Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1

Rohstoffbranche


Streit um


sensible


Daten


Klaus Stratmann Berlin


D


ie Rohstoffbranche sieht ihre
Geschäftsgeheimnisse durch
das Geologiedatengesetz
(GeolDG) gefährdet. Ein Gutachten
stützt die Argumente der Unterneh-
men.
Das GeolDG ist im Gesetzgebungs-
verfahren weit vorangeschritten. Be-
denken der Wirtschaft wurden bislang
vom Tisch gewischt, zuletzt durch
den Bundesrat. Doch nun versuchen
die Verbände der Rohstoffwirtschaft
unter Führung des Bundesverbands
der Deutschen Industrie (BDI), das
Ruder noch herumzureißen.
Den Unternehmen geht es um die
Frage, welche Daten sie über ihre La-
gerstätten öffentlich machen müssen.
Die Geologiedaten sollen dabei hel-
fen, einen Standort für ein Endlager
für hochradioaktive Abfälle zu finden.
Geologische Daten und deren Be-
wertungen bildeten für die Unterneh-
men der Rohstoffförderung „die
Grundlage der Geschäftstätigkeit und
stellen somit besonders schützenswer-
te Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse
dar“, heißt es in einem internen Pa-
pier des BDI. Sie seien „gleichzusetzen
mit Forschungs- und Entwicklungsda-
ten beispielsweise der Pharma-, Che-
mie-, Elektronik-, IT- oder Automobil-
industrie“, schreibt der BDI.
Der Verband ist daher davon über-
zeugt, dass das Gesetz vor Gericht
landen würde, sollte es in der derzei-
tigen Fassung verabschiedet werden.
„Das könnte den Prozess der Endla-
gersuche deutlich verzögern. Das
kann nicht im Interesse der Bundes-
regierung sein“, sagte Stefan Mair,
Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsfüh-
rung, dem Handelsblatt. Der Augs-
burger Verwaltungsrechtler Matthias
Rossi teilt die Bedenken. In einem
Gutachten, das Rossi im Auftrag des
BDI und der betroffenen Branchen
angefertigt hat, kommt er zu dem Er-
gebnis, dass das GeolDG in der jetzi-
gen Fassung verfassungswidrig ist.
Rossis Kritik entzündet sich insbe-
sondere an Paragraf 34 des Gesetzes.
Das Ausmaß der geforderten Bereit-
stellung von Daten sei unverhältnis-
mäßig. Mit der geforderten öffentli-
chen Bereitstellung werde „unnöti-
gerweise eine Eingriffsbreite in Kauf “
genommen, „die nicht nur grund-
rechtlich unangemessen ist, sondern
die noch dazu die trotz mancher
Mängel grundsätzlich differenzierte
und ausgewogene Gesamtarchitektur
des GeolDG zunichtemacht“. Mit an-
deren Worten: Die diagnostizierten
Mängel gefährden nach Rossis Über-
zeugung das gesamte Gesetz.
In der Großen Koalition verfingen
die Bedenken der Wirtschaft bislang
nicht. Allerdings zeichnet sich ein
Umdenken ab. „Wir sollten die Be-
denken der betroffenen Branchen
ernst nehmen. Es kann niemand ein
Interesse daran haben, ein Gesetz zu
verabschieden, das mit einem hohen
Risiko der Verfassungswidrigkeit be-
haftet ist. Damit würde wertvolle Zeit
bei der Endlagersuche verloren ge-
hen“, sagt der SPD-Bundestagsabge-
ordnete Timon Gremmels.
In Koalitionskreisen wird derzeit
darüber debattiert, wie man das Ge-
setz noch ändern könnte. Im Ge-
spräch ist, für Zweifelsfälle eine
Schiedsstelle einzurichten.


Till Hoppe Brüssel

D


ie EU-Kommission will
künftig eine deutlich ak-
tivere Industriepolitik
verfolgen als in der Ver-
gangenheit. Die Brüsse-
ler Behörde kündigte am Dienstag an,
gemeinsam mit Mitgliedstaaten und
Unternehmen eine neue Wasserstoff-
Allianz aufsetzen zu wollen. Ähnliche
Initiativen könnten folgen, bei klima-
schonenden Fertigungsprozessen et-
wa für Stahl, bei Rohstoffen oder Platt-
formen und Cloud-Speichern für die
Industrie.
Unternehmen und Behörden sollen
Hand in Hand arbeiten, um erforderli-
che Technologien, Investitionsbedarf
und regulatorische Hürden zu identifi-
zieren. Bereits diese Woche dürften
sich Industrievertreter treffen, um ei-
ne mögliche Zusammenarbeit beim
Wasserstoff zu diskutieren. Mit erneu-
erbaren Energien gewonnener „grü-
ner“ Wasserstoff ist ein klimafreundli-
cher Energieträger, der etwa in der
Luftfahrt oder im Straßenverkehr ein-
gesetzt werden könnte. Die Kosten für
seine Herstellung sind bislang aber un-
wirtschaftlich hoch.
Um die Entwicklung auf dem Gebiet
voranzutreiben, setzt die Kommission
auf ein Modell, das sie derzeit in zwei
Sektoren erprobt: die Mikroelektronik

