Die Euro-Frage
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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Partner. Diese Krise sei „in der modernen Ge-
schichte beispiellos“, sagte er im Gespräch mit
dem Handelsblatt. „Deshalb ist eine ehrgeizige und
koordinierte Antwort auf europäischer Ebene er-
forderlich.“ Die Ausgabe von Euro-Bonds sei „eine
Möglichkeit, diese europäische Antwort zu geben.
„Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragt der Noten-
banker.
Solche Pläne stoßen in Berlin auf wenig Ge -
genliebe. Aber dass es ein starkes Signal von-
seiten der Euro-Partner an die Finanzmärkte geben
muss, davon ist auch die Bundesregierung über-
zeugt. So geht es derzeit vor allem um die Frage,
wie und in welcher Form der europäische Ret-
tungsschirm ESM im Kampf gegen die Krise einge-
setzt wird.
Doch auch hier sind die Fronten zunehmend
verhärtet. Frankreich, Italien und Spanien und
sechs weitere Länder dringen auf europäische „Co-
ronabonds“, um damit ein großes EU-Hilfspro-
gramm gegen die Krise zu finanzieren. Die EU müs-
se an einem „gemeinsamen Schuldeninstrument
arbeiten, heißt es in einem Brief, die die Regie-
rungschefs der neun Länder am Mittwoch an EU-
Ratspräsident Charles Michel schickten. Nur so las-
se sich eine langfristig stabile Finanzierung der Po-
litik gegen die Pandemie und ihre Folgen
sicherstellen.
Das Schreiben ist eine Kampfansage an die soge-
nannte Hanse-Gruppe in der EU. Angeführt wird
sie von den Niederlanden. Der Gruppe gehören die
skandinavischen und die baltischen Länder an. Sie
lehnen europäische Corona-Anleihen strikt ab, weil
sie darin einen Einstieg in die gemeinschaftliche
Haftung für Staatsschulden in Europa sehen. Auch
Deutschland will von Corona-Anleihen momentan
nichts wissen, schließt sie aber für die Zukunft
nicht komplett aus. Es sei verfrüht für solche völlig
neuen Programme, heißt es in Berlin. Zum jetzigen
Zeitpunkt würden die vorhandenen Instrumente
des Euro-Rettungsfonds völlig ausreichen, um die
Krise zu bewältigen.
Deutschland als Vermittler
Die Bundesregierung sieht sich in einer Mittler-
rolle zwischen der Hansa-Gruppe und den Süd-
staaten. So war es bereits am Dienstag in der Te-
lefonschalte. Trotz intensiver Diskussionen konn-
ten sich die Euro-Staaten nicht auf einen Einsatz
des Euro-Rettungsfonds ESM einigen. Centeno er-
klärte zwar anschließend, dass er „breite Zustim-
mung“ für einen möglichen ESM-Einsatz sehe.
Weniger diplomatisch verklausuliert bedeutet das
aber: Wirklich einig ist man sich nicht.
Vor allem der niederländische Finanzminister
Wopke Hoekstra warnte am Dienstag wiederholt,
den ESM jetzt schon zu nutzen. Er wolle ihn in
der Reserve haben, sollte es ganz schlimm kom-
men. Unterstützt wird er von Österreich.
Deutschland zeigt sich hingegen durchaus willig.
Das Problem ist nur: Der Rettungsfonds wurde
während der Euro-Krise eigentlich für andere Fäl-
le konstruiert. So schreibt der ESM-Vertrag vor,
dass Hilfen mit Reformauflagen verknüpft werden
müssen.
Marc-Steffen Unger
Lassen Sie
uns
gemeinsam
das Richtige
tun – mit
einem großen
Herzen, nicht
mit 27 kleinen.
Ursula von der Leyen
EU-Kommissionschefin
Die Bundes -
regierung tut
alles, was sie
kann, um
die wirtschaft -
lichen
Auswirkungen
abzufedern.
Angela Merkel
Bundeskanzlerin
Guntram Wolff
„Italien kann noch Schwierigkeiten
bekommen“
Herr Wolff, die Wirtschaft ist in fast
allen EU-Staaten nahezu zum Still-
stand gekommen. Ist die schwerste
Krise nach dem Zweiten Weltkrieg
noch abzuwenden?
Eine schwere Rezession ist unver-
meidlich. Wie schnell sie überwun-
den werden kann, hängt von der
Dauer der Coronakrise ab. Wenn
der Lockdown nicht länger als drei
Monate dauert, dann wird sich die
europäische Wirtschaft danach rela-
tiv schnell wieder erholen können.
Wenn der Stillstand ein halbes Jahr
oder noch länger anhält, dann wer-
den wir eine massive Welle von Un-
ternehmensinsolvenzen erleben. Al-
les hängt davon ab, ob wir die ver-
hindern können.
Reicht das Hilfspaket der Bundes-
regierung aus, um die deutsche
Wirtschaft vor dem Schlimmsten
zu bewahren?
