D
er Automobilzulieferer
Schaeffler tut es, derStahl-
konzernSalzgitter tut es,
und dieNord LB tut es ebenfalls:Vie-
le Unternehmenkassieren in diesen
Tagenihre Prognosen für das laufen-
de Geschäftsjahr.Das is tnicht mehr
als richtig. Denn auchwenn dieser
Ausblickfür Analysten, Aktionäre
und Journalistenzuden spannends-
tenZahlen aus der Chefetagegehört,
wäre es schlicht unseriös, inmitten
der Corona-Krise mit ihren monströ-
sen Folgen für dieWeltwirtschaftwo-
möglichfalscheErwartungenzuschü-
ren. Zwar mussein Management
auchinden Momentengrößter Unsi-
cherhei t–undin einemsolchenbefin-
den wir uns derzeit ohneFrage–ver-
schiedene Szenarien für die Ge-
schäftsentwicklung durchspielen und
sichdarauf jeweils vorbereiten. Doch
die für eine Prognose unerlässlichen
Eintrittswahrscheinlichkeiten lassen
sichderzeit eben nichtvorhersagen,
weil nicht mehr klar ist, ob dieRah-
menbedingungen aus derVergangen-
heit auchkünftig noch Geltung ha-
benwerden.Solangealsonicht abseh-
barist,wie lan ge derStills tandin wei-
tenTeilen derWirtschaf t–ob in
Deutschland, Europa oder anderswo
–nochanhält,vertrauen viele Mana-
gerauf ein Credo, das sichinden düs-
terstenStunden derWeltfinanzkrise
schon einmal bewährthat: Vergesst
die Prognosen,fahrtauf Sicht!
S
icherheitsmarkierungen, Mah-
nungenzum Abstand halten,
MaßnahmengegenGedränge–
das istinZeiten des Coronavirus
selbstverständlic hgeworden. ImSu-
permarkt kann das jedersehen.Die
deutscheLuftfahrt nahmsichaber
heraus, all dieseSchritt eerstandie-
sem Montag wirklichflächendeckend
umzusetzen. Die Verzögerung ist
mehrals blo ßein Lapsus, sie zeigt ein
großes Versäumnis.Während zahlrei-
cheHändlerschon schließenmuss-
ten, warnach der AnkunftimTermi-
nal, wo seit jeher Sicherheit einegrö-
ßereRolle spielensoll,nochbesonde-
re menschlich eNäheerfahrba r. FürIn-
fizierte g ab es zwar Krisenpläne, dass
auchvon Reisendenohne Symptome
Gesundheitsrisiken für andereausge-
hen können, wurde aber zuwenig be-
rücksichtigt .ImZusammenspiel patz-
tendie vielen Beteiligtenimkomple-
xenFlugha fenbetrieb,al sesernstwur-
de. Erstaunlic hist auch, dassüber
Tage keine Behördeeinsch ritt, bis Bil-
der in sozialen Medien dieVerant-
wortlichenselbsterschraken.Zusätzli-
cher Schutz darfindiesenTagennicht
vomAusgang einesPokers abhängen,
wereinen Extra-Bus auf dem Flugha-
fenvorfeld bezahlt.Alle in derLuft-
fahrtseien an dieWorteder Kanzle-
rinerinnert: „Es is ternst,nehmenSie
es auc hernst.“
D
ierigidenAusgangsbeschrän-
kungen, mit denen dieAus-
breitung des Coronavirusge-
brems twerden soll, hinterlassen im-
mer sichtbarer ihrewirtschaftlichen
Spuren. Selbstein internationaltäti-
gerMedien- und Dienstleistungskon-
zernwie Bertelsmann überlegt
schon, wieweit er mitKurzarbeit Ent-
lassungenvermeiden kann. Für Ber-
telsmann hat die Corona-Krise zwei
Gesichter:Auf der Schattenseite
schließen Buchläden, fragenKunden
weniger Dienstleistungen nach.Auch
die Fernsehwerbunggeht spürbar zu-
rück. FürWaren in Läden, diege-
schlossen sind, mussniemand mehr
werben. Aufder anderen Seite
wächst das Bedürfnis, sichüber die
Krise zu informieren oder sicham
Bildschirmund mit Musik abzulen-
ken. Bertelsmann-Unternehmen wie
RTL,Gruner+JahroderdasMusikun-
ternehmen BMG profitieren davon.