und Batterien vor allem für Elektro -
autos. In der europäischen Batterieal-
lianz hatten sich im vergangenen Jahr
zwei Konsortien formiert, die die exis-
tierende Lithium-Ionen-Technik wei-
terentwickeln und später in die Mas-
senfertigung von Batteriezellen einstei-
gen wollen.
Etliche Regierungen in der EU leis-
ten dabei Anschubhilfe, allein das ers-
te Firmenbündnis soll bis zu 3,2 Milli-
arden Euro an Subventionen erhalten.
Die Kommission hat die Beihilfen be-
reits als wichtiges Projekt von europäi-
schem Interesse (IPCEI) genehmigt.
Das Bündeln der Kräfte soll das Entste-
hen einer europäischen Batterieindus-
trie erst ermöglichen – bislang domi-
nieren Hersteller aus Asien das Ge-
schäft.
Entsprechend sollen die geplanten
neuen Allianzen die Wettbewerbsfä-
higkeit der hiesigen Industrie stärken
und dieser zugleich helfen, den von
Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen ausgerufenen Wandel zum
digitalen und klimaschonenden Wirt-
schaften zu bewältigen. „Europas In-
dustrie bringt alles mit, um führend
zu sein, und wir werden alles tun, um
sie dabei zu unterstützen“, sagte die
CDU-Politikerin. Die von ihr geführte
Kommission hatte nach ihrem Amts-

antritt im Dezember bereits Strategie-
papiere zum Green Deal und zur Digi-
talpolitik vorgelegt. Am Dienstag kon-
kretisierte die Behörde nun, welche
Rolle die Industrie spielen soll. Neben
der Industriestrategie legte Binnen-
marktkommissar Thierry Breton auch
ein Konzept zur Stärkung des Mittel-
stands vor und einen Aktionsplan, um
die Hürden für Unternehmen im euro-
päischen Binnenmarkt abzubauen.
Es ist beileibe nicht die erste Indus-
triestrategie, die die Behörde vorlegt –
die vorherige ist noch keine drei Jahre
alt. Die Umsetzungserfolge waren
überschaubar, nun versucht es die
Kommission mit einem anderen An-
satz: mit „inklusiven Arbeitsmetho-
den“, wie es Vizepräsidentin Margre -
the Vestager formulierte. Große und
kleine Firmen, Forscher und nationale
Regierungen werden enger eingebun-
den, etwa in einem neuen Industriefo-
rum. Das Gremium soll der Kommissi-
on auch dabei helfen, industrielle
„Ökosysteme“ zu identifizieren, die
wie Batterien oder jetzt Wasserstoff ei-
ner umfassenden Förderung bedürfen.
Bundeswirtschaftsminister Peter
Altmaier (CDU) lobte den Ansatz der
Kommission: Angesichts zunehmen-
der Konkurrenz aus den USA und
Asien müsse die Europäische Union
„alle Kräfte bündeln, um Schlüssel-
technologien in Europa zu stärken“.
Nur so könnten Wettbewerbsfähigkeit
und Arbeitsplätze langfristig gesichert
werden.
Bislang gebe es zwar ehrgeizige Kli-
maziele auf dem Papier, sagte Thors-
ten Muschal, Präsident des Verbands
der europäischen Autozulieferer (Cle-
pa), „aber häufig noch kein Geschäfts-
modell dafür“. Eine intelligente Indus-
triepolitik müsse den Unternehmen
daher Anreize geben, noch mehr in
Forschung und Entwicklung zu inves-
tieren, und zugleich die nötige Infra-
struktur etwa für klimafreundliche
Kraftstoffe bereitstellen, sagte er dem
Handelsblatt.
Joachim Lang, Hauptgeschäftsfüh-
rer des Bundesverbands der Deut-
schen Industrie, hält die geplante Was-
serstoff-Allianz für richtig: „Unsere Un-
ternehmen brauchen eine groß
angelegte EU-Strategie zum Import er-
neuerbarer Energieträger und ein
paneuropäisches Forschungs- und In-
novationsprojekt zum Aufbau von
Wasserstoff-Infrastrukturen“, sagte er.
Kerstin Andreae vom Bundesverband
der Energie- und Wasserwirtschaft
lobte, es sei richtig, dass die Kommis-
sion auch den verstärkten Einsatz von
Wasserstoff in der Industrie, etwa zur
Dekarbonisierung der Stahlherstel-
lung, in den Blick nehme.
Daneben will die Kommission die
Bedingungen gerade für kleinere Un-
ternehmen im europäischen Binnen-
markt verbessern. Über eine gemein-
same Taskforce will die Behörde die
Mitgliedstaaten in die Pflicht nehmen,
Hindernisse für grenzüberschreitende
aktive Firmen auszuräumen. Zudem
sollen die Firmen eine einzige Behör-
de als Ansprechpartner bekommen,
an die sie sich wenden können. In ei-
ner Befragung hatten 70 Prozent der
Unternehmen angegeben, dass der ge-
meinsame Markt nicht ausreichend in-
tegriert sei.
Die Interessen des Mittelstands sol-
len überdies durch einen hochrangi-
gen Beauftragten innerhalb der EU-
Kommission vertreten werden. Es sei
„ein gutes Signal“, dass sämtliche Ge-
setzesvorschläge der Behörde auf ihre
Verträglichkeit für kleine und mittel-
große Betriebe überprüft würden, sag-
te der CDU-Europaabgeordnete Mar-
kus Pieper.

> Kommentar Seite 13

Europäische Union


Industriepolitik


einmal anders


Die EU-Kommission will neue Allianzen mit


der Industrie ins Leben rufen. Den Anfang machen


soll der Wasserstoff.


Vizepräsidentin
Margrethe
Vestager:
Unternehmen
und Behörden
sollen Hand in
Hand arbeiten.

AFP

Europas


Industrie


bringt alles


mit, um


führend zu


sein, und wir


werden alles


tun, um sie


dabei zu


unterstützen.


Ursula von der Leyen
EU-Kommissions -
präsidentin

Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
8

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