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07.03.20 Samstag,7.März2020DWBE-HP
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DWBE-HP
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DIE WELT SAMSTAG,7.MÄRZ2020 DIE LITERARISCHE WELT 31
E
s gibt bei Woody Allen diese
Szene, in der sich zwei strei-
ten. Schließlich schnaubt
der eine wutentbrannt:
„Mein Anwalt ruft Ihren
Psychiater an!“ Dann ist al-
les wieder gut, das Problem
wurde sozusagen outgesourct. In „Allegro
Pastell“, dem neuen Roman von Leif Randt,
nominiert für den Preis der Leipziger Buch-
messe, streitet sich nie wer. Die Leute sind
ihre eigenen Anwälte und Psychiater.
VON JAN KÜVELER
Sie behandeln ihren Ärger, ihre Sehnsüch-
te, ihre Ängste diskret. Sie lieben und leiden
in zweiter Ordnung, als fristeten sie ein Da-
sein als alles beobachtende und kommentie-
rende Wesen auf den Schultern tumber Rie-
sen, die die Bezeichnung Mensch kaum ver-
dienen, weil sie so instinktiv empfinden wie
Tiere. „Ich könnte ihn jetzt nicht sehen“,
sagt Tanja, wenn sie über Jerome nachdenkt.
„Aber ich vermisse das Gefühl, gerne an ihn
zu denken.“ Es wird viel Badminton gespielt
in diesem Buch, was passt, weil alle Härten
federleicht abgemildert werden. Aber Squash
wäre schon auch gut gewesen, wegen des
Spiels über Bande.
Leif Randt sitzt beim Chinesen in Berlin
Schöneberg (sein Badmintonklub ist um die
Ecke) und trägt eine Kappe. Weil es sich bei
seiner Literatur um Pop handelt – genauer,
um Late-late-Pop, dazu gleich mehr –, dürfen
die Markennamen nicht fehlen. Das Restau-
rant, in dem auch Tanja und Jerome einmal
ein Date haben, heißt „Da Jia Le“. Die Kappe
ist von Mizuno, einem japanischen Sportar-
tikelhersteller. Sportartikel spielen auch eine
Rolle im Buch, besonders die von Decathlon.
Dort hätten wir uns theoretisch auch treffen
können, aber Decathlon war schon vergeben,
da hat ein anderer Feuilletonist zugeschla-
gen. Essen gehen ist sowieso angenehmer,
und angenehmist in „Allegro Pastell“ eine
entscheidende Kategorie, zusammen mit ent-
spannt, niceund gut, besonders, wenn sich
doch Druck aufbaut, dem man dann schnell
entgegenwirken muss. Zum Beispiel in Situa-
tionen wie dieser: „Die ersten warmen Tage
eines Jahres trugen in großen Städten ein so-
ziales Stresspotenzial in sich, in Berlin ging
es darum, möglichst publikumswirksam eine
gute Zeit zu haben.“
Einstweilen ist es noch kalt in Berlin, und
bei „Da Jia Le“ sitzen wir oben in der ersten
Etage, wo es ziemlich leer ist und deshalb an
Publikumswirksamkeit hapert. Kein Stress
also. Dafür gibt es scharfe, leckere Szechuan-
pfeffersachen, die Randt flott, aber auch ein
wenig leidend bestellt, weil wir zu zweit nur
eine ziemlich überschaubare Anzahl von Ge-
richten ordern können, was in so einem Res-
taurant nur halb so viel Spaß macht, wie er
erklärt. Jerome und Tanja erleben „Da Jia Le“
so: „Die Wände waren blass mintgrün gestri-
chen, und an der Decke hing ein Kronleuch-
ter, dessen Material billig erschien. Tanja be-
hauptete, in diesem Interieur eine Art kom-
munistische Nostalgie zu empfinden, sozusa-
gen stellvertretend, und das Essen war wirk-
lich gut. Sie bestellten absichtlich zu viel –
Gurkensalat, Auberginen, Rindfleisch mit
Kreuzkümmel, zudem ein sehr scharfes
Hühnchengericht mit Chilis und Erdnüssen.“
Das Zitat ist ausführlich, damit man ers-
tens einen Eindruck vom Sound des Romans
bekommt und zweitens sich vorstellen kann,
wie wir so da sitzen und essen. Die Beschrei-
bung ist nämlich mehr oder weniger fotorea-
listisch. Eine verfeinerte Beobachtung –
„blass mintgrün“ – wird gemixt mit ästheti-
schem Urteil – „billig“ – und Randts Signa-
ture-Zutat, der ausgestellten Identifikation
mit Gefühlen, um das eigene Ich zu berei-
chern – das wäre hier die „sozusagen stell-
vertretend“ empfundene „kommunistische
Nostalgie“. Die ganze Welt ist ein Second-
handladen für Emotionen, die man anpro-
biert und bei Gefallen vielleicht sogar kauft.
