Nahgezählt Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL^27
Grüne im Visier von
Staatsmedien
PROPAGANDA Von den aus-
ländischen Staatsmedien, die
in Deutschland aktiv sind, sind
die russischen am erfolgreichs-
ten in sozialen Netzwerken.
Das ergab eine Analyse der
Beiträge und Nutzerreaktionen
von chinesischen, iranischen,
türkischen und russischen
Staats medien in deutscher
Sprache während des Bundes-
tagswahlkampfs. Sie wurde
von der Nonprofi t-Organisation
Alliance for Securing Demo-
cracy durchgeführt. Die rus-
sischen Staatsmedien hätten
die »ü bergreifende Strategie«
verfolgt, »kontroverse innen-
poli tische Themen zu instru-
menta lisieren und aufzublä hen«,
heißt es dazu. Die Beiträge sei-
en ȟ ber proportional negativ
gegenü ber den Grü nen einge-
stellt« gewesen. Auch die Denk-
fabrik Institute for Strategic
Dialogue Germany kommt zu
dem Schluss, dass während des
Bundestagswahlkampfs beson-
ders die Grünen im Fokus der
Kreml-Medien standen: So hät-
ten sich von den erfolgreichsten
Videos, die der russische Sender
RT DE zwischen März und Juli
2021 bei YouTube zur Bundes-
tagswahl hochlud, alle mit den
Grünen oder ihrer Spitzenkan-
didatin Annalena Baerbock be-
schäftigt. Die fraglichen Videos
hatten den Angaben zufolge
insgesamt mehr als 1,2 Millio-
nen Aufrufe. AKM
Wagenkneht und
Chrupalla begrüßen
neuen Impfstoff
CORONAPANDEMIE In den
impfkritischen Lagern von AfD
und Linken bröckelt offenbar
der Widerstand gegen Corona-
schutzimpfungen. Prominente
Politiker beider Parteien äußer-
ten sich positiv über den neuen
Impfstoff Novavax. Es sei »gut,
dass jetzt eine Alternative zu
den genbasierten Impfstoffen
verfügbar ist«, sagte die linke
Bundestagsabgeordnete Sahra
Wagenknecht dem SPIEGEL.
Wagenknecht ist nach einer Co-
ronavirusinfektion frisch gene-
sen, zuvor war sie ungeimpft. In
der Vergangenheit hatte sie sich
wiederholt kritisch über Imp-
fungen geäußert. Auch der AfD-
Bundesvorsitzende Tino Chru-
palla, der sich ebenfalls mit dem
Coronavirus infi ziert hatte und
zu seinem Impfstatus öffentlich
schweigt, zeigte sich gegenüber
Novavax aufgeschlossen. »Wir
begrüßen, dass den Bürgern zu-
künftig eine größere Auswahl
an Impfstoffen zur Verfügung
stehen wird«, erklärte er auf
Anfrage. Die Entscheidung, sich
impfen zu lassen, müsse aber
»jeder für sich selbst treffen
dürfen«. Anders als mRNA-
Vakzinen wie die von Biontech
oder Moderna ist Novavax
ein proteinbasierter Impfstoff.
Diese Woche wurden die ersten
1,4 Millionen Dosen in Deutsch-
land erwartet. MRC, SEV
Nachgezählt
An Apotheken
geliefertes Cannabis
für medizinische
Zwecke, in Kilogramm
SQuelle: Bundesregierung
* In Deutschland dürfen
jährlich bis zu 2600 Kilo
angebaut werden.
Bis 2020 nur importier-
tes Cannabis, ab 2021
auch ein Teil aus
deutschem Anbau.*
DIE GEGENDARSTELLUNG
Ein Shauermärhen
Von Alexander Neubacher
S
ollte nächste Woche die
Welt noch stehen, gibt
es für die Pessimisten
unter uns immerhin ein Jubi-
läum zu feiern: »Die Grenzen
des Wachstums«, die berühm-
te Schreckensvision des Club
of Rome, die Johannes-Offen-
barung für die deutsche Um-
weltbewegung, wird 50. Da-
rauf einen Magenbitter.
