Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1

Osnabrück– Bundesfamilienministerin
Franziska Giffey (SPD) hat an Länder
und Kommunen appelliert, Eltern in der
Corona-Krise die Kitagebühren sofort zu
erlassen. „Wir müssen Eltern helfen, mit
ihren Einkommenseinbußen klarzukom-
men, und dürfen sie nicht auch noch mit
Gebühren für nicht erbrachte Leistun-
gen belasten, weil die Kita geschlossen
werden musste“, sagte Giffey derNeuen
Osnabrücker Zeitung. Für viele Familien
seien Kitagebühren jetzt „ein großes
Problem“. Manche Länder und Kommu-
nen hätten sie bereits erlassen. „Das
finde ich richtig“, sagte Giffey. kna


München –Nach einem Protest des
Personalrats setzt das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (Bamf) Anhö-
rungen Schutzsuchender während der
Corona-Pandemie nach Informationen
von WDR, NDR undSüddeutscher Zei-
tungaus. Asylanträge werden „mit sofor-
tiger Wirkung“ nur noch schriftlich
entgegen genommen. Das bestätigte der
Sprecher Jochen Hövekenmeier. Asyl-
anträge würden jedoch selbstverständ-
lich weiter bearbeitet. Bereits am Mon-
tag hatte die Flüchtlingsbehörde die
Außenstellen angewiesen, Antragsteller
nur noch dann zur Asylanhörung vorzu-
laden, wenn diese ein negatives Corona-
Testergebnis vorweisen könnten oder
sich 14 Tage in Quarantäne befunden
hätten. Am Donnerstag hatte der Perso-
nalrat in einem Brandbrief die aktuelle
Situation kritisiert und gewarnt, dass
die vom Robert-Koch-Institut empfohle-
nen Maßnahmen zur Eindämmung der
Corona-Epidemie nicht eingehalten
werden könnten. Es bestehe eine erhebli-
che Ansteckungsgefahr für Bamf-Perso-
nal und für Asylbewerber. ff, mk


Stuttgart –Nach mehreren anderen
Bundesländern verschiebt auch Baden-
Württemberg wegen der Coronavirus-
Pandemie die Abschlussprüfungen an
den Schulen. Das teilte das Kultusminis-
terium am Freitag mit. Der Beginn aller
zentralen Abschlussprüfungen wird
demnach auf die Zeit ab dem 18. Mai
verlegt. Zuvor hatten schon mehrere
andere Bundesländer wie Bayern, Meck-
lenburg-Vorpommern und Thüringen
die Prüfungen für das Abitur verscho-
ben. dpa


Berlin– Der wegen Antisemitismus-Vor-
würfen in die Kritik geratene baden-
württembergische Landtagsabgeordne-
te Wolfgang Gedeon muss die AfD verlas-
sen. Das habe das Bundesschiedsgericht
der Partei entschieden, teilte der AfD-
Vorsitzende Jörg Meuthen am Freitag in
Berlin mit. Dass Gedeon nun wegen
parteischädigenden Verhaltens aus der
AfD ausgeschlossen werde, sei ein „so
überfälliges wie richtiges und wichtiges
Zeichen“. Es bedeute: „Es gibt keinen
Platz für Antisemiten in der AfD.“ Ge-
deon habe der Partei mit seinen „israel-
feindlichen und antisemitischen Positio-
nen über Jahre schweren Schaden zuge-
fügt“, sagte Meuthen. Das Parteiaus-
schlussverfahren hatte der AfD-Bundes-
vorstand angestoßen. Alice Weidel, die
Vorsitzende des baden-württembergi-
schen Landesverbandes ist, erklärte:
„Ich bin froh, dass der Ausschluss nun
endgültig erfolgt ist.“ dpa