Konsequenterweise werden in „Allegro
Pastell“ auch allerlei Drogen konsumiert –
Gras, Pilze, Ketamin, Kokain, Ecstasy. Selbst
die Drogen führen, gespiegelt im feinge-
schliffenen Prisma dieser Literatur, nicht
zum Rausch, sondern zur Klarheit, in diesem
Fall zur Einsicht in verschiedene Arten von
Doppelmoral. Wenn man Randt zu lesen an-
fängt, denkt man auf den ersten Seiten
manchmal, „Hm, das klingt aber etwas sprö-
de“, bis man plötzlich merkt, dass man mit
jeder Minute klarer denkt. Es handelt sich
um eine chirurgische Prosa. Die Figuren wir-
ken mitunter knöchrig, weil jederzeit ihre
Knochen durchscheinen.
Es wäre vermutlich übertrieben, jetzt
gleich die ganze Gegenwart geröntgt zu se-
hen. Dafür ist Randt auf seine charmante
WWWeise zu sehr in den Neunzigern oder Nul-eise zu sehr in den Neunzigern oder Nul-
lerjahren hängengeblieben. Es ist absolute
weiße Mittelschichtsliteratur, keine Spur da-
rin von Migration, Trauma oder intersektio-
nalem Feminismus, den Themen, die zurzeit
auch belletristische Neuerscheinungen do-
minieren. Ein bisschen Homosexualität gibt
es, aber nur am Rande; Tanja, die Schriftstel-
lerin ist, hat einen Roman geschrieben, der in
diesem Milieu spielt. Aber so richtig Ahnung
oder Interesse hat sie offenbar nicht. Es geht
stattdessen ums entspannte Durchkuratie-
ren des eigenen Lebens, Erinnerungen ans
AAAusgehen werden genauso penibel archiviertusgehen werden genauso penibel archiviert
wie verflossene Lieben oder bestimmte Mu-
sik, die man in bestimmten Momenten ge-
hört hat. Das gilt auch und besonders für die
Gegenwart, die mittels des „Konzepts der vo-
rauseilenden Wehmut“, auf die Tanja ein Pa-
tent hat, sofort ins Regal der eigenen Psyche
sortiert wird. Randt spielt hier das Pop-Spiel
zu Ende, das mit Lottmann und Goetz in den
Achtzigern begann, von Christian Kracht in
„Faserland“ touchiert wurde und danach vor
allem in den Romanen von eben Leif Randt
weiterlebte, in „Leuchtspielhaus“ (2009),
„Schimmernder Dunst über CobyCounty“
(2011) und „Planet Magnon“ (2015). Die drei
könnte man seine Distinktionstrilogie nen-
nen. Sie nahm immer extremere Züge an, um
am Ende das Universum einzuschließen. Mit
„Allegro Pastell“ ist er auf die Erde zurückge-
kehrt und tut, was auch in „CobyCounty“ so
gut funktioniert hat – eine Paarbeziehung
auszuloten, die sich scheut, so benannt zu
werden. Zum ersten Mal wird ein Ausweg
sichtbar. Das Streben nach Authentizität in
größtmöglicher Unauthentizität verspricht
sich in etwas Neues zu verwandeln.
WWWahrscheinlich erzähle ich deshalb so we-ahrscheinlich erzähle ich deshalb so we-
nig vom Treffen mit Randt, weil das Buch auch
schon so ungeheuer reflektiert ist und dabei so
angenehm fluffig, wie ein Clubbesuch am
Sonntagnachmittag. Man spaziert mit dersel-
ben guten Laune durch Berliner Clubs wie
durch Maintaler Naturschutzgebiete. Falls
noch ein alberner, aber treffender Klappentext
gesucht wird, wäre mein Vorschlag: Leif Randt
ist der Wilhelm Genazino für Millennials.