Der vonBertelsmann-Chef Rabe vor-
angetriebenen Digitalisierung des
Konzerns dürfteCorona sogarRü-
ckenwindgeben. Online istjetzt klar
im Vorteil gegenüber Offline. Nur
nützt das alles nichts,wenn massen-
haftArbeit und Einkommenwegbre-
chen. Schon jetzt zeigen sichAuswir-
kungen, und wirstehen –wie Rabe
sagt e–erst am Anfang derwirtschaft-
lichenAuswirkungen vonCorona.
Das große Versäumnis
VonTimoKotowski
Vorteil Online
VonCarsten Germis
Vergesst Prognosen!
VonSvenAstheimer
W
as hatein Au to mit einem
Beatmungsgerät zu tun?
Ziemlichwenig auf deners-
tenBlick. Ziemlichviel,
mutmaßtman unter hiesigenPolitikern,
zumal es mit DonaldTrumpund Boris
JohnsonprominenteVorbilder ausdem
Ausland gibt,wo die Industrieschon
nachArtderKriegswirtschaf tin Hilfsak-
tioneneingebundenwurde.Entsprechen-
deAnfragenandenVerbandderAutomo-
bilindustrie(VDA), inwieweit Mitglieds-
unternehmeneinen Beitragzur Produkti-
onvonmedizinischenGeräten undAtem-
maskenleistenkönnten,führennun zu
emsigemTreiben inderBranche.„Wirar-
beitenan Möglichkeiten zur kurzfristi-
genUnter stützung derProduktionent-
sprechenderKomponenten, Geräteund
Produkte“,verspricht VDA-Präsidentin
HildegardMüller.Das brauche allerdings
Zeit, gibt manbeim Verband zu beden-
ken. Weil es um Medizintechnikgehe,sei
eineverantwortungsvolle Prüfungnot-
wendig, betont Müller: „DieSicherheit
der Menschenund de rSchutz de rBevöl-
kerung in Zeiten dieser beispiellosen Si-
tuation habenfür die deutsche Automo-
bilindustrieoberstePriorität.“
HunderttausendevonAtemschutzmas-
kenund Schutzanzügen aus demeigenen
Fundus verschiedenerKonzerne si nd in
einem ersten Schrittgespendetworden.
Einig eUnternehmen sind auch in die
ProduktionvonMundschutz eingestie-
gen. Zu den er stengehörte ZFFriedrichs-
hafen .Der Autozulieferkonzernnutzte
vorWochen in China eine günstigeGele-
genheit, um einepassende Maschinezur
Herstellungvon Einmalmasken zukau-
fen, welche in Chinawähren dder Pande-
mie fürProduktionsmitarbeiter vorge-
schriebensind. Wasdie eigene Beleg-
scha ft in China nicht brauchte, wurde
dortweiter geg eben. Mittlerweil ewird
einezweiteLinieaufgebaut, die auch in
Europa zurVerfügunggestellt werden
könnte. AuchVolkswagen und
Fiat Chrysler sind entschlossen, in China
mit der ProduktionvonGesichtsmasken
für Beschäftigte im Gesundheitswesen
zu beginnen. DerchinesischeElektroau-
tohersteller BYDtut das schonimgro-
ßen Stil. Welchen Standards solche Mas-
kendann gerecht werden, is teine andere
Frage. Angesichts desaktuellen Zeit-
druc kshat dieEU-Kommissionvorweni-
genTagen fürsogenannte „Corona-Mas-
ken“ vereinfachtePrüfver fahren zugelas-
sen. Dereigentlichsehr aufwendigePro-
zess (dermit de mpassendkomplizierten
Wort „EU-Konformitätsbewertungsver-
fahren“ beschriebenwird) solle aus-
nahmsweisedurch ein Schnellverfahren
ersetztwerden,bericht et der Prüfkon-
zernDekra, derfürsolcheTestsein Spezi-
allabo rinEssen betreibt.