Wenige hätten bei der Vor-
stellung am 2. März 1972 in
Washington damit gerechnet,
ein solches Jubiläum zu errei-
chen. Am wenigsten die Auto-
rinnen und Autoren selbst.
Mithilfe eines Supercompu-
ters hatten sie ausgerechnet,
dass die zivilisierte Welt vor
dem Exitus steht: Überbevöl-
kerung, Unterernährung, alle
Rohstoffe aufgezehrt.
Im Basisszenario sagte der
Computer voraus, dass bereits
im Jahr 1979 alle bekannten
Goldvorkommen erschöpft
sein würden, dicht gefolgt von
Silber (1983), Zinn (1985),
Zink (1988), Erdöl (1990) und
Erdgas (1992). Im optimisti-
schen Szenario, einer Verfünf-
fachung der damals bekann-
ten Reserven, gab es ein paar
Jahre Aufschub: Um 2019/
2020 herum werde der Planet
weitgehend ausgeplündert
sein, so die Vorhersage.
Nun hat sich der Super-
computer, wie wir inzwischen
wissen, in fast allen Punkten
geirrt. Zwar hat sich die Welt-
bevölkerung etwa verdoppelt.
Doch der Untergang ist ausge-
blieben. Es gibt nicht weniger
zu essen, sondern mehr. Die
Lebenserwartung ist nicht ge-
sunken, sondern gestiegen.
Die Weltwirtschaft ist nicht
kollabiert, sondern gewach-
sen. Und auch viele bekannte
Rohstoffreserven sind auf
wundersame Weise nicht klei-
ner geworden, sondern größer.
Der Fehler des Computers
und seiner Programmierer lag
vor allem darin, die menschli-
che Kreativität zu unterschät-
zen. Man hatte den Rechner
akkurat mit Daten befüllt,
aber den technischen Fort-
schritt leider vergessen. So
kam es zum Märchen von der
geraubten Zukunft.
Hat das Prognosedebakel
den Beteiligten geschadet? Er-
staunlicherweise nicht. Der
Club of Rome wird bis heute
rauf und runter zitiert, von
Maja Göpel bis Eckart von
Hirschhausen. Selbst der Jah-
reswirtschaftsbericht der Bun-
desregierung ist mit Wachs-
tumskritik gewürzt, seit Ro-
bert Habeck das Sagen hat.
Ich glaube, hinter der The-
se von den Grenzen des
Wachstums steckt eine men-
schenfeindliche Ideologie.
Dennis Meadows, einer der
Hauptautoren, gab sich ir-
gendwann als Zweifl er an der
Volksherrschaft zu erkennen;
demokratische Systeme seien
offensichtlich unfähig, die
Menschen zur Opferbereit-
schaft für die Umwelt zu mo-
bilisieren. Sein Co-Autor
Jørgen Randers legte 2016
einen aktualisierten Bericht
des Club of Rome vor mit der
Forderung, Frauen in Indus-
trieländern eine Prämie von
80 000 US-Dollar zu zahlen,
wenn sie bis 50 höchstens ein
Kind bekommen haben.
Im besten Fall lässt sich sa-
gen, dass »Die Grenzen des
Wachstums« vor 50 Jahren
geholfen haben, den Blick für
Umweltprobleme zu schärfen.
Im schlechtesten Fall trug es
dazu bei, den Glauben an den
Fortschritt zu zerstören. So
oder so ist das Buch ein Fall
fürs Altpapier.
An dieser Stelle schreiben Alexander Neubacher und Markus Feldenkirchen
im Wechsel.
Die falshe Prognose
wird weiter rauf und
runter zitiet, von
Maja Göpel bis Ekat
von Hirshhausen.
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