Zum Schluss zwei exklusive Nachrichten,
die es ohne den Besuch im „Da Jia Le“ nicht
geben würde: „Allegro Pastell“ sollte eigent-
lich „Artengo“ heißen, nach der Decathlon-
Eigenmarke, aber Decathlon wollte den
Namen nicht freigeben. Und auf Randts
Glückskeks heißt es: „Wird eine langfristige
Absicht bald erreicht.“ Ein Satz, der nach ei-
nem Fragezeichen ruft, endet mit einem
Punkt. Auch so eine unterschwellige Leif-
Randt-Irritation.
Leif Randt: Allegro Pastell.
Kiepenheuer & Witsch. 288 S., 22 €.
Die Liebe
in Zeiten
von
Nach Ausflügen ins All ist
Leif Randt wieder auf der Erde
gelandet. In „Allegro Pastell“ erzählt
er kunstvoll vom durchkuratierten
Leben. Eine Begegnung in Berlin
ZUZANNA KALUZNA
O
h ja, der optische Rahmen für einen
neuen „literarischen Salon“, ohne
dass man hierfür nur einen Stuhl
hätte verrücken müssen, ist perfekt gewählt:
Wie auch die letzten Male zuvor wird das
„Literarische Quartett“ im Großen Salon des
ehrwürdigen Berliner Ensembles abgehalten.
Die größere Frage ist, ob man auch inhaltlich
dem hehren Anspruch gerecht werden wird,
den die zurückgebliebene Solistin des Quar-
tetts, Thea Dorn, jüngst in einem Interview
formulierte – nachdem ihre ehemaligen Mit-
streiter, Christine Westermann und Volker
Weidermann, im Oktober hinter dem imagi-
nären Vorgang, der stets alle Fragen offen
hielt, verschwunden waren.
VON PHILIPP HAIBACH
Das neue Konzept der Sendung sehe näm-
lich keine „Kritikerrunde“ mehr vor, kündig-
te die Autorin Dorn an, sondern alles solle
eher wie literarischer Salon werden. Und
weil ein festes Trio ja nicht mehr existiere,
das sich für jede Sendung einen wechselnden
Gast dazu geholt habe, „wollen wir einen
größeren Kreis an spannenden Leuten auf-
bauen“. Die Salonière Dorn empfängt für die
Premiere ihres Wechsel-dich-Spiels die ös-
terreichische Bestsellerautorin Vea Kaiser –
vorgestellt mit der „FAZ“-Klassifizierung
„auf dem besten Weg, die Helene Fischer der
Literatur zu werden“ – und die Radiomode-
ratorin und Schriftstellerin Marion Brasch.
Ihnen gebührt wohl nun die Rolle der Salon-
löwinnen. Der Publizist Jakob Augstein soll –
das darf man ohne Häme konstatieren – ge-
wiss die des wortgewandten Salonkommu-
nisten übernehmen. Seine frühere politische
Kolumne sei laut Dorn schließlich ein „ziem-
lich zuverlässiges Mittel“ gewesen, dass ihr
„Blutdruck in die Höhe gegangen“ sei. Zu-
dem ist Augstein ja auch im Saal eines Thea-
terhauses zu Gast, in dem noch immer der
Geist eines noch viel bekannteren Salon-
kommunisten spukt: Bertolt Brecht.
In den Köpfen des erlauchten Kreises spu-
ken aber leider auch wieder jene Kritikerflos-
keln herum, die einer argumentativen Ausei-
nandersetzung mit dem besprochenen Werk
entgegenstehen: „Kurios, rasant erzählt“,
„Gut recherchiert“, „Wahnsinnig schön ge-
schrieben“, „Ein Pageturner“ oder die „Figu-
ren sind zu platt“. Und wieder einmal war
von jenem mystischen „Sog“ die Rede, dem
sich niemand bei der Lektüre entziehen kön-
ne. Aber 45 Minuten, auch daran hat sich
nichts geändert, sind nun einmal viel zu
kurz, um gleich vier wichtigen Büchern der
Saison gerecht zu werden.