Ich bin zufrieden mit den bisherigen
Beschlüssen in Berlin. Wenn die Kri-
se länger als drei Monate dauert,
wird die Bundesregierung aber
noch etwas drauflegen und die
staatlichen Transfers für Unterneh-
men noch einmal massiv aufstocken
müssen. Sonst wäre der massenhaf-
te Zusammenbruch von Firmen
nicht mehr zu verhindern.
Wie werden hochverschuldete Län-
der wie Italien und Spanien die Co-
ronakrise verkraften?
Italien kann noch Schwierigkeiten
an den Anleihemärkten bekommen.
Die Euro-Zone muss gegensteuern,
um spekulative Angriffe gegen süd-
europäische Staaten zu vermeiden.
Was soll die Euro-Zone denn tun?
Die EZB hat das sogenannte „Quan-
titative Easing“-Programm, also den
Ankauf von Staatsanleihen, bereits
massiv ausgeweitet und die Anleihe-
märkte damit erst einmal beruhigt.
Parallel dazu könnte der Euro-Ret-
tungsfonds ESM eine vorsorgliche
Kreditlinie für hochverschuldete
Euro-Staaten bereitstellen. Länder
wie Italien müssten dann beim ESM
ein Darlehen beantragen.
Die Regierung in Rom verlangt aber
mehr: Der ESM soll ein großes Co-
rona-Kreditprogramm für alle
Euro-Staaten starten. Eine berech-
tigte Forderung?
Optimal wäre es, wenn der ESM die
gesamte Corona-bedingte Verschul-
dung aller 19 Euro-Staaten überneh-
men würde. Das wäre eine konse-
quent europäische Lösung für ein
Problem, das uns alle betrifft. Es
würde auf den Finanzmärkten gro-
ßen Eindruck machen.
Die Feuerkraft des ESM – derzeit
stehen dort maximal 410 Milliar-
den Euro für Kredite bereit – reicht
dafür nicht aus.
Nein. Dafür müssten die Euro-Staa-
ten das Stammkapital des ESM von
derzeit 705 Milliarden Euro mindes-
tens verdoppeln und das eingezahl-
te Kapital, derzeit rund 80 Milliar-
den Euro, entsprechend erhöhen.
Wäre so ein Corona-Stützungspro-
gramm nicht gleichbedeutend mit
der Einführung von Euro-Bonds?
Man müsste dann wohl von Euro-
Bonds sprechen, denn die Euro-
Staaten würden das Zinsrisiko der
Anleihen vergemeinschaften. Aller-
dings ist es keine volle Vergemein-
schaftung, da es beim ESM Grenzen
gibt. Bei der EZB geschieht dies jetzt
allerdings auch schon – nur ohne
politische Beschlüsse.
Wieso?
Die Anleihen der EZB könnten dau-
erhaft in der Bilanz der Notenbank
stehen und wären somit „europäi-
siert“. Dies ist kein Problem – falls
der inflationäre Druck steigt, müsste
die EZB mit Zinsentscheidungen ge-
gensteuern. Insgesamt halte ich es
für unproblematisch, dass die EZB
eine größere Bilanz hat.
Deutschland lehnt Euro-Bonds
nach wie vor strikt ab und will des-
halb auch kein allgemeines Corona-
Kreditprogramm für alle Euro-Staa-
ten beim ESM zulassen. Ist diese
Linie auf Dauer durchzuhalten?
Deutschland, die Niederlande und
andere nordeuropäische Euro-Staa-
ten werden an dieser Linie sicher so-
lange wie möglich festhalten, da
Euro-Bonds politisch hochsensibel
sind in diesen Ländern. Doch wenn
der Euro an den Finanzmärkten
ernsthaft unter Druck geraten sollte,
dann wird Deutschland seine Hal-
tung überdenken – zumal „Corona-
Bonds“ schließlich auch für Deutsch-
land nicht nur Haftungsrisiken, son-
dern auch Vorteile brächten.
Welche?
Die Vergemeinschaftung neuer eu-
ropäischer Schulden aufgrund des
Virus würde offen und demokra-
tisch legitimiert beim ESM stattfin-
den. Der Euro-Rettungsfonds wür-
de zu einem europäischen Schatz-
amt aufgewertet. Vom ESM begebe-
ne Staatsanleihen könnten Kapital
im großen Stil nach Europa locken.
So könnte die EU endlich einen Ka-
pitalmarkt aufbauen, der mit der
Wall Street konkurrieren kann. Für
deutsche Unternehmen würden
sich damit ganz neue Finanzie-
rungsmöglichkeiten eröffnen.
Der Euro würde gegenüber
dem Dollar gestärkt – und da-
mit auch die außenwirtschaft-
liche Souveränität der EU.
Diese Aspekte werden
in der Debatte über
Euro-Bonds leider
zu oft vergessen.
Die Fragen stellte
Ruth Berschens.
Der Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel spricht über Coronakrise und Euro-Bonds.
Gael Truine/VU/laif