INLAND


München– Die AfD-Spitze will ihren völ-
kisch-nationalen Flügel zwingen, sich auf-
zulösen. Das soll die Gruppierung an die-
sem Samstag auf Anordnung des 14-köpfi-
gen Vorstandes bei einem geheimen Tref-
fen beschließen. Der Flügel bekommt für
die Selbstauflösung Zeit bis Ende April.
Parteichef Jörg Meuthen scheiterte mit sei-
nem Vorschlag einer sofortigen Auflösung
durch den Bundesvorstand. Das erfuhren
WDR, NDR undSüddeutsche Zeitungnoch
aus der Sitzung heraus aus dem Parteivor-
stand, die AfD bestätigte den Vorgang.
Es ging um viel an diesem Freitag in der
AfD, in der Spitze war sogar von der Zu-
kunft der ganzen Partei die Rede. Über
Stunden zog sich der erste Tagesordnungs-
punkt hin, trotz der Corona-Krise waren
die meisten Vorstände in Berlin versam-
melt. Die Entwicklung hatte sich monate-

lang angebahnt, vor einer Woche dann be-
schloss das Bundesamt für Verfassungs-
schutz (Bf V), den völkisch-nationalen Flü-
gel zu beobachten. Das hat den Druck auf
die Parteispitze massiv erhöht: Die Basis

rebellierte, ganze Landesverbände mach-
ten Druck, den Einfluss des Flügels, der im-
mer unabhängiger von der Gesamtpartei
agierte, zu beenden. Die Gruppe und ihre
Chefs Björn Höcke und Andreas Kalbitz
sollten in die Grenzen verwiesen werden.
Nachdem Parteisprecher Meuthen mit
der Maximalforderung der sofortigen Auf-
lösung in die Sitzung gegangen war, stand

am Ende der Kompromiss, dass sich der
„Flügel“ bis zum 30. April auflösen soll. Elf
Vorstände stimmten zu, ein Vorstand ent-
hielt sich, nur „Flügel“-Chef Kalbitz wider-
sprach. Die inoffizielle Gruppierung, de-
ren Mitgliederliste und Strukturen die Par-
teiführung angeblich nicht genau kennt,
soll nach Wunsch der Vorstände keine Tref-
fen mehr im Namen der AfD abhalten und
nicht mehr das Parteilogo verwenden dür-
fen. Den Beschluss brachten am Ende die
Parteichefs Jörg Meuthen, Tino Chrupalla
und Alice Weidel ein, gemeinsam mit Cars-
ten Hütter und Beatrix von Storch. Weidel
hatte diese Linie schon zu Beginn der Sit-
zung vertreten, Meuthen lenkte dann ein.
Weidel hatte sich zuletzt dem „Flügel“ an-
genähert und sich so trotz der Spendenaf-
färe ihr politisches Überleben gesichert.
Sie gehört der Gruppierung nicht an.

Die AfD-Spitze will mit dem Schritt das
etwas bürgerlichere Lager befrieden, das
nach harten Maßnahmen ruft, zugleich
aber das rechtsextreme Lager zusammen-
zuhalten. So sollen Austritte aus beiden
Teilen oder gar eine Spaltung der Partei
vermieden werden. Seit Tagen tobte die in-
nerparteiliche Debatte, der Vorstand
stand unter Zugzwang. Etliche Parteimit-
glieder hatten ihren Verbleib in der AfD an
den Verlauf dieser Sitzung geknüpft. Erste
Austrittswellen deuteten sich an. Trotz-
dem ist die jetzige Anordnung vor allem
ein symbolischer Einschnitt.
Entscheidender für den Umgang mit
dem „Flügel“ ist, wie die AfD-Spitze mit
Björn Höcke und Andreas Kalbitz umge-
hen will. Höcke hat zuletzt seine Gegner
mit der Aussage aufgebracht, parteiinter-
ne Gegner sollten „ausgeschwitzt“ wer-

den. Er soll sich dazu bei der nächsten Vor-
standssitzung am 17. April erklären, weite-
re Konsequenzen gab es für ihn nicht. Der
„Flügel“-Strippenzieher Kalbitz, selbst
Vorstandsmitglied, wurde aufgefordert,
über seine mutmaßlichen früheren Verstri-
ckungen in die rechtsextreme Heimat-
treue Deutsche Jugend (HDJ) „Klarheit zu
schaffen“, wie ein Parteisprecher erklärte.
Zuletzt war bekannt geworden, dass er
laut dem Gutachten des Verfassungsschut-
zes dort als Mitglied registriert war – was
Kalbitz bestreitet. Als früheres Mitglied
der HDJ dürfte er laut der Unvereinbar-
keitsliste der Partei nicht der AfD angehö-
ren. Von ihm wird verlangt, dass er gegebe-
nenfalls juristsche Schritte einleitet, um
der Darstellung entgegen zu treten.
sebastian pittelkow, katja
riedel, jens schneider  Seite 4