Augstein darf beginnen und stellt ein
„wirklichkeitsgesättigtes“ Buch vor, den
zweiten Teil von Moritz von Uslars Recher-
che im tiefsten Brandenburg mit dem Titel
„Nochmal Deutschboden“ (Kiepenheuer &
Witsch). Hat die Empfehlung womöglich ih-
ren Grund darin, dass Augstein und der
„Zeit“-Journalist von Uslar des Öfteren in
der West-Berliner Institution „Paris Bar“ –
einem weißweinseligen Debattenort gleich –
anzutreffen sind? Das hätte man vielleicht in
einem leibhaftigen, nicht zur Aufzeichnung
gedachten literarischen Salon als Zuhörer
galant zu fragen gewagt. Dorn hat jedenfalls
mit dem Buch so ihre „Probleme“. Die
Maßstäbe der Kritikerin sind hoch: Sie zieht
Vergleiche mit den amerikanischen Repor-
terlegenden Truman Capote und Tom Wolfe,
zaubert gar deren Werke (in den englisch-
sprachigen Ausgaben wohlgemerkt) hervor.
Augstein sieht das naturgemäß anders, ver-
teidigt von Uslars „emphatisches Hinsehen“:
So wie Aby Warburg zu den Indianern gegan-
gen sei, so gehe von Uslar „zu den Ossis“.
Im Osten des Landes spielt auch der von
Marion Brasch vorgestellte Roman „Die
rechtschaffenen Mörder“ (S. Fischer) von
Ingo Schulze – nominiert für den Preis der
abgesagten Leipziger Buchmesse. Es geht um
einen sich rechts radikalisierenden Antiquar.
Auch hier ein geteiltes Echo: „Auf der Höhe
des Problems“ (Dorn), „Man checkt es
nicht“ (Augstein), die Altphilologin Vea Kai-
ser fühlt sich an den antiken Geschichtser-
zähler Herodot erinnert. Die Frage, ob der
Protagonist eine Frau zum Puffbesuch
zwingt, verpufft recht schnell, da der
Schnellcheck der Orestie-Adaption „Haus
der Namen“ (Hanser) von Colm Tóibín an-
steht. Bei der Frage, ob dies dem Aischylos-
Drama gerecht wird, kommt es zwar nicht
zum verbalen Mord und Totschlag unter den
Diskutanten, aber ein Vier-Punkte-Gewinn
für Dorn bleibt aus (die sinnbildlichen Fuß-
ballbewertungen der alten Sendungen gehö-
ren übrigens explizit nicht mehr in diesen li-
terarischen Salon).
Fast schon eine beängstigende Harmonie
bei einer Wiederentdeckung: Vicki Baums
„Vor Rehen wird gewarnt“ (Arche), die Ge-
schichte der starken und raffinierten Ann
Ambros, erstmals 1954 auf Deutsch erschie-
nen und neu aufgelegt. Und plötzlich flammt
so etwas wie wahre Salonkultur auf, als der
literarische Stoff in die Gegenwart transpor-
tiert wird. Das Buch über eine Frau, die hin-
ter dem Mann ihrer Schwester her sei, wirke
wie ein „Gegenschuss auf die MeToo-Debat-
te“, sagt Dorn. Kurz habe sie gedacht: Wer
wisse, wie viele Rehe hinter Plácido Domin-
go her gewesen seien. Das sei nun eine ge-
fährliche Aktualisierung, wiegelt Augstein
ab. Und weil es aktuell nicht mehr ohne das
Coronavirus geht, gab Dorn den Zuschauern
noch ein Medikament auf den Weg. Albert
Camus’ „Die Pest“ stärke das „literarische
Immunsystem“. Ein „Antihysterikum“, das
zeige, dass weder Fatalismus noch Panik eine
Haltung seien, die man in Zeiten einer Epide-
mie einnehmen solle. Im Saal hustet nie-
mand dagegen an.
„Auf der Höhe des Problems“
Thea Dorn führt nun als alleinige Gastgeberin durch das „Literarische Quartett“: Salon oder Laberrunde? Eine Kritik
Moderatorin und Salonière: Thea Dorn
ZDF UND SVEA PIETSCHMANN
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