Deutlichschwierigerwirddie Sache,
wenn es umkomplexe lebenserhaltende
Gerät egeht.Die Kerntechnologie der
heutigen Beatmungsgeräteunterscheide
sichelementarvom Herstellungsbetrieb
vonAutomobilherstellern, signalisiert
man seitens de sMedizintechnikunter-
nehmensDräger.Das LübeckerUnter-
nehmen hat imFalleeines Gerätetyps,
derfür Corona-Patienten häufig einge-
setzt wird,seineProduktionskapazität
selbs tschon um mehr als 50 Prozentge-
steiger t. „Di eKomplexität des Outsour-
cing eines solchenFertigungsbetriebs ist
ziemli ch hoch“, betont eine Dräger-Spre-
cherin. Es handele sich bei den meisten
Materialien nicht um Standa rdteile.
Neue Produktionslinien würdennur ei-
nenzusätzlichenOutput generieren,
„wenn auch die Zulieferindustrieverdop-
pelt wird,was aus Sicht derregulatori-
sche nQualifizierungkurzfristi gunmög-
lich ist“.
Verallgemeinernlässt sichdas of fen-
kundig nicht.Sohat in denVereinigten
Staaten derAutohersteller Ford eine Alli-
anz mit der Medizintechniksparte von
GE gebildet, um deren Beatmungsgeräte
in einervereinfachtenVersion bauen zu
können.Auch der deutsche Maschinen-
bauverbandVDMA istsicher ,dassunge-
wöhnlicheKoalitionen möglichsind, und
hat sichauf die Suche nachLieferanten
für Medizintechnikgemacht, zum Bei-
spiel Anlagen, auf denenmanSchutzmas-
ken, Brillen,Kittel unddergleichenprodu-
zierenkönnte. DerVerband hatteunter
anderem freie Produktionskapazitäten im
Sinn, „zum Beispiel durch Umwidmung
aktuell nichtgenutzter Produktionsanla-
gen, auc hinShowrooms“. Grundsätzlich
istdie Branche für schnelle Hilfegeeig-
net, denn Maschinen für Medizintechnik-
produktegeltenhinsichtlichderRegulato-
rikals unkritisch. Sie müssen nichtextra
zertifiziertwerden–andersals die End-
produkteselbst. TrotzdemwarntNiklas
Kuczaty,Geschäftsführer der Arbeitsge-
meinschaftMedizintechnik im VDMA,
vorfalschen Erwartungen.
Es sei unrealistisch, dass Autoherstel-
leroder Maschinenbauer jetztmir nichts,
dir nichts zu ProduzentenvonMedizin-
technik würden, sagt er.Das habeauch
keinersogemeint, dersichin denvergan-
genen Tagenüber Möglichkeiten derUn-
terstützunggeäuße rt hat.Esgeheeher
darum,Liefer ketten zu schließenoder
Kapazitäten zu nutzen,die bei den Ma-
schinenbauern durch die konjunkturell
schwächereNachfrageausderAutoindus-
trie frei seien.