Als erstes Bundesland beschließtBayern
am Freitag, 20. März, von Mitternacht an
weitreichende Ausgangsbeschränkun-
gen, weil sich das Coronavirus immer wei-
ter ausbreitet. Ministerpräsident Markus
Söder (CSU) betont, man werde Bayern
nicht „einsperren“, ruft aber dazu auf, mög-
lichst zu Hause zu bleiben. Dieerste Aus-
gangssperre Deutschlandsverhängt am
Mittwoch, 18. März, die bayerische Klein-
stadt Mitterteich. Am Donnerstagabend,


  1. März, zieht Freiburg als erste Groß-
    stadt nach.
    17599Fälle von Covid-19-Infizierten
    sind am Freitag, 20. März, inDeutschland


bestätigt. 47 Menschen sind an der neuarti-
gen Lungenkrankheit gestorben. Deutlich
höher liegen die Zahlen inItalienmit
41 035 Erkrankten und 3405 Toten. Weil in
der Stadt Bergamo Krematorien überlas-
tet und Leichenhäuser überfüllt sind,
transportiert am Mittwoch, 18. März, ein
MilitärkonvoiSärge mit Opfern aus der
Stadt.Weltweitsind 244 602 Menschen in-
fiziert, 10 031 sind gestorben.
In einer Fernsehansprache wendet
sich KanzlerinAngela Merkelam Mitt-
woch, 18. März, an die Bevölkerung, erst-
mals in ihrer 15 Jahre dauernden Kanzler-
schaft – abgesehen von ihren TV-Botschaf-

ten zu Neujahr. Sie appelliert an die Bür-
ger, voneinanderAbstand zu halten. „Es
ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“
Um das Coronavirus einzudämmen, ver-
kündet Bundesinnenminister Horst Seeho-
fer (CSU) am Sonntag, 15. März,Grenz-
schließungenzu Frankreich, Österreich,
Dänemark, Luxemburg und der Schweiz.
Der Warenverkehr bleibt aufrechterhal-
ten. DieEUmacht ihreAußengrenzenam
Dienstag, 17. März, dicht. Weil sich die
Lage Geflüchteter dort weiter verschlech-
tert, sprechen sich am selben Tag Frank-
reich, Großbritannien und Deutschland da-
für aus, der Türkeimehr Geld für huma-

nitäre Zweckezur Verfügung zu stellen.
Wegen Covid-19 werden immer mehr
Großveranstaltungen abgesagt. Am Diens-
tag, 17. März, teilt die Uefa mit, dass die
Fußball-Europameisterschaftnicht wie
geplant in diesem Jahr, sondern 2021 aus-
getragen werde. Außerdem ruhe dieCham-
pions League„bis auf Weiteres“.
Ein Wechsel an der Spitze des Technik-
konzerns Siemens wird am Freitag,
20.März, bekannt.Joe Kaeserwird 2021
seinen Posten als Vorstandsvorsitzender
an Stellvertreter Roland Busch übergeben
und Aufsichtsratsvorsitzender der Sparte
„Siemens Energy“ werden.

Bei den Vorwahlen zur Präsidentschafts-
kandidatur der US-Demokraten kannJoe
Bidenseinen Vorsprung zu Konkurrent
Bernie Sanders ausbauen. Biden gewinnt
am Dienstag, 17. März, in den StaatenFlori-
da, Illinois und Arizona. Damit ist San-
ders nahezu chancenlos.
Der russische Skandalschriftsteller und
Politprovokateur Eduard Limonow ist
tot. Er stirbt am Dienstag, 17. März, mit
77 Jahren in Moskau. Er war mit Romanen
und Gedichten berühmt geworden, poli-
tisch war er unter anderem wegen Verwick-
lungen in die Balkankriege der frühen
Neunzigerjahre höchst umstritten. clli

