Franzosenhabenim
letztenZyklusinder Kreditvergabeüber-
trieben.DassdieeuropäischenBankenge-
nügend Kapitalhaben, um dieKreditausfälle
wegzustecken, bezweifle ich. Vermutlich
wird dieEurozonenichtumeineVerstaat-
lichungder Banken herumkommen.
Istdamit derEuroabermalsgefährdet?
DerEurozoneunddem FehlkonstruktEuro
stehtein wichtigerTestbevor.Die Nord-
gruppe sperrtesichbis anhinverständli-
cherweisegegen dieVergemeinschaftung
vonSchulden. Wenn siediesinder aktuellen
Krisetut,dannwerdendie schwachenStaa-
tennicht umhinkommen, Kapitalkontrollen
einzuführen. Sonstflüchtet dasGeldvon
dortindie Nordländer,und ihre Banken bre-
chen ein. Vergemeinschaften siehingegen,
dann werden diebisherstarken Länderwie
Deutschlandoderdie Niederlandevon den
Schwachennachunten gezogen. DerGang
in zentralistischeStaatswirtschaft wiein
Frankreich wäre dann vorgezeichnet, und
derWohlstand würdeinganzEuropaab-
nehmen.Die kommendenMonatewerden
fürdie Zukunft Europasentscheidend sein.
Wiegehtesj etzt an denBörsenweiter?
DieAktienmärktestehenamAnfangeiner
Bodenbildung. DieMassnahmenpaketeder
Behördenstützen dasVertrauen derMarkt-
teilnehmer.Die Bodenbildungist einPro-
zessvonmehrere nWochen, Rückschlägezu
denTiefstpunkten oder sogarleichtdarun-
terkannman nichtausschliessen.
Waswirddie Rückschläge auslösen?
Im Aprilwerdendie Unternehmenüber
ihrenGeschäftsgangimerstenQuartal rap-
portieren. Dann wird mandie erstenwirt-
schaftlichenSchäden in konkretenZahlen
sehen.Der Ausblick derUnternehmen wird
düster sein,weil siekeine Visibilitätüber
denGeschäftsverlauf haben.Auchist un-
klar ,wanndie ProblemeChinasund anderer
Schwellenländer an dieOberflächekom-
men. BeideskönntenochmalsRückschläge
an denBörsenprovozieren.Undsollten sich
diePandemiekurvennicht so schnellver-
flachen, wiewir dasheute annehmen, son-
dern erst ab MaioderJuni, dann tauchendie
Märkte nochmals.Dannsollten wirallmäh-
lich klarer sehen, unddanachkanneinean-
haltende Erholung beginnen.
«Wir werden
eine inflationäre
Wirtschaftspolitik
erhalten»
Wielange wird dies eErholung andauern?
Daswirdvon denEntwicklungenin der
Realwirtschaftund demVerhalten derBe-
hördenabhängen. Es istfraglich, ob dasVer-
trauen unddas übermütige Verhaltender
Anlegersoschnell zurückkommenwerden.
Auch wissen wirnicht,was im nächsten
Winter mitder Pandemiepassier t. Aktuell
gehe ichdavon aus, dass dergrösste Scha-
denanden Märktenfür denMomenthinter
unsliegt, dass wirnocheinigeZeitgrosse
Schwankungen sehenwerden unddanach
wieder steigende Kurse bisgegen Ende Jahr.
MeineErwartungenfürdanachhängenvon
neuenInformation ab.
Wann würden SiewiederAktienkaufen?
Wermit Schwankungenleben kann,kann
bei Rückschlägen in dennächstenWochen
kaufen.VielNegatives isteingepreist,und
dieNotenbanken stützendas System.Aber
bedenken Sie: Wenn Sieden Stoxx600 an-
schauen, denIndexmit den600 grössten
europäischenUnternehmen,sozeigt er für
dieletzten zwanzigJahre eine Seitwärts-
bewegung untergrossen Schwankungen.
Dasist einanspruchsvollesUmfeld,dassich
fortsetzen dürfte.
Wie gehtman damitals Anlegerum?
Wererfolgreich versucht hat, gute Aktien
zu identifizieren, hattrotz grosserSchwan-
kungengutesGeldverdient. Undwem es
gelungenist, denZykluszutimen –was in
derVermögensverwaltungsbrancheverpönt
ist–,der hatauchGeldverdient. Weralso
genaudas gemachthat,was dieBranche er-
wiesenermassennicht kann undwovonsie
deshalbsagt, dassei einfalscherAnsatz,der
hatErfolggehabt.Aberalle,die in Europa
«Kaufenund Halten»als Strategieverfolgt
haben,wieesvon denmeisten Vermögens-
verwaltern undgrossen Banken gepredigt
wird,sitzt mitmageren Ergebnissen da.Nur
in denUSA konnteder Marktdeutlichneue
Höchst erklimmen–aber dasnur dank den
fragwürdigen, aufKreditfinanzierten Akti-
enrückkäufen derUnternehmen.Dassdas in
Zukunft so weitergehenwird, bezweifle ich.
Sind Siedenngrundsätzlich negativein-
gestellt fürAktien?
Nein,auf keinen Fall.AktiensindWert-
papierevon Unternehmen, also produktives
Kapital. GuteUnternehmen könnensichdem
Umfeld anpassen undüber dieZeitmehrEr-
trag generierenalseinenormale festverzins-
licheAnlage. Es gibt an denBörsenimmer
wieder Schübevon einbis zwei Jahrzehnten,
wo Aktien dank einertiefenBewertung und
einerwohlgesinnten Konstellation kräftig
zulegenkönnen. Da muss mandabei sein.
Aber es gibt auch Perioden,indenen das
nichtder Fall ist. Unsereordnungspolitische
Marschrichtung geht in Richtung immer
mehr staatl icherEingriffeund immerweni-
INTERVIEW
«Die grössten ExzesseinGenerationen»
Der InvestorFelix Zulauf kritisiert, dass die Zentralbanken in der Expansion eine vielzulockere
Geldpolitik verfolgt und damiteine übermässige Verschuldung begünstigt haben. Von MarkDittli
8 themarket.ch Freitag, 3. April 2020
Quelle: themarket.ch
–12,93% ViertheftigsterKurseinbruchinder Geschichtedes DowJones Industrial, verzeichnetam16. März 2020.