Einen Hilferufstartete auch der ba-
den-württembergischeMiniste rpräsi-
dent Winfried Kretschmann.Obdie Un-
ternehmen im Land Knowhowund die
nötig eProduktionstechnikhätten, „um
in dieser schwierigenSituationeinen
wichtigenBeitragzur Produktionvonme-
dizinischem Gerät leistenzukönnen“,
fragt eer, und gründe te ein e„Taskforce
Beatmungsmaschinen“.Kretschmann
profitiertdavon, dasservor Jahren(in
Sorge um die Zukunftderwichtigsten Ar-
beit geber im Land) den „Strategiedialog
Automobilwirtschaft“ ins Lebengerufen
hat, einNetzwerk,das Akteureaus dem
weiten Feld der Mobilitätsbranche, der
zugehörigenForschungund gesellschaft-
liche Kreise miteinander inVerbindung
gebrachthat.Und sieheda:Verschiedene
Autozulieferer undauchHersteller prü-
fenzum Beispiel, ob sie ihre3D-Drucker
nicht problemlos für die Herstellungvon
Beatmungsventile nprogrammierenkön-
nen. „Wir prüfen“, isteine Standardant-
wort,gleichobman BoschRexroth oder
Festo, ZF oder BMW fragt: So einfachist
die Fragenicht zu klären, ob oder wie
man helfenkann –und ob das überhaupt
Prioritäthaben darf. So istvonVW zu hö-
ren,esseinachwievordiewichtigsteAu f-
gabe, sic hfür dasgeordne te Wiederhoch-
fahrender eigenenProduktionvorzuberei-
ten–auchwenn derweltgrößteAutoher-
stellerzunächsteinmal rund80 000Mitar-
beiter inFolgeder Krise inKurzarbeit
schic kenwird, wie am Dienstagbekannt
wurde.Auchfürdie Zulieferer istdasWie-
deranlaufen der eigenenkomplexenPro-
zesse ein wichtiges Thema, zumal sichim
wichtigstenAutomarkt China die Lage
schon wieder entspannt.
Aufdie Schnelle istindes schon viel in
Bewegung gesetzt worden. Die ersten
Hilfsangebote fußen meistauf dem,was
manschonhatoderkann.Dasmussnichts
Kleines sein. So bietetDaimleretwa zwei
Gebäudekomplexe in Ulm an, dieganz in
der Nähe desUniversitätsklinikums gele-
gensind. Dortkönnteman möglicherwei-
se eine ArtNotkrankenhaus einrichten.
Bis vorkurzem hatte Daimler in den Ge-
bäuden einForschungszentrum betrieben
–weshalb die Grundausstattung offenbar
soist,dassdieKlinikleitungInteressezeig-
te.Vereinbartist aber nochnichts.
Bei denspontanen Hilfsangeboten
gehtes oftauchumdieGes te.Der Reifen-
spezialistMichelin bietetden Rettungs-
diens tenkostenlosePannenhilfean. Mer-
cedesstelltCorona-AmbulanzenTrans-
porter zu rVerfügung.Volkswagen nutzt
seine Logistik un dseine Beziehungenzu
staatlichen Herstellern, um medizini-
sches Gerätaus China herbeizuschaffen.
Undauchder chinesische Unternehmer
Li Shufu, inDeutschland bekannt als
GroßaktionärvonDaimler,hat Lieferun-
genvon Schutzkleidungund Test-Kits an
die Standor te seiner GeelyGroup veran-
lasst,nachItalien, nachSchweden und in
die Rhein-Main-Region.„Stay strong“,
lautetedie in mehrerenSprachen imKon-
zern verbreit eteBotschaft: „In schwieri-
genZeiten sindechte Freunde niemals
weit entfernt.“
ikop./jch./tag./tine. FRANKFURT. Seit
sichdas Coronavirus ausbreitet,ist aller-
ortenDesinfektionsmittel knapp. In Apo-
theken und Supermärkten sind die ent-
sprechenden Regale leer,wenn Nach-
schub erwartet wird, bilden sichbiswei-
len langeSchlangen. Krankenhäuser,
Arztpraxen und Apothekenstellen daher
vermehrtDesinfektionsmittel selbsther,
allerdingsfehlt es oftanden dafür not-
wendigenVorprodukten.VorwenigenTa-
genhabenauchdiegroßenDesinfektions-
mittel-Hersteller Alarmgeschlagen, ih-
nen drohe Ethanol-Knappheit, damitfeh-
le ihnen der wichtigste Grundbestandteil
für die Mittel (F.A.Z.vom23. März).