Das „African Youth Survey“ hat junge Er-
wachsene über Ländergrenzen hinweg zu
ihren Hoffnungen und ihrer Identität be-
fragt. Das Ergebnis ist ein umfassendes
Meinungsbild einer Generation, die nach
dem Ende der Apartheid 1994 und Jahr-
zehnte nach dem Zusammenbruch des Ko-
lonialismus zur Welt kam. Beachtlich ist
ihr Optimismus: 75 Prozent glauben, dass
sie ihre Gemeinschaften positiv verändern
können. Bekäme jeder 100 Dollar ge-
schenkt, so würden 78 Prozent in Bildung
investieren, sparen oder ein Unternehmen
gründen. Auch in von Krisen und Krieg ge-
zeichneten Ländern wie Malawi, das im
vergangenen Jahr von ZyklonIdaigetrof-
fen wurde, oder Mali, wo radikale Islamis-
ten die Menschen terrorisieren, glauben
rund 90 Prozent, dass sich ihre Situation
verbessern wird. Einschränkungen durch
die Folgen des Kolonialismus spüren sie,
anders als ihre Eltern und Großeltern,
nicht. Auch die Haltung zur EU ist in vielen
Ländern sehr gut: In Ghana, Äthiopien
oder Nigeria zum Beispiel schreiben mehr
als 90 Prozent der EU einen positiven Ein-
fluss auf ihr Land und den Kontinent zu. In
ehemaligen französischen Kolonien hat-
ten allerdings viele Befragte keine positive
Meinung von der EU. Junge Afrikaner for-
dern Zugang zu Finanzmitteln, um Unter-
nehmen zu gründen, aber auch Stabilität
und Demokratie. Dabei wird deutlich, dass
dort, wo Menschen unter Bürgerkriegen
oder ethnischen Konflikte leiden, der
Wunsch nach Stabilität überwiegt. areu

DEFGH Nr. 68, Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020 HF2 POLITIK 7


Krisenhilfe: Kita kostenlos


Asyl-Anhörungen ausgesetzt


Stuttgart verlegt Abitur


Gedeon wird ausgeschlossen
Der „Flügel“ soll sich selbst stutzen


Der AfD-Vorstand hat die völkisch-nationale Gruppe um Björn Höcke zur Selbstauflösung aufgerufen. Parteichef Meuthen wollte aber mehr


Was denkt Afrikas Jugend?


Der Kontinent hat die jüngste Bevölkerung der Welt: 70 Prozent der Menschen in Afrika
südlich der Sahara sind unter 30 Jahre alt. Wie blickt diese Generation in die Zukunft?

Grafik:Sara Scholz;Recherche:Benedict Witzenberger, Anna Reuß; Quelle: ichikowitzfoundation.com

Wie werden sich deine Lebensbedingungen in den kommenden zwei Jahren verändern?
Angaben in Prozent

unter allen Befragten

51382151867

unter denen mit schlechtem Lebensstandard

Investition in eigene Bildung

Einzelhandel

Technologie

Landwirtschaft

Finanzen

Telekommunikation

17

10

10

8

7

investieren ausgeben

spenden

sparen

in ein Geschäft investieren
oder ein eigenes eröffnen

Haushalts-
einkäufe

für jemand anderen
ausgeben

Freizeit

Was macht deine Identität aus?
Angaben in Prozent

Sie werden schlechter Sie bleiben gleich Sie werden besser

mein Land
51

Afrika
17

Stabilität
48 %

Demokratie
48 %

keine Ahnung 4 %

meine
Ethnie 17

mein
Stamm
17

Identifikation mit
Parteien 2

kein Startkapital

staatliche Regulierungen

Entwicklungsfinanzierung

Korruption

Ausbildung

wirtschaftliche Unsicherheit

digitale Technologien

53

Wenn du 100 Dollar hättest – was würdest du damit machen?
Angaben in Prozen*

Was hindert dich daran, ein eigenes
Geschäft aufzumachen?Angaben in Prozent*

In welcher Branche möchtest du ein
Geschäft aufmachen?Top fünf in Prozent

Was ist dir wichtiger in deinem
Land: Demokratie oder Stabilität?

finden, dass Zugang zu Wlan und dem
Internet ein Menschenrecht ist

79 Prozent


Methode: 4200 Vor-Ort-Befragungen von Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren in 14 Ländern in Sub-Sahara-Afrika in der ersten Hälfte des Jahres 2019. Fehlermarge: ± 2 Prozent

*fehlende Werte=keine Angaben

49 16 13 9433

11

10

10

6

6

2

WOCHENCHRONIK VOM 14. VOM 20. MÄRZ


Hoffnungsvoll und


lebensbejahend


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