Der Mehrbedarfanreinem Alkohol für
die coronabedingteerhöhte Produktion
vonDesinfektionsmitteln wirdinEuropa
grob auf 20 Millionen Liter im Monatge-
schätzt, sagt Christoph Berg, Geschäfts-
führer des auf die Ethanol-Branche spe-
zialisiertenAnalysehauses F.O. Licht.
Ausder Alkoholindustrie istallerdings zu
hören, dassesimGrunde genug Ethanol
dafürgibt,wennmanzusätzlichauf Bioet-
hanol setzt, das bislang in Super E10ver-
wendetwird.Zwarheißtesbisweilen,die-
seserreiche nicht die für medizinische
ProduktebenötigteReinheit, dochbei ge-
änderterProduktion lässt sichdas Pro-
blem wohl beheben. Bioethanol müsse
noch„ausgereinigt“werden, sagt Berg,
sei dann aber ebenfalls einsetzbar.
Das sieht auchLutz Guderjahn so, der
VorstandsvorsitzendevonEuropasgröß-
temBioethanol-Hersteller Crop-Ener-
gies:„Das Problem istgelöst“, sagt der
Manager im Gesprächmit der F.A.Z. Vor
wenigen Tagenhattewegen der Ethanol-
Knappheit schon der Chemieverband
VCIzugesichert,zumindestdieNach frage
in den Krankenhäusernsicherzustellen.
Am Wochenende allerdings hat auchdas
Bundesumweltministerium dieWeichen
neu gestellt und eineVorschrift geändert,
die esUnternehmen wie Crop-Energies
künftig erlaubt,ihren „technischen“Alko-
hol künftig auchfür Desinfektionsmittel
zunutzen. Bislangdurftedafürnurbeson-
dersgereinigter,trinkfähiger,sogenann-
terNeutralalkohol verwendetwerden,
der unter anderem auchinSpirituosen
und Parfüms verwendetwird. Frankreich
und Österreichhatten nachGuderjahns
Worten zuvor schon dieVorschriften ent-
sprechendgelockert.
Crop-Energies,einbörsennotiertesUn-
ternehmen, dessen Mehrheit beim Mann-
heimer Südzucker-Konzernliegt, produ-
ziertden Großteil seines Alkohols aus
Biomasse–etwaWeizen –vor allem als
ZusatzstofffürE10-Benzine.Nurein klei-
nerTeilwurdebisherzuTrinkalkoholver-
arbeitet.Dank der neuen Möglichkeiten
könne seinUnternehmen jetzt „nahezu
unbegrenzt“ Ethanolzur Verfügungstel-
len, sagteGuderjahn. DieKapazitätrei-
chetheoretisch für mehr als eine Milliar-
de Liter Ethanol im Jahr.Vor allem die
Logistik müsse jetztgeklärtwerden.
DamitUnternehmen wie Crop-Ener-
gies künftig Apotheken undWeiter verar-
beiter aus derchemischen Industrie belie-
fern können, hat das Bundesfinanzminis-
terium am vergangenen Wochenende
auchdie steuerrechtlichenVoraussetzun-
gengeschaffen. Denn fürNeutralalkohol
fallen 13 EurojeLiter Alkoholsteuer an,
mehr als dasZehnfache des eigentlichen
Produktpreises. Darüber hatten sichauch
dieApothekenschon beklagt–das mache
die Produktionvon Desinfektionsmitteln
unnötigteuer.Ein Apotheker rechnete
bisher mit einem Einkaufspreis für einen
Liter reinen Alkoholsvonrund 3Euro.
Müssteder ApothekerdievolleSteuerdar-
aufzahlen,würdensichdieKostenverfiel-
fac hen.Die Kunden aus der Desinfekti-
onsbranche sollendaher jetzt auf Antrag
unbürokratischdavon befreitwerden. Die
NeuregelunggibtdergesamtenBranche
Schwung. Am Dienstagerklärte auch
Crop-Energies-Konkurrent Verbio aus
Leipzig, die ProduktionvonBiosprit auf
Desinfektionsmittel zu erweitern.
Bislang gehörtendie Hersteller von
Desinfektionsmitteln zu den eher kleinen
Nach frager nauf dem Alkoholmarkt.Die
größtenVerbraucher sind derTransport-
sektor(Treibstoffethanol)sowiedieSpiri-
tuos enindustrie. In denvergangenenWo-
chenhabe sichdieNachfrag efürmedizini-
sche Zwecke aber grob verdreißi gfacht,
sagt Branchenanalyst Berg.
Kurzfristig bleibt die Lagefür die Des-
infektionsmittel-Produktion angespannt.
In die Bresche springen derzeit Spirituo-
senhersteller –etwaJägermeister, Dia-
geo, AB Inbevund Pernod-Ricard. Sie ha-
ben sichbereit erklärt, Alkohol aus ihren
Lagerbeständen für die Produktionvon
Desinfektionsmitteln zurVerfügung zu
stellen.Auchdas Kölner Unternehmen
KlosterfrauHealthcare–früher Kloster-
frauMelissengeist–spendetrund
500 000 Flaschen Desinfektionsmittel an
die Bundesregierung.
DieDesinfektionsmittel-Herstellerpro-
duzieren derzeit amRand ihrerKapazi-
täte n. DasUnternehmenPaul Hartmann
lässt sein Desinfektionsmittel „Sterilli-
um“ künftig auchvon seinemTochterun-
ternehmenKneippinWürzburgproduzie-
ren. Der Medizintechnikhersteller B.
Braun hat seine Desinfektionsmittel-Pro-
duktion in der Schweiz um 20 Prozenter-
höht.Dennochkönne es zu Lieferengpäs-
sen kommen, hieß es seitens desUnter-
nehmens.ZwarbekommtdasFamilienun-
ternehmen aus Melsungen „im Moment“
nochausreichendeMengenEthanolzuge-
liefert, „aber aufgrund der höherenNach-
frageleider auchnur zu höheren Prei-
sen“, hieß esweiter .Auchder Großhan-
del Phoenix Pharma aus Mannheim, der
fürdieBelieferungvonApothekenzustän-
digist,spürtvonden zusätzlichenProduk-
tionskapazitäten an Ethanol bislang noch
nichts. „BeiAtemschutzmasken sowie bei
Desinfektionsmitteln sind wirweitestge-
hend ausverkauft“, sagteein Sprecher.
Nach fragen bei dengroßen Lieferanten
für diese Produkte hätten ergeben, dass
aktuellkeinerleiWare mehr verfügbar sei
und siekeine Auskunf tdarübergeben
könnten, „wann und inwelcher Menge
sie wieder lieferfähig wären“. Sporadisch
würden kleinere Mengengeliefert, die
aber ebenfalls sofortausver kauftseien.
In derTürkei hat Gesundheitsminister
FahrettinKoca seinen Landsleuten sogar
empfohlen,Kölnischwasser als Alternati-
ve zu Händedesinfektionsmitteln zuver-
wenden. Allein in denvergangenenWo-
chen gingen beim Duftwasser-Hersteller
Eyup SabriTuncer Zehntausende Bestel-
lungen ein, berichtet die Nach richten-
agentur AFP.
Das neueVorbild derAutoindustrie?Das Werk vonDrägerinLübeck FotoActio nPress
VomFeld in die Flasche:Bioethanol wirdfür Desinfektionsmittel eingesetzt. Fotodpa
Beatmungsgeräte
statt Autos
VonCarsten Germis,
Ilka Kopplin,Roland
Lindner,Uwe Marx
undSusanne Preuß
Rettung naht vomAcker
Für den GrundstoffAlkohol in Desinfektionsmitteln springen nun auchBioethanol-Hersteller in die Bresche
Szenen wieaus einer Kriegswi rtscha ft:Inder
Corona-Krise produziertdie Industrie, wasgerade
benötigtwird. Autohersteller sollenAtemmasken
undMedizintechnik liefern. Gehtdas so ei nfach?
SEITE 22·MITTWOCH,25. MÄRZ 2020·NR